Kapitel 46

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Zweieinhalb Wochen hielt nun schon der Frieden zwischen Pansy und mir an. Es fühlte sich tatsächlich besser als gedacht an. Vielleicht lag das aber auch daran, dass ich jetzt wirklich mehr Verständnis für meine mopsgesichtige Klassenkameradin hatte.
Es war wirklich sehr angenehm, morgens nicht mehr einen bösen Blick abzukriegen, sondern ein freundliches „Guten Morgen". Wenn ich nach dem morgendlichen Spaziergang mit Adina wiederkam, beeilte sich Parkinson jetzt ein wenig, falls sie noch das Bad blockierte, anstelle noch ein wenig mehr zu trödeln, und bei den Mahlzeiten konnten wir doch tatsächlich als Gruppe über die Lehrer reden.
Auch jetzt saßen wir als Gruppe zusammen beim Abendessen. Die Mädchen aus meinem Schlafsaal redeten mit Roux über irgendeinen Artikel in der letzten Ausgabe der Hexenwoche, während ich mal wieder zeichnete. Nicht nur Pansy schien froh zu sein, dass die Freundschaft zu Adina gerade wieder auflebte, auch die Wassernymphe schien es sehr zu genießen, wieder mit jemanden über den neusten Tratsch der Zaubererwelt reden zu können.
Als ich Pansy vorgeschlagen hatte, das Kriegsbeil zwischen uns zu begraben, hatte ich ehrlich gesagt nicht damit gerechnet, dass es so gut klappen würde. Natürlich war ich davon ausgegangen, wie würden uns nicht mehr an zicken, aber ich hatte gleichzeitig mit etwas in Richtung von unterkühlter Höflichkeit gerechnet. Doch jetzt war es gar nicht einmal unterkühlt, sondern wir gingen echt gut miteinander um. Distanziert ja, aber trotzdem sehr freundlich.
Draußen vor der große Halle war ein lauter Knall dicht gefolgt von dem Schrei einer Frau zu hören. Ich sah alarmiert auf, während die meisten anderen Leute eher neugierig in Richtung der großen Flügeltüren sahen. Da diese allerdings geschlossen waren, konnten sie so nichts sehen.
Auch die Lehrer wirkten ziemlich alarmiert. McGonagall blickte zuerst zu dem leeren Platz von Dumbledore, dann stand sie auf. Mit großen Schritten durchquerte sie die große Halle.
Ich machte es ihr gleich. Auch wenn ich nicht glaubte, dass wirklich eine Gefahr vor der Tür lauerte, wollte ich nichts riskieren. Wenn dort ein Feind stand, würde ich mit ihm kurzen Prozess machen, lange bevor eine Nymphe oder Harry erreichen könnte. Vermutlich auch, bevor irgendein anderer Schüler verletzt worden wäre.
McGonagall öffnete die große Flügeltür, weshalb man nun die Szene in der Eingangshalle sah.
Professor Trelawney stand dort. Ihr Haar sträubte sich, ihre Brille saß schief, so dass ein Auge stärker vergrößert war als das andere; ihre unzähligen Schals und Tücher flatterten ihr kunterbunt von der Schulter, und man hatte den Eindruck, sie würde aus den Nähten gehen. In einer Hand hielt sie ihren Zauberstab, in der anderen eine leere Sherryflasche, während sie Professor Umbridge anstarrte, welche gerade gebieterisch die Treppe herunterlief.
Neben der Wahrsagelehrerin lagen zwei große Koffer. Einer war umgestülpt und sah ganz danach aus, als wäre er hinter ihr die Treppe hinuntergeworfen worden.
Jetzt, wo klar war, dass nichts Gefährliches gerade passierte, strömten auch die anderen Schüler aus der Halle, um eine möglichst gute Sicht auf die Szene zu haben. Adina und die anderen Slytherin-Mädchen schoben sich zu mir nach vorne durch.
„Nein!", kreischte die unbekannte Frau. „NEIN! Das kann doch nicht wahr sein ... ich kann nicht ... ich weigere mich, dies hinzunehmen!"
„Sie haben nicht erkannt, dass dies geschehen würde?", fragte Umbridge mit ihrer hohen, mädchenhaften Stimme, die grausam und amüsiert klang. „Zwar sind Sie nicht einmal imstande, das Wetter von morgen vorherzusagen, aber Sie müssen doch wenigstens erkannt haben, dass Ihre jämmerliche Leistung während meiner Inspektionen und das Ausbleiben jeglicher Verbesserung es unvermeidlich machen würden, dass man Sie entlässt!"
Wer wohl der Ersatz werden würde? Ob Dumbledore wohl schnell genug einen Ersatzlehrer anschleppen konnte. Vielleicht sollte ich Jessica oder Cecilia fragen, ob sie nicht kommen wollten.
„Das - k-können Sie nicht tun!", heulte Professor Trelawney, während hinter ihren gewaltigen Brillengläsern ihre Tränen übers Gesicht hervorströmten. „Sie k-können mich nicht entlassen! Ich b-bin seit sechzehn Jahren hier! H-Hogwarts ist mein zuhause!"
„Es war ihr Zuhause", erwiderte Umbridge. Ihr Krötengesicht wurde vor Vergnügen noch ein wenig breiter, als sie sah wie die gefeuerte Lehrerin, auf ihren Koffern haltlos schluchzend niedersank. „Bis vor einer Stunde, als der Zaubereiminister Ihre Entlassungsorder gegenzeichnete. Nun entfernen Sie sich freundlicherweise aus dieser Halle. Sie sind eine Zumutung für uns."
Dann sollte Umbridge gleich mitgehen. Wenn hier jemand eine Zumutung war, dann sie.
Trelawney kam der Aufforderung nicht nach. Sie blieb auf ihren Koffer sitzen, schauderte, stöhnte und wurde von ihren Weinkrämpfen geschüttelt, während sie sich selbst Hin und Her wiegte. Umbridge beobachtete das ganze mit hämischen Vergnügen. Was für eine blöde Kröte diese Frau doch war.
Rechts von mir war ein unterdrücktes Schluchzen zu hören. Als ich dorthin sah, erblickte ich Lavender Brown und Parvati Patil. Beide Mädchen hatten ihre Arme umeinander geschlungen und weinten leise. Musste man das verstehen? Trelawney war doch nur eine Lehrerin und was ich gehört hatte, nicht einmal eine sonderlich gute.
„Jetzt sieh nicht so verstört zu Brown und Patil. Die beiden glauben doch wirklich, Trelawney könnte wahrsagen", flüsterte mir Adina zu.
„Oh, sie kann es", widersprach ich. „Nur nicht auf Kommando. Entweder kriegen wir ihre wahren Visionen alle nicht mit, weil sie immer in ihrem Turm hockt, oder – und das halte ich für wahrscheinlicher – sie hat nur sehr selten eine richtige Vision."
„Und das weißt du weil –"
„Weil ich eine richtige Vision von ihr kenne. Eine gute Lehrerin wird sie deshalb nicht und so heulen muss definitiv auch nicht."
In diesem Moment löste sich Professor McGonagall aus der Menge. Sie marschierte geradewegs auf Professor Trelawney zu und klopfte dieser energisch auf den Rücken, während sie ein großes Taschenbuch aus ihrem Umhang zog.
„Hier, nehmen Sie, Sibyll ... beruhigen Sie sich ... putzen Sie sich damit die Nase ... so schlimm, wie Sie glauben, steht es nicht ... Sie werden Hogwarts nicht verlassen müssen ..."
Damit könnte die stellvertretende Schulleiterin sogar recht haben. Umbridge besaß die Autorität, Lehrer zu entlassen und Neue einzustellen, wenn Dumbledore keinen Geeigneten fand. Das Hausrecht für diese Schule besaß sie allerdings nicht.
„Ach, tatsächlich, Professor McGonagall?", fragte Umbridge mit tödlicher Stimme und trat ein paar Schritte vor. „Und mit wessen Autorität behaupten Sie dies ...?"
„Mit der meinen", hörte man in diesem Moment auch schon die tiefe Stimme von Dumbledore. Wie immer kam er in genau dem richtigen Augenblick, um den Tag zu retten.
Die eichenen Portaltüren standen nun weit offen. Schüler, die sich davor positioniert hatten, um besser die Szene zwischen Umbridge und Trelawney beobachten zu können, sprangen eilig bei Seite. Was der Schulleiter wohl draußen gemacht hatte? Bei dem dichten Nebel war er sicherlich nicht spazieren gewesen. Ob er wohl schon ein Bewerbungsgespräch geführt hatte?
Der Schulleiter ließ die Tür hinter sich weit offen. Ein eindeutiges Zeichen, dass dort noch etwas kam. Ich versuchte, etwas zu erspähen, während er auf die noch immer zitternde und tränenverschmierte Trelawney zulief, doch leider war nichts zu erkennen. Dafür war der Nebel zu dicht.
„Mit der Ihren, Professor Dumbledore?", sagte Umbridge mit einem besonders unangenehmen leisen Lachen. „Ich fürchte, Sie verkennen die Lage. Ich habe hier –", sie zog eine Pergamentrolle aus ihrem Umhang – „eine Entlassungsorder, die von mir und dem Zaubereiminister unterzeichnet ist. Gemäß dem Ausbildungserlass Nummer dreiundzwanzig hat die Großinquisitorin von Hogwarts die Befugnis, jeden Lehrer zu kontrollieren, auf Bewährung zu setzen und zu entlassen, der ihr – und das heißt mir – nicht den Leistungsanforderungen des Zaubereiministeriums zu entsprechen scheint. Ich bin zu dem Urteil gekommen, dass Professor Trelawney nicht den Erwartungen entspricht. Ich habe sie entlassen."
Jetzt sah ich neugierig zu Dumbledore. Ob er wohl auch schon längst die Lücke in Umbridges Plan gefunden hatte, Trelawney von dem Schulgelände zu verweisen? Dem noch immer breiten Lächeln auf seinem Gesicht nach zu urteilen, war er es.
„Sie haben natürlich vollkommen Recht, Professor Umbridge. Als Großinquisitorin haben Sie durchaus die Befugnis, meine Lehrer zu entlassen. Sie haben allerdings nicht die Autorität, sie des Schlosses zu verweisen. Ich fürchte", fuhr er mit einer höflichen kleinen Verbeugung fort, „dass die Macht hierzu immer noch beim Schulleiter liegt, und es ist mein Wunsch, dass Professor Trelawney weiterhin auf Hogwarts leben möge."
Professor Trelawney stieß ein kurzes, wildes Lachen und einen kaum zu überhörenden Hickser aus.
„Nein - nein, ich g-gehe, Dumbledore! Ich w-werde Hogwarts verlassen und mein Glück anderswo s-suchen –"
„Nein", sagte Dumbledore scharf. „Es ist mein Wunsch, dass Sie bleiben, Sibyll."
Er wandte sich an Professor McGonagall.
„Dürfte ich Sie bitten, Sibyll wieder nach oben zu geleiten, Professor McGonagall?"
„Natürlich", rief McGonagall. „Stehen Sie auf, Sibyll ..."
Professor Sprout eilte sofort aus der Menge und nahm Professor Trelawneys anderen Arm. Gemeinsam führten die beiden Professorinnen die Wahrsagerin an Umbridge vorbei und die Marmortreppe hoch. Professor Flitwick lief hurtig hinter ihnen her, den Zauberstab vor sich ausgestreckt. Er quiekte: „Locomotor Koffer!", und Professor Trelawneys Gepäck hob sich in die Luft und folgte ihr die Treppe hoch, Professor Flitwick hinterher.
Professor Umbridge stand stocksteif da und starrte Dumbledore an, der immer noch wohlwollend lächelte.
„Und was", sagte sie in einem Flüsterton, der in der ganzen Eingangshalle zu vernehmen war, „machen Sie mit ihr, wenn ich einen neuen Wahrsagelehrer ernenne, der ihre Räumlichkeiten benötigt?"
Ich sah neugierig zur Tür. Dumbledore hatte immer alles in Hogwarts im Blick. Er hatte sicherlich auch schon vorher geahnt, dass Trelawney gefeuert werden würde. Das war schließlich nur eine Frage der Zeit gewesen. Ob dort wohl wirklich ein neuer Lehrer für uns im Nebel stand?
„Oh, das wird kein Problem sein", sagte Dumbledore freundlich. „Wissen Sie, ich habe bereits einen neuen Wahrsagelehrer gefunden, und er wird Räumlichkeiten im Erdgeschoss vorziehen."
Ich wusste es. Doch warum würde der Lehrer Räumlichkeiten im Erdgeschoss vorziehen? Hatte er ein Holzbein wie Moody? Oder saß er wie Samuel im Rollstuhl? War vielleicht einer von beiden hier? Aber sie kamen mir beide nicht wie Wahrsager vor.
„Gefunden –?", fragte Umbridge schrill, die sich wohl gar nicht darüber freute. „Sie haben einen gefunden? Darf ich Sie daran erinnern, Dumbledore, dass gemäß Ausbildungserlass Nummer zweiundzwanzig –"
„– das Ministerium das Recht hat, einen geeigneten Kandidaten zu ernennen, falls – und nur falls – der Schulleiter nicht in der Lage ist, einen zu finden", erklärte Dumbledore. „Und glücklicherweise kann ich behaupten, dass ich in diesem Falle
Erfolg hatte. Darf ich Sie einander vorstellen?"
Er wandte sich dem offenen Portal zu, durch das noch immer der nächtliche Nebel herein waberte. Hufgetrappel war zu hören. Ein erschrockenes Murmeln ging durch die Halle, und wer der Tür am nächsten stand, zog sich überstürzt noch weiter zurück, wobei manche in ihrer Hast, dem Neuankömmling den Weg frei zu machen, stolperten.
Aus dem Nebel kam ein Gesicht ein mir unbekanntes Gesicht: weißblondes Haar und verblüffend blaue Augen; Kopf und Oberkörper eines Mannes, der mit dem Pferdeleib eines Palominos verwachsen war.
Ein Zentaur. Einen besseren Wahrsagelehrer konnte man wohl kaum finden. Um das Fach zu wählen, war es wohl zu spät. Allerdings hatte ich bestimmt einen kleinen Bonus offen, weil ich Kiras Zwilling und Carolins Tochter war. Vielleicht brachte er mir ja so ein wenig etwas über die Deutung des Himmels bei. Ansonsten wusste Jessica sicherlich mindestens genauso viel darüber wie das andere Wesen.
„Dies ist Firenze", verkündete Dumbledore heiter der vom Donner gerührten Umbridge. „Ich denke, Sie werden ihn für geeignet halten."
Wenn nicht, konnte man der Frau wohl gar nicht mehr helfen.

Hexagramm - LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt