Kapitel 52

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Irgendwie war es krank, wie viele Sorgen sich die Fünftklässler wegen ihrer ZAGs machten. Wann immer man auf welche traf, entweder hatten sie Bücher zum Lernen vor der Nase, fragten sich gegenseitig ab oder diskutierten, wie viel sie alle lernten. Normale Gespräche hörte man bei den Schülern meines Jahrganges eigentlich gar nicht mehr.
Auch die Lehrer schienen nur noch eines im Kopf zu haben: Unsere Abschlussprüfungen. Der Unterricht bestand nur noch aus Wiederholung von den wahrscheinlichsten ZAG-Themen und war auch dem entsprechend langweilig geworden. Es gab keine neuen Informationen mehr, die ich wie ein Schwamm aufsaugen konnte, keine neuen Zauber, die ich erlernen konnte. Stattdessen sah man nur den anderen Fünftklässler zu, wie sie daran verzweifelten, wenn sie mal eine Wiederholungsfrage nicht beantworten konnten. Man könnte meinen, sie würden schon jetzt gerade geprüft und nicht erst in ein paar Wochen.
Auch meine Freunde waren keine Ausnahme von diesem Wahnsinn. Wann immer wir nicht im Unterricht saßen, hatten sie ein Lehrbuch vor der Nase, fragten sich gegenseitig ab oder übten irgendwo heimlich Zauber, die in den ZAGs abgefragt werden könnten. Sogar Jamie ließ sich von dem Lernwahn anstecken, weshalb der Viertklässler ebenfalls kaum noch Zeit hatte. Nur die Mädchen aus der Kriegsnymphenfamilie schienen wenigstens etwas Ruhiger zu sein. Zwar lernten sie ebenfalls alle, doch lange nicht so viel wie meine anderen Klassenkameraden. Allerdings waren sie alle gut ausgebildete Kopfgeldjägerinnen, weshalb sie natürlich nicht wirklich auf irgendwelche ZAG- und UTZ-Ergebnisse angewiesen waren. Um Arienne zu zitieren, es ging eher darum, andere Optionen zu haben, als diese auch am Ende zu nutzen. Jedenfalls hatte Sue es immer so dargestellt, das konnte aber auch daran liegen, dass es für sie keine andere Option gab. Das hieß noch lange nicht, dass Ari oder Roux nicht doch etwas anderes tun würden. Bei beiden konnte ich es mir sehr gut vorstellen, dass sie irgendwann zumindest nicht mehr selbst loszogen.
Da meine Freunde nicht mehr wirklich Zeit hatten und auch mein Quidditch-Training nicht mehr stattfand, musste ich mir andere Beschäftigungsmöglichkeiten suchen. Zum einen machte ich es mir zur Aufgabe, den Markt an angeblich lernfördernden Substanze auszutrocknen, zum anderen hielt ich Professor Umbridge auf Trab. Mal testete ich ein paar der beschlagnahmten Sachen an ihr und an anderen Tagen verwüstete ich mit Peeves die Schule.
Als wir dann endlich die Termine für unsere Prüfungen bekamen, war ich ziemlich erleichtert. Auch wenn ich genau wusste, dass in wenigen Tagen die Prüfungen losgingen, hatte es sich ohne genaue Informationen irgendwie unwirklich angefühlt. Erst als Professor Flitwick die Termine an der Tafel erscheinen ließ, realisierte ich wirklich, dass es am Montag schon losgehen würde.
„Wie sie alle wissen, bestehen ihre Prüfungen aus zwei Teilen. Einem Theoretischen und einem Praktischen", wurde uns von dem Zauberkunstlehrer erklärt, während wir uns die Termine von der Tafel abschrieben. „Wie sie sehen haben sie morgens immer ihre Theorieprüfung, während sie nachmittags die praktische Prüfung haben. Ausnahme ist selbstverständlich die Praktische in Astronomie, diese wird nachts stattfinden.
Darüber hinaus will ich sie daran erinnern, dass die Prüfungsunterlagen mit Anti-Schummel-Zauber behaftet sind. Selbstantwortende Federn sind in der Prüfungshalle verboten, genau wie Erinnermichs, abnehmbare Spickmanschetten und selbstkorrigierende Tinte. Bedauerlicherweise gibt es in jedem Jahrgang mindestens einen Schüler oder eine Schülerin, die glauben, die Regeln der Zaubererprüfungsbehörde umgehen zu können.
Darüber hinaus soll ich ihnen von unserer neuen Schulleiterin –", Professor Flitwick sagte das Wort Schulleiterin so, als würde es ihn belustigen, „ausrichten, dass schummeln aufs strengste bestraft wird, weil Ihre Prüfungsergebnisse natürlich einen Eindruck von der neuen Leitung geben wird.
Ich will sie noch einmal alle daran erinnern, wie wichtig diese Prüfungen für ihre zukünftige Laufbahn sein wird. Bedenken sie dies."
Auch wenn der Lehrer für Zauberkunst in diesem Moment nicht sagte, wir sollten es bedenken, bevor wir alle unsere Prüfungen in den Sand setzten, um Umbridge zu ärgern, war jedem klar, dass er genau das meinte. Die meisten Schüler sahen sich kurz gegenseitig an, doch niemand schien bei seinem Sitznachbarn ein Zeichen dafür entdecken zu können, dass er es vorhatte. Da die Slytherins allerdings eh eher hinter Umbridge standen und die Ravenclaws tendenziell die Schüler waren, die am meisten Stress wegen den Prüfungen machten, war das auch nicht wirklich verwunderlich. Die Kandidaten für solche Aktionen waren definitiv eher die mutigen Gryffindors. Bei ihnen gab es durchaus Leute, denen ich zutraute, zu vergessen, dass sie die Prüfungen für ihre eigene Zukunft schrieben.
„Professor", fragte ein Ravenclaw nach einer Minute des Schweigens, „gibt es einen Termin, an dem unsere Ergebnisse bekannt gegeben werden?"
„Man wird Ihnen irgendwann im Juli eine Eule schicken", wurde uns versprochen.
„Erst so spät?", fragte der Junge entsetzt, weshalb ich die Augen verdrehte. Wir hatten die gesamten Sommerferien, in denen wir uns keine Gedanken über unsere Zukunft machen mussten. Das sollte man genießen, anstelle sich zu beschweren. Aber wahrscheinlich gehörte er zu den Leuten, die nicht abschalten konnten und sich jeden Tag die schlimmsten Horrorszenarien ausdachten, was bei den Prüfungen herausgekommen sein könnte.
Am Sonntagabend kamen dann die Prüfer. Ich war mit Antiope und Bärchen noch draußen am See, um der angespannten Stimmung beim Abendessen zu entkommen, als die kleine Gruppe altehrwürdig aussehender Hexen und Zauberer ankam. Umbridge führte sie in Richtung des Schlosses und wirkte sehr zu meiner Freude ziemlich nervös dabei. Dass einer kleinen gebückten Hexe, die ein so faltiges Gesicht hatte, dass es aussah, als wäre es mit Spinnweben überzogen, die Abneigung gegen die Lehrerin förmlich ins Gesicht geschrieben war, half vermutlich auch nicht dabei, dass sie sich wohler fühlte.
In diesem Moment kamen Antiope und Teddy mit dem Ball wieder. Das Spielzeug wurde mir auffordernd hingehalten, weshalb ich es entgegennahm und noch einmal warf. Die beiden Hunde rannten hinterher, weshalb ich wesentlich gemächlicher folgte. Da der Ball in der Nähe des Weges gelandet war, sahen nun auch die Prüfer zu uns herüber. Ich ignorierte sie allerdings geflissentlich. Ab morgen würde ich noch genug Zeit mit diesen Leuten in einen Raum verbringen müssen, da musste ich ihnen nicht jetzt schon meine Aufmerksamkeit schenken. Jetzt waren die beiden Tiere dran.
„Wie ich sehe, sind nicht alle Fünftklässler mit Lernen beschäftigt", stellte die Frau, welche Umbridge so offensichtlich nicht mochte fest. Der leicht säuerliche Blick der Schulleiterin glitt zu mir. Wir hätten also den Eindruck machen sollen, als hätten wir nichts anderes als Lernen im Kopf. Na ja, selbst Schuld, denn die Hunde brauchten nun einmal Bewegung. Wäre es ihr so wichtig gewesen, hätte sie für die zwei Wochen eben einen Hundesitter anstellen sollen.
„Ms Black hält sich für hochbegabt. Wir werden wohl morgen in den Prüfungen herausfinden, wie viel dran ist", antwortete Umbridge spitz.
Oh ja, das würden wir. Die Lehrerin würde blöd gucken, denn jetzt war ich mir sehr sicher, auf meinem Zeugnis würden nur Ohnegleichen am Ende stehen. Nur meine Schreibgeschwindigkeit konnte mir dabei in die Queere kommen, aber das würde ich schon packen. Notfalls würde ich den schriftlichen Teil bestimmt durch den Praktischen ausgleichen können.
„Ms Benett hatte schon einmal erwähnt, dass ihre Stieftochter ein fotografisches Gedächtnis hat. Und selbst wenn sie es nicht hätte, wären Lernpausen nur gesund. Ms Black, ihre Stiefmutter lässt ihnen ausrichten, dass sie ihnen viel Erfolg für ihre ZAG wünscht. Genießen sie ihren freien Abend", wurde mir von der unbekannten Prüferin geraten.
„Danke", brachte ich mangels einer besseren Antwort heraus. Ich wusste nicht wirklich, was ich mehr dazu sagen sollte. Ich meine, ich wusste bisher nur zwei Sachen von ihr: Sie war Prüferin und kannte offensichtlich Yasmine.
Mir wurde noch einmal höflich zugenickt, bevor die unbekannte Frau einfach weiter lief. Umbridge brauchte noch eine Sekunde, um alles zu verarbeiten, dann lief sie ihr schleunigst nach. Ich wandte mich einfach wieder den beiden Hunden zu. Im Laufe der nächsten zwei Wochen würde ich bestimmt wenigstens den Namen der Unbekannten herausfinden. Vermutlich würde es ausreichen, gleich Yasmine nach ihr zu fragen. So viele Prüferinnen hatte sie bestimmt nicht im Ministerium getroffen, mit ihnen über meine ZAG gesprochen und darum gebeten, mir viel Erfolg auszurichten.

Hexagramm - LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt