Kapitel 50

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Endlich war der erste Schultag nach den Osterferien vorbei. Wir hatten schon wieder einen Haufen neuer Hausaufgaben bekommen, weshalb wir eigentlich zur Bibliothek wollten. Bisher waren wir aber noch nicht sonderlich weit gekommen, denn kaum hatten wir den Raum verlassen, war mal wieder das Thema Berufe aufgekommen. Auch schon als ich gestern aus den Ferien zurückgekommen war, hatten sich fast alle Gespräche um dieses Thema gewählt.
Sehr zu meiner Verwunderung war ich gefühlt die einzige, die eigentlich keine Idee hatte, was sie mit ihrem Leben anfangen wollte. Also jedenfalls wenn man Erben als Berufswunsch ansah, aber in meinem Freundeskreis schien es anerkannt zu sein. Wenn man allerdings bedachte, aus was für Familien meine Freunde kamen, war es allerdings auch etwas weniger verwunderlich.
Die einzige Person, die sich anscheinend wie ich das erste Mal darüber Gedanken machte, es gäbe noch eine andere Zukunft als Ehefrau vom Sohn war Adina. Jamie und sie hatten wohl während meiner Abwesenheit ein sehr ausführliches Gespräch darüber geführt, dass es für ihn zu spät war, reich zu erben. Seine Familie war bis auf seine blöde Tante in Frankreich tot und da sich ihr Kontakt noch immer auf ein Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk beschränkte, hatte er auch keine Hoffnung, etwas von ihr zu erben. Allerdings wusste ich auch nicht, ob es dort überhaupt etwas zum Erben gab.
Adina wurde allerdings, laut Jamies Aussage, von dieser Erkenntnis vollkommen überrascht. Sie hatte sich wohl keine Gedanken darüber gemacht, dass sie nicht, wie bei Reinblütern üblich, in die nächste reiche Familie einheiraten würde. Ihr Ehemann wäre nicht vom Beruf Sohn und würde nichts Besseres zu tun haben, als seine Interessen bei Politikern durchzusetzen, sein Geld zu sehen und auf Veranstaltungen mit anderen reichen, gelangweilten Reinblütern herumzulaufen. Er wäre nicht einmal vom Beruf gelangweilter Sohn, der sich deshalb einen richtigen Job besorgt hat, aber seiner Frau dieses Leben ermöglichte.
Nein, wenn die Malfoys nicht beschlossen, dass Paar auch nach ihrem Schulabschluss mit ihrem Vermögen weiter durchzufüttern und von der Tradition abzuweichen, nicht alles an den ältesten männlichen Nachkommen zu vererben, müsste sie damit leben, ihren Lebensstandard ziemlich herunterzuschrauben.
Jamie würde zwar bestimmt einen guten Schulabschluss machen und seinen Platz in der Welt finden, aber für Adinas Verhältnisse würde es sicherlich nicht reichen. Auch wenn sich die Wassernymphe tatsächlich momentan darüber nachdachte, wie sie später Geld zur Haushaltskasse beisteuern konnte, wirkte sie noch nicht wirklich zufrieden damit. All ihre Ideen verwarf sie wieder, weil es Arbeit bedeuten würde.
Allerdings hatte ich die leise Vermutung, dass Narzissa Malfoy ihre Tochter nicht verarmen oder arbeiten lassen würde. Man konnte über die Malfoys wirklich viel Schlechtes sagen, allen voran, dass sie nun einmal Todesser sind, aber sie liebten ihre kleine entführte Wassernymphe über alles. Ansonsten hätte man ihr wohl auch den Umgang mit Jamie verboten. Daher ging ich allerdings momentan davon aus, dass sich Draco sein Erbe am Ende mit seiner Schwester teilen müsste. Allerdings würde es den beiden wohl kaum wirklich auffallen. Es würde höchstens Streit darüber geben, wer das Anwesen der Malfoys erben würde, allerdings war das wohl wirklich Dracos Anrecht.
„Hast du dich eigentlich entschieden, welche UTZ-Kurse du belegen willst?", fragte mich in diesem Moment Blaise.
„Scheinbar ist es in Ordnung, wenn man Reich ist und erben wird, seine UTZ-Kurse nach seinen Interessen zu wählen, weil man eh nicht arbeiten gehen wird. Also werde ich es wohl genauso machen. Wenn ich später doch noch einen Berufswunsch habe, für den mir ein UTZ fehlt, mache ich halt eines nach. Wofür habe ich denn ein fotografisches Gedächtnis", erklärte ich schulterzuckend.
„Also willst du Kopfgeldjägerin werden?", wurde ich skeptisch von Blaise gefragt. Er hatte sich noch nicht so ganz damit angefreundet, dass ich nicht mit ihm zusammen das Geld seiner Mutter verprassen wollte. Ich hatte es einfach nicht so mit Cocktailpartys und Empfängen.
„Ich denke, das gehört zu meinem Erbe, ja. Außerdem langweile ich mich, wenn ich den ganzen Tag nutzlos zu Hause sitze."
„Deshalb war mein Vorschlag, dass du eine Galerie eröffnest", stellte Blaise fest.
„Und ich sagte dir, niemand will mein Gekritzel kaufen", murrte ich. Ob ich den ganzen Tag gelangweilt in einer Villa oder einem Schloss hockte, war wirklich egal.
„Fange hier doch als Lehrerin für Verteidigung gegen die dunklen Künste an", schlug mir Adina vor. „Du kannst besser unterrichten, als du denkst."
„Dann muss ich Aufsätze korrigieren. Auf gar keinen Fall."
„Gib halt einfach keine auf", kam es amüsiert von Draco.
„Ich werde es in die Liste von Möglichkeiten aufnehmen. Verteidigung gegen die dunklen Künste wollte ich sowieso weiter wählen. Es kann ja nicht sein, dass die Kriegsnymphe keine UTZ darin hat", gab ich nach. Am Ende war es sowieso egal, was darauf stand. Ich würde eh nicht lange genug leben, um irgendeinen Beruf zu ergreifen.
In diesem Moment war in der Ferne ein lauter Knall zu hören. Die anderen sahen sich kurz an. Pansy strich sich tatsächlich stolz über das Abzeichen des Inquisitionskommandos, bevor sie ihren Zauberstab zückte. Irgendjemand hatte wohl mal wieder etwas angestellt. Und wenn ich daran dachte, dass sich Fred und George schon vor den Osterferien offiziell verabschiedet hatten, aber noch immer da waren, hieß es wohl auch, sie waren es.
Dem Knall folgten noch ein paar Schreie und Rufe. Die Leute um uns herum blieben erst stehen, bevor sie in die Richtung des Ostflügels rannten. Vermutlich waren sie sehr neugierig darauf, was jetzt schon wieder explodiert war. Na gut, ich war es auch.
Etwas ruhiger lief ich der Masse hinterher. Meine Freunde vom Inquisitionskommando rannten voraus, um die Übeltäter jagen zu gehen. Allerdings zweifelte ich ein wenig daran, dass sie wirklich Glück damit haben würden. Sollten die Zwillinge erwischt werden und ihnen ihre Strafe nicht passen, würden sie einfach aus Hogwarts hinausspazieren. Sie waren volljährig, das konnte ihnen niemand mehr verbieten.
Wir erreichten den Korridor im fünften Stock zum Ostflügel. Oder besser gesagt das, was einst der Gang gewesen war. Anstelle des Bodens war dort nun ein riesiger Sumpf, welcher mit großen Augen von einigen Schülern betrachtet wurde. Die Mitglieder des Inquisitionskommandos kamen uns schon wieder entgegen. Den enttäuschten Gesichtern nach zu urteilen, hatten sie den Übeltäter nicht gefunden.
In diesem Moment hörte man von weiter unten im Schloss einen zweiten lauten Knall. Die Schüler sahen sich kurz gegenseitig an, bevor sie sich fast synchron umdrehten und nach unten eilten. Immer diese sensationsgeilen Schüler. Aber na gut, wirklich besser war ich wohl auch nicht, denn auch ich würde weiterhin der Masse folgen, um nichts zu verpassen. Wenn Fred und George ihren Abschluss gaben, war das sicherlich sehenswerter als nur der Sumpf. Vor allem weil ich die leise Ahnung hatte, der würde noch etwas länger bleiben.
Wir kamen in der Eingangshalle an. Tatsächlich hatten sich die Leute dort schon versammelt. Sie standen ähnlich zusammen wie damals, als Professor Trelawney gefeuert worden war. Dieses Mal waren allerdings einige der Zuschauer mit Stinksaft durchnässt. Der ekelhafte Gestank, der von ihnen ausging, brachte Adina dazu, die Nase zu rümpfen, so wie es ihre Mutter immer tat, wenn sie in unpassender Gesellschaft war. Also immer außer wir saßen bei ihr zu Hause auf dem Sofa.
In der Mitte des Getümmels standen dieses Mal die Weasley-Zwillinge. Sie machten ziemlich zerknautschte Gesichtsausdrücke. Kein Wunder, denn jetzt gab es kein Entkommen mehr. Die Mitglieder des Inquistionskommandos hatten ihnen die Fluchtwege abgeschnitten und wirkten deshalb, als wäre Weihnachten vorverlegt worden.
So sehr ich es auch Draco gönnen würde, wenn er jetzt gerade einen wirklichen Erfolg einheimsen würde, ich war mir sehr sicher, die Weasleys waren nicht wirklich in die Enge getrieben worden. Das hier war ihr großer Abgang. So blöd waren sie nicht, sich vor der großen Halle fangen zu lassen.
„So", hörte man in diesem Umbridge triumphierend von den Treppen aus rufen. Sie stand auf den Stufen und betrachtete die Zwillinge, wie ein Löwe seine Beute. „So – Sie halten es also für witzig, einen Schulkorridor in einen Sumpf zu verwandeln?"
„Ziemlich witzig, ja", erwiderte Fred und blickte ohne die geringste Spur von Angst zum Umbridge herauf.
Damit stand jetzt fest, das hier war die Schlussorgie der beiden.
In diesem Moment kämpfte sich Filch zu Umbridge durch. In seine Hand hielt er irgendein Dokument, mit welchem er aufgeregt herumfuchtelte.
„Ich hab das Formular, Schulleiterin", sagte er heiser. „Ich hab das Formular und meine Peitschen warten ... oh, lassen Sie es mich jetzt tun ..."
„Sehr gut, Argus", kam von ihr als Antwort. „Sie beide", fuhr sie fort und stierte auf Fred und George hinab, „werden gleich erfahren, was mit Missetätern in meiner Schule passiert."
„Wissen Sie, was?", entgegnete Fred. „Das glaube ich kaum."
Er wandte sich an seinen Zwillingsbruder.
„George", sagte Fred, „ich glaub, wir sind zu alt geworden für die Ganztagsschule."
„Ja, das Gefühl hab ich auch", sagte George locker.
„Wird Zeit, dass wir unsere Fähigkeiten in der wirklichen Welt ausprobieren, meinst du nicht?", fragte sein Zwilling.
„Ganz bestimmt", kam prompt die Antwort.
Und ehe Umbridge ein Wort sagen konnte, erhoben sie ihre Zauberstäbe und sagten im Chor: „Accio Besen!"
In der Ferne hörte man es das dritte Mal in den letzten paar Minuten laut Krachen. Die Leute sahen gespannt in die Richtung. Im nächsten Moment kamen auch schon Freds und Georges Besen, die schwere Kette und den eisernen Haken, mit welchen sie mal in Umbridges Büro befestigt worden waren, noch immer hinten dran. Sie stürzten die Treppe herab und stoppen knappe vor den Zwillingen, wobei die Kette laut auf dem steingefliesten Boden rasselte.
„Auf Nimmerwiedersehen", verkündete Fred Professor Umbridge und schwang ein Bein über den Besen.
„Ja, Sie brauchen uns keine Postkarte zu schicken", fügte George hinzu und bestieg seinen Besen.
Fred sah über die versammelten Schüler hin, eine stumme, wachsame Menge.
„Wenn jemand Lust hat, einen tragbaren Sumpf zu kaufen, wie oben vorgeführt, dann kommt doch mal in die Winkelgasse dreiundneunzig - Weasleys zauberhafte Zauberscherze", sagte er lauthals. „Unser neues Ladengeschäft."
„Für Hogwarts-Schüler, die schwören, dass sie unsere Produkte einsetzen, um diese alte Fledermaus loszuwerden, gibt es Spezialrabatte", ergänzte George und deutete auf Professor Umbridge.
„HALTET SIE AUF!", kreischte Umbridge, doch zu spät. Als das Inquisitionskommando losstürmte, stießen sich Fred und George vom Boden ab, schossen knapp fünf Meter in die Höhe und ließen den eisernen Haken gefährlich unter sich pendeln. Fred ließ seinen Blick über die Menge schweifen. Schließlich blieb er an Kira hängen. Ein kleines Lächeln war zu sehen, während mein Zwilling so aussah, als überlege sie, sich gleich in einen Vogel zu verwandeln und mit Areion heraufzufliegen, damit der Kater dem Weasley das Gesicht zerkratzte.
Auch wenn sie sich vielleicht von der Idee mit dem Scherzartikelladen überzeugen hat lassen, die Art des Abganges schien ihr nicht zu gefallen. In den Osterferien hatte sie zwar gesagt, sie findet es in Ordnung, wenn Fred und George die Schule abbrachen, allerdings hatte sie auch gemeint, sie mussten vorher nicht alles in Schutt und Asche legen. Es war zwar nicht alles, aber anscheinend wohl zu viel. Oder sie hatte es nicht ernst gemeint.
Samuel hatte in den Osterferien ziemlich viel von irgendwelchen Treffen mit Emmeline Vance erzählt, weshalb Mary und sie damit anfingen, sie sollten doch mal miteinander ausgehen. Später hatten sie aber gemeint, die Hexe aus dem Orden würde niemals Marlene McKinnon in seinem Leben ersetzen können. Danach hatte ich nicht mehr das Gefühl, sie meinten es wirklich ernst, auch wenn es keine Lüge war. Vielleicht war es in Bezug auf den Schulabbruch der Weasleys genau das Gleiche.
Als Nächstes spähte Fred quer durch die Halle zu Peeves. Der Poltergeist hatte während der ganze Szene unter der Decke herumgehüpft und hatte alles genau beobachtet.
„Peeves, mach ihr in unserem Namen das Leben hier zur Hölle."
Der Poltergeist riss sich tatsächlich den Glockenhut vom Kopf und salutierte, als Fred und George unter dem tosenden Applaus der Schülerschar herumwirbelten und aus dem offenen Portal in den herrlichen Sonnenuntergang flogen.
„Jetzt wird es bestimmt ruhig in Hogwarts", meinte Adina glücklich, während sie auf das offene Portal sah.
Mein Blick glitt hoch zu Peeves, welcher noch immer wie ein Soldat dastand und salutierte, obwohl die Weasleys nur noch kleine Spielzeugfiguren am Himmel waren. Als Nächstes sah ich zu der Schülermenge. Auch in dieser wurden sich verschwörerische Blicke zugeworfen.
„Nein, Adina. Umbridge hat den schlimmsten Fehler der Kriegsführung begangen. Sie hat zwei Märtyrer geschaffen. Die Schlacht geht vielleicht an sie, aber dein Bruder sollte sich besser einen Vorkoster besorgen. Viele der etwas fieseren von Fred und Georges Scherzartikel muss man Essen. Von einem wächst einem zum Beispiel ein Geweih", berichtete ich, weshalb mich Adina entsetzt ansah.
„Keine Sorge. Fred und George haben mittlerweile für alles ein Gegenmittel. Ich kriege es schon von ihnen. Und wenn ich mit gewetzten Messern ihren Laden dafür stürmen muss", versprach ich ihr. Ich würde schon auf Adinas Bruder für sie aufpassen. Und auf Warrington. Da Montague nach der Aktion mit dem Verschwindekabinett noch immer nicht so ganz auf der Höhe war, würde ich auf die restlichen Quidditchspieler besser besonders gut aufpassen.

Hexagramm - LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt