Kapitel 26

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Unruhig knibbelte Adina an ihren Fingernägeln, während wir darauf warteten, dass Jamie endlich in meinem Trainingsraum ankam. Wenn der Waisenjunge sich allerdings nicht langsam beeilte, hatte sich seine Freundin die Finger blutig geknibbelt, bis er kam.
Ich hatte die Blondine dazu überredet, jetzt endlich ihrem Freund von unserer Mission zu erzählen. Je länger wir warteten, desto weniger Zeit würden wir später haben, um ihn zu trainieren. Eine Woche, um Mut zu fassen, musste wirklich reichen.
„Ist er nicht spät dran? Vielleicht ist ihm etwas passiert", fragte Adina nervös, weshalb ich leicht den Kopf schüttelte. Meine Uhr sagte, wir waren vor zwei Minuten verabredet. Das war wirklich keine Verspätung, bei der ich mir Sorgen machen würde. Wenn er in zehn Minuten nicht da war, konnten wir mal mit dem Suchen anfangen.
Die zehn Minuten mussten wir allerdings nicht mehr warten. Kaum hatte Adina gequält geseufzt und angefangen wieder ihre Finger kaputt zu knibbeln, klopfte es auch schon an der Tür und Jamie kam herein. Er stellte seine Tasche am Rand ab. Kaum stand sie auf dem Boden, schob sich auch schon Franklins Nase heraus. Das Wesen schnüffelte vorsichtig, bevor es seinen Kopf richtig herausschob. Jay Jay hatte wohl erbarmen und machte die zwei Verschlüsse der Umhängetasche auf, damit der Niffler leichter herein und herauskam.
„Warum wolltet ihr mich sprechen?", fragte der Waisenjunge, sobald der Niffler fröhlich den Raum erkunden konnte.
Mein Blick glitt zu Adina. Sie war die feinfühligere von uns beiden, sie war die Freundin von Jamie und sie wollte, dass er bei ihr blieb. Die Freundschaft zu Jamie hatte mich genauso wenig davon abgehalten, mich für das Doppelagentenleben zu entscheiden, wie die Beziehung zu meiner weiblichen Familie. Daher war das in erster Linie ihre Baustelle. Mehr als die mentale Unterstützung würde ich bei unserem Outing nicht sein.
„Könntest du dich zu uns setzten?", fragte die Blondine nervös und klopfte auf den Platz neben sich.
Jamie sah etwas verwundert zu mir. Wahrscheinlich hatte er mit einer ganz anderen Begrüßung gerechnet. Normalerweise viel Adina ihm schließlich immer um den Hals und wollte genauso wie ich einen Kuss haben. Er kannte sie außerdem auch nicht in ihrem Feier-Modus, wo sie brav neben ihren Eltern stand und Pfötchen gab. Bei den Essen, zu denen ich eingeladen gewesen war, hatte mich Adina jedenfalls nicht formell begrüßt.
„Klar, was ist denn los?", fragte er misstrauisch, während er sich neben seine Freundin auf die Matten fallen ließ.
Adina sah ängstlich zu mir, weshalb ich ihr aufmunternd zu nickte. Entweder machte sie jetzt einen Rückzieher, dann war das Thema >Jamie einweihen< aber auch vom Tisch, oder sie überwand sich und redete mit ihrem Freund über unser Vorhaben.
„Jamie, du weißt ja schon, dass mein Vater ein Todesser ist und mir viele Ansichten des dunklen Lords in meiner Kindheit auch als normal verkauft wurden, aber – wir hatten nie darüber gesprochen, wie ich mit der Rückkehr Voldemorts umgehen werde", fing Adina unsicher an.
„Ehrlich gesagt, bin ich davon ausgegangen, dass die wieder auflebende Freundschaft von dir und Patricia bedeutet, dass du dich für sie und gegen deine Eltern entschieden hast. So wie du es gerade ansprichst, heißt es das wohl aber nicht", gab der Waisenjunge sichtlich betrübt zu, im Glauben das er sich geirrt hätte. Hatte er sich ja auch irgendwie ... und irgendwie halt auch nicht. Die Lage hatte sich halt einfach verändert. Es hieß nicht mehr die Malfoys oder ich. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Adina sah noch einmal hilfesuchend zu mir, weshalb ich ihr ein aufmunterndes Lächeln schenkte. Sie sollte mit der Sprache herausrücken, davon würde ich nicht abweichen.
„Irgendwie heißt es das auch. Irgendwie aber auch nicht", murmelte die Wassernymphe überfordert, während sie weiter an ihren Fingern knibbelte.
„Es ist doch ganz einfach", rief Jamie ungeduldig und auch ein bisschen forsch. „Patricia und ich haben unsere Seite gewählt. Wir werden beide für die olympischen Nymphen und Muggelstämmigen einstehen. Ich definitiv nicht in irgendeinem Kampf, wenn es vermeidbar ist, aber –"
„Ich habe auch meine Seite gewählt. Sie ist bei Patricia. Nur hat sich ihre Seite verändert –", schniefte Adina leise.
Und damit lag es doch an mir, das Thema wirklich mit Jamie zu besprechen. Ich warf noch einen Blick zu der Wassernymphe, welche tatsächlich angefangen hatte zu weinen. Ihr liefen stumm Tränen über die Wange.
Der Waisenjunge wirkte ein wenig überfordert mit der Situation. Er sah zu mir, dann wieder zu ihr, und wieder zurück. Dass Adina ihm gerade sagte, dass er nicht nur ihre Seite, sondern auch meine falsch eingeschätzt hatte, schien ihn komplett zu überfordern.
„Was Adina dir versucht zu sagen, ist dass wir als Doppelagenten bei Voldemort einsteigen werden. Es ist der einzige Weg, um ihn zu stoppen", erklärte ich ruhig.
„Ihr –", fing Jamie einen Satz an, beendete ihn aber nicht. Er sah uns noch kurz nachdenklich an, bevor er bestimmt den Kopf schüttelte.
„Weißt du, Patricia, von dir erwarte ich ja solche wirklich hirnrissigen Ideen! Du hattest schon immer ein Problem damit, dass du ein Kind bist, und es Dinge gibt, die nun einmal Erwachsene machen sollten, aber du Adina –", wurde uns dann mitgeteilt, weshalb Adina jetzt anfing, richtig zu heulen. Etwas verunsichert zog ich sie in eine Umarmung, begann ihr unbeholfen, den Kopf zu tätscheln, und wusste auch nicht weiter. Das Angebot mitzukommen, mussten wir wohl eher nicht machen.
„Jamie?", wimmerte Adina.
„Tut mir leid, Adina. Ich muss mir das Ganze erstmal durch den Kopf gehen lassen und verarbeiten. Wir – ich melde mich bei euch. Tut mir leid." Jay Jay drehte sich von uns weg. Er sah sich suchend nach Franklin um, welcher momentan auf dem Rücken meines Haustieres saß und den silbernen Verschluss von ihrem Halsband untersuche.
„Franklin?" Der Niffler ließ von dem Halsband ab und kletterte blitzschnell zurück in die Tasche. Mit großen Knopfaugen wurde der Waisenjunge angesehen, während er fluchtartig mit seiner Tasche den Raum verließ.
Kaum war die Tür hinter meinem besten Freund zu, fing Adina wieder richtig an zu heulen. Sie vergrub ihren Kopf an meiner Schulter, während die Tränen über die Wangen wie kleine Flüsse liefen. Vollkommen überfordert mit der Situation tätschelte ich den Kopf der Blondine.
„Jetzt hasst er uns", schluchzte die Wassernymphe.
„Nein, das war einfach nur eine sehr beängstigende Information, die er jetzt verarbeiten muss. Wahrscheinlich hat er Angst, dass wir da beide nicht lebend herauskommen."
„Aber das werden wir", schluchzte Adina. „Werden wir doch, oder?"
„Ich kann dir nicht versprechen, dass wir überleben werden", gab ich ehrlich zu. „Aber ich halte es für durchaus realistisch. Wir müssen nur aufpassen, dass niemand herausfindet, dass wir den dunklen Lord hintergehen. Wir packen das schon. Und Jamie kommt wirklich wieder auf uns zu. Vivienne und Arienne waren sich sehr sicher, er würde auch mit uns kommen wollen. Sie sagten, wir wären das, was einer Familie am nächsten kommt. Arienne wird dir das bestimmt noch ganz oft erklären und dich trösten. Sie ist gut darin. Ich nicht."
Nun war von Adina eine Mischung aus Glucksen und Schluchzen zu hören. Offensichtlich amüsierte sie, dass ich mal wieder feststellte, wie unfähig ich bei sozialen Beziehungen war.

Hexagramm - LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt