Kapitel 16

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Unsicher sah ich zu Yasmine herüber, welche hinter mir stand und meine kurzen Haare zu einer hübschen Flechtfrisur verarbeitete. Wie oft im Leben sie das wohl schon getan hatte, um das so gut zu können. Sie kannte sich bestimmt gut mit Verlobungsfeiern aus. Ob sie wohl wusste, was mich heute Abend erwarten würde?
„Du siehst nervös aus Patricia. Liegt es daran, dass du heute Abend viele Todesser triffst, Blaise oder einfach nur, weil dir gesellschaftliche Umgangsformen nicht liegen?", wurde ich freundlich gefragt.
Ich schluckte schwer. Bis vor wenigen Sekunden war ich nur nervös gewesen, weil ich keine Ahnung gehabt hatte, was man nun bei einer Verlobungsfeier zu erwarten hatte. Schon gar nicht bei einer, auf der ich ein Ballkleid tragen musste. Doch jetzt, wo Yasmine noch die anderen Themen angesprochen hatte, war ich noch nervöser. Ob es für Blaise wohl wirklich in Ordnung war, dass ich mein Kleid von dem Weihnachtsball noch mal trug? Obwohl genau das selbe war es nicht, dieses Mal hatte ich nämlich etwas Kurzärmliges über meinem Jumpsuit an. Aber ob diese Veränderung wohl wirklich reichen würde? Und würde ich es schaffen, wirklich überzeugend so zu tun, als würde ich mich gerade von meiner Familie entzweien, damit mich Lord Voldemort bald für seine Todesser anwarb?
„Alles", gab ich jetzt vollkommen verunsichert zu. Yasmine griff nach einem Haargummi, band es in aller Seelenruhe um den Zopf, bevor sie mir ihre Hände von hinten auf die Schultern legte.
„Blaise liebt dich, so wie du bist", wurde mir versichert. „Mit all deinen Ecken und Kanten. Und falls er es eines Tages nicht mehr tun wird, dann war er einfach der falsche für dich. Dann gehen wir zusammen auf die Suche nach dem Richtigen. Aber heute wird nicht der Tag sein, an dem sich herausstellt, dass Blaise und du doch nicht zusammenpasst."
„Das kannst du gar nicht wissen", stellte ich kleinlaut fest. „Nur Jessica und Cecilia können in die Zukunft sehen."
„Aber ich beobachte seit über dreißig Jahren die Leute und habe viel über Beziehungen gelernt. Also glaube mir, ihr werdet nicht heute feststellen, dass ich nicht zusammen passt. Heute wird er sich nur darüber freuen, was für eine wunderschöne Begleiterin er für die Verlobungsfeier seiner Mutter gefunden hat. Wunderschön, stark und mutig.
Du wirst einen schönen Abend mit Blaise und Adina haben. Es gibt mit Sicherheit sehr leckeres Essen. Falls mehrere Gabeln neben deinen Teller liegen, man fängt ganz außen an und arbeitet sich dann nach innen vor. Gucke einfach bei den anderen ab, wenn du dir unsicher bist."
„Und über was redet man?", fragte ich verunsichert.
„Die Erwachsenen wahrscheinlich untereinander viel über Politik. Misch dich da nur ein, wenn du gefragt wirst. Am Anfang werden deine Freunde wahrscheinlich brav allen anderen die Hände schütteln müssen, aber sobald sie alle durchhaben, verkrümelst du dich mit ihnen in eine Ecke und tust so, als wäre es ein normaler Abend. Na ja, vielleicht werdet ihr etwas mehr Tanzen als sonst und weniger zusammen vor dem Fernseher hocken oder Mikrowellen bewundern.
Wenn du dich bei irgendwelchen Todessern anbiedern willst, dann halte dich erst einmal an Adinas Eltern. Beide sind unterm Strich ganz in Ordnung, also für einen Todesser und die Ehefrau von einem. Ich hatte auf Ministeriumsveranstaltungen schon öfters mit beiden zu tun. Außerdem hast du durch Adina und deinen Vater eine Verbindung zu ihnen."
Ich nickte leicht als Zeichen, dass ich verstanden hatte. Ich würde Fragen wahrheitsgemäß Beantworten, mich an Adina, Blaise und ja sogar an Draco halten. Wenn ich mich mit dem jungen Malfoy wieder vertrug, war das wohl ein guter Schritt in Richtung Todesser.
„Patricia? Es wird alles gut werden. Mache dir keine Sorgen", wurde mir versprochen, bevor sich Yasmine wieder an meine Haare machte.
„Seid ihr hier, wenn ich nach Hause komme oder noch im Hauptquartier bei Harry?", fragte ich vorsichtig nach.
„Wir gehen davon aus, dass du länger unterwegs sein wirst. Die Feier geht bestimmt sehr lange. Falls wir uns irren, darfst du aber gerne herüberapparieren. Ansonsten findest du Marlon und mich entweder im Salon oder bei ihm oben im Zimmer."
„Übernachtest du heute hier?", fragte ich unsicher nach. Hieß das, Yasmine und Marlon hätten beschlossen, meine Schonfrist wäre vorbei und ich müsste jetzt endlich mal lernen, alleine in meinem Zimmer zu schlafen. Irgendwie könnte ich es ja verstehen. In meinem Alter sollte man sich eigentlich nicht mehr so an seine Elternteile klammern. In Marlons Leben gab es jetzt eine Partnerin, damit sollte ich den Platz in seinem Bett endlich aufgeben. Doch gleichzeitig fühlte ich mich noch so gar nicht bereit, alleine in einem Zimmer zu schlafen.
„Nein, wir behalten es, bis du nach Hogwarts gehst, so bei wie bisher. Wenn du bei Sirius bist, übernachtet Marlon bei mir, und ansonsten gehört dir der Platz in Marlons Bett."
„Ich will mich nicht zwischen euch drängen", murmelte ich kleinlaut.
„Das tust du nicht. Marlon hat eine Tochter, da geht man eine Beziehung nun mal anders an, als wenn es nur um zwei Menschen gehen würde."
„Normale fünfzehnjährige Töchter schlafen aber nicht im Bett der Väter."
„Du bist genau so gut, wie du nun einmal bist. Marlon und Sirius lieben ihren kleinen Welpen über alles. Nur darauf kommt es an."
„Ich wäre manchmal gerne normal", gab ich kleinlaut zu.
„Was ist denn für dich normal?"
„Mit zwei Elternteilen aufwachsen. Abends alleine ins Bett gehen, ohne das Gefühl einsam zu sein. Keine Alpträume von vergangenen Tagen", zählte ich verunsichert auf.
„Du kannst nicht ändern, wie du aufgewachsen bist, Patricia. Das musst du auch nicht. Aber die anderen Sachen können wir ändern, wenn du das wirklich willst. Vivienne hat bestimmt ein paar gute Tipps für dich. Aber es wird Zeit brauchen und die solltest du dir auch nehmen. Aber auch wenn du anfängst, gerne alleine in deinem Zimmer zu schlafen, es wird nichts daran ändern, dass du einen Platz bei Marlon und Sirius im Bett hast. Wenn du willst, darfst du jederzeit herüberkommen. Auch wenn ich da bin. Ich bin mir sicher, wir passen auch zu dritt in ein Bett."
„Ich weiß aber nicht, ob ich bei euch übernachten will, wenn ihr beide da seid. Das – na ja."
„Wir werden uns beide benehmen. Versprochen. Kein Sex, wenn du mit im Bett liegst." Mir wurde lächelnd über die Schulter gestrichen, bevor sich Yasmine wieder an meine Haare machte. „Aber jetzt wollen wir dich erstmal fertig hübsch machen. Vielleicht kriegst du heute endlich deinen ersten Kuss."
Ich merkte, wie ich rot anlief. Das Thema küssen war bei Yasmines und meiner Shoppingtour aufgekommen. Dabei hatte ich auch erwähnt, dass Blaise mich noch immer nur auf die Wange oder Stirn küsste, was ich irgendwie als komisch empfand. Wir gingen jetzt miteinander aus, sollten wir uns da nicht auf den Mund küssen? Machte man das dabei nicht? Yasmine und Marlon taten es.
Sogar Charlie und Elaina hatten sich geküsst, dabei gingen sie nicht einmal miteinander aus. Dafür gaben sie sich momentan allerdings auch große Mühe, so zu tun, als wäre der Kuss nie geschehen und gingen sich noch mehr als früher an die Kehle. Azura nannte es die Leugnungsphase, welche sich laut ihrer Diagnose wohl noch ein paar Wochen und ein paar Rückfälle lang ziehen würde.
Wenn alle es hinbekamen, warum schafften es dann Blaise und ich nicht, uns endlich zu küssen? Oder überließ er mir diese Aufgabe? Schließlich hatte er es auch mir überlassen, zu überlegen, wann wir anfingen, miteinander auszugehen. Vielleicht sollte ich doch einfach diesen Schritt wagen. Aber woher wusste ich, wann der richtige Zeitpunkt war? Beim Thema Daten war von Anfang an klar, dass es nur an mir gerade scheiterte, das sah beim Küssen anders aus. Vielleicht wollte mich Blaise aus irgendeinem Grund noch nicht küssen. Vielleicht war ich ja für das Emotionale am Anfang nicht bereit gewesen und er jetzt nicht für das Körperliche. Konnte dann unsere Beziehung überhaupt gut gehen?

Hexagramm - LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt