Kapitel 19

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Unruhig rollte ich mich hin und her. Viel Platz war dafür allerdings nicht, schließlich lag ich gemütlich zusammengekuschelt zwischen meinen Vätern, welche auch noch beide schliefen. Ich würde mich auch gerne wieder ins Land der Träume – obwohl eigentlich würde ich mich viel lieber wie Sirius in die Zwischenwelt verabschieden. Beim Schlafen, nicht durch Verletzungen wie Marlon es getan hatte. Doch das war mir leider nicht möglich. Ob Carolin und Mama mir wohl Tipps geben könnten, wie ich eine gute Vertrauensschülerin sein könnte? Was mir von den anderen erzählt wurde, wäre meine leibliche Mutter bestimmt eine sehr gute Vertrauensschülerin. Nicht eine, die sich gerne um die Jüngeren kümmert, um zu zeigen, wie toll sie doch ist. Sie wäre eine Vertrauensschülerin geworden, die sich wirklich gerne hinsetzte, um die Tränen wegen Heimweh und Liebeskummer zu trocknen. Sie hätte mit den Schülern geschimpft, wenn sie Mist gebaut haben. Wie sollte ich das machen? Wahrscheinlich musste ich alle zehn Minuten mit meinem Spiegelbild schimpfen, weil ich etwas Blödes getan hatte.
„Welpe, wenn du einen so starken Bewegungsdrang hast, solltest du vielleicht einfach aufstehen", nuschelte Sirius hinter mir. Er strich mir über die Wange, weshalb ich leise seufzte. Zumindest einen von meinen Vätern hatte ich geweckt.
„Ich bin nervös. Im Hogwarts Express kann ich nicht mehr verheimlichen, dass ich die Vertrauensschülerin bin. Dann muss ich diese Rolle spielen und das ist eine, mit der ich mich ganz und gar nicht anfreunden kann."
„Das dachtest du anfangs auch über Familie. Und guck mal, jetzt erweiterst du sie sogar ganz freiwillig. Drei Väter und drei Mütter."
„Ich würde Yasmine noch nicht –", widersprach ich, während ich rot anlief.
„Aber sie ist auf dem besten Weg dahin, das reicht. Lass dir beim Frühstück ein paar Tipps von ihr geben. Sie hat bestimmt Gute. Und denke immer daran, am Anfang hattest du auch, du würdest niemals ein Teil deiner leiblichen Familie werden können."
„Nein, das war etwas anderes. Ich hatte Angst, eure Erwartungen nicht erfüllen zu können, so wie schon viele Male zuvor bei anderen Familien. Tief in meinem Inneren wollte ich es, aber ich hatte einfach zu viel Angst. Bei der Rolle des Vertrauensschülers ist es anders. Ich habe keine Angst davor, einer zu sein. Dieses Mal bin ich mir wirklich sicher, dass die Rolle nichts für mich ist. Ich meine, wie soll ich andere für Dinge Punkte abziehen, die ich selber regelmäßig mache? Muss ich mir dann ab jetzt selbst Punkte abziehen?
Und ich will nicht für andere da sein. Wie soll ich andere mit ihren Problemen helfen, wenn ich meine eigenen Beziehungen nur mit Ari in meinem Ohr hinkriege? Sie coacht mich echt gut mit Blaise. Manchmal habe ich das Gefühl, sie sollte die Beziehung mit ihm führen. Ich weiß, es würde nicht funktionieren, weil sie nun einmal auf Mädchen steht und Blaise ein Junge ist, aber –"
„Du bist dir etwas unsicher, was in dieser Beziehung von dir kommt und was von anderen?", wurde ich vorsichtig gefragt.
„Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, wie ich zu Blaise stehe, weil Roux wollte, dass wir zum Ball gehen. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn lieber als die anderen habe, weil Kimmkorn mich durch den Artikel genötigt hat. Der Artikel, Ari und Roux. Und zu dem Date hat mich Remus gebracht. Nur das mit dem Küssen kam wirklich von mir. Nein, eigentlich nicht einmal das. Ich wollte es gerne, hatte aber Angst, den Schritt zu gehen. Blaise ist ihn gegangen. Gerade habe ich das Gefühl, ich wäre eine Marionette, die von anderen geführt wird, und jetzt wieder eine neue Rolle einnehmen soll", gab ich leise zu.
„Das bist du nicht, Welpe. Du bist keine Marionette. Dafür hast du einen viel zu großen Dickschädel. Du holst gerade nur sehr viel Kindheit auf einmal nach und brauchst daher ein wenig mehr Hilfestellungen, als andere in deinem Alter. Das ist schon Ordnung. Mache dir nicht so viele Sorgen über deine neuen Aufgaben.
James war ein guter Schulsprecher, obwohl wir nur Blödsinn im Kopf hatten. Du wirst deinen Weg finden, wie du mit der Rolle umgehen kannst. Und damit das schneller geht, holst du dir überall Tipps, wo du sie kriegen kannst. Das ist normal in einer Familie.
Einen Tipp habe ich sogar noch für dich. Wenn du das Gefühl hast, du wärst eine Marionette in der Beziehung mit Blaise, dann rede mit ihm darüber. Sag ihm, du hast momentan das Gefühl, du würdest ihm nur folgen und dass du selbst einfach mehr die Zügel in die Hand nehmen willst. Dass er dich Schritte machen lassen soll und dir nicht immer den Weg zeigen soll. Aber lass ihm bei körperlichen Sachen vielleicht den Vorrang. Nach dem Thema Küssen habe ich das Gefühl, du gehst das zu verkopft an. Nur weil ihr datet, muss man sich nicht sofort küssen."
„Und wie sieht es mit Sex in der Beziehung aus?", fragte ich vorsichtig.
„Auch das gehört zu der Kategorie <irgendwann einmal, aber nicht sofort>. Bitte lass dir damit Zeit. Sex ist etwas – besonderes. Ich kann verstehen, wenn du in diesem Punkt nicht auf Marlon und mich hören willst. Wir haben schließlich beide unser erstes Mal nicht sehr ernst genommen."
„Hast du es später bereut, dass du dein erstes Mal nicht mit jemand wichtigem hattest, sondern nur mit irgendwem?"
„Nein, nicht bereut. Ich weiß, warum ich so viel Sex mit Leuten hatte, die mir unterm Strich nichts bedeutet haben. Ich weiß nicht, ob es besser gewesen wäre, hätte ich gewartet. In dem Moment fühlte es sich richtig an, aber als ich mit deiner Mutter zusammen war, habe ich trotzdem festgestellt, dass Sex viel mehr ist, als nur etwas Körperliches. Oder zumindest sein kann. Und ich wünsche mir für dich einfach, dass du diese Erkenntnis schon sehr viel früher hast."
Ich gab ein leises Seufzen von mir. Wenn ich Blaise bei den körperlichen Sachen Vorrang lassen sollte und mit dem Sex sowieso noch warten sollte, bis mir die emotionale Ebene einer Beziehung klar geworden war, wurde die Zügel in die Hand nehmen irgendwie ziemlich kompliziert. Damit blieben nämlich nur die Dinge, die ich nicht wirklich gut konnte. Die Beziehung von Blaise und mir definieren, meine Gefühle in Worte fassen – oder erstmal wirklich zu verstehen – all dieser Kram halt. Bei den zwölf Göttern, das würde noch kompliziert werden. Menschliche Beziehungen waren mir wirklich zu hoch. Zu viele Faktoren, die ich nicht kannte.

Hexagramm - LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt