Kapitel 3

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Etwas unsicher spielte ich mit meinen Fingern. So wirklich wusste ich nicht, was ich von dieser Situation halten sollte. Obwohl eigentlich wusste ich es ganz genau. Es war genauso komisch, wie damals als wir zum Weihnachtsball gegangen waren.
Auch jetzt trug ich wieder ein Kleid, an dessen türkisfarbenen Saum ich unsicher herumspielte, während mich Roux und Azura mit sehr viel Hingabe für mein Treffen mit Blaise fertig machten. Gerade war die Jüngere mit meinen Fingernägeln beschäftigt, während die Ältere mit einer Bürste meine Haare bearbeitet.
Sue saß in einer Ecke des Raumes, von wo aus sie das ganze Spektakel über den Rand eines Buches beobachtete. Ihr Gesichtsausdruck schwankte dabei die ganze Zeit zwischen genervt – immer wenn Roux mal wieder ins Schwärmen aufgrund von Blaises und meinen bevorstehenden Date geriet –, belustigt – wenn ich aufgrund von Roux Erwartungshaltung mal wieder das Date absagen wollte – und desinteressiert, schließlich waren Dates laut Sue sowieso nur Zeitverschwendung. Jetzt gerade war sie mal wieder Letzteres.
Antiope hatte sich ebenfalls zu uns gesellt. Anfangs hatte sie sich noch um meine Füße gerollt, doch das war ihr schnell zu unruhig gewesen. Ständig liefen Roux und Ari um sie herum. Irgendwann kam dann Roux auf die Idee, sie müsste unbedingt meine Fußnägel lackieren, weshalb ich meine nackten Füße von dem Fellknäuel befreien musste. Das war der Moment, in dem es meinem Hund reichte, und sie lieber zu Susanne schlurfte.
„Und warum nochmal darf ich nicht mein T-Shirt anziehen, das ich herausgesucht habe?", fragte ich zum gefühlt tausendsten Mal.
„Weil man sich für ein erstes Date hübsch macht", wiederholte Roux die Antwort, die ich schon die Letzten dreimal bekommen hatte. „So zeigt man dem Gegenüber, dass er einem wichtig ist, und steigert sein eigenes Selbstvertrauen. Außerdem hat dein T-Shirt hinten ein Loch und gehört deshalb in den Müll."
„Das ist kein Müll, sondern mein Lieblingsshirt!", protestierte ich sofort. „Ich schneide einfach Löcher in den Rücken, dann sieht es gewollt aus."
„Wir nehmen dir nicht dein Lieblingsshirt. Aber für das Restaurant, in das Blaise dich ausführt, geht man nicht in dem durchlöcherten Lieblingsshirt. Du siehst sehr hübsch in dem Kleid aus und siehst damit so aus, als würdest du in das Restaurant gehören. Glaube mir, wenn du dort bist, wirst du dankbar für das Kleid sein. Wenn du gerne im durchlöcherten T-Shirt zu Blaise willst, sag ihm, er soll dich beim nächsten Mal in eine schäbige Pizzeria oder so ausführen", riet mir Arienne. Sie strich mir beruhigend eine Haarsträhne aus dem Gesicht und steckte sie mit einer Haarspange zurück, damit sie nicht gleich wieder in meinem Sichtfeld herumhing.
„Auf einer Skala von mit den Fingern essen bis hin zu der königlichen Familie von Kanada würdig, wie nobel wird dieses Restaurant?", fragte ich verängstigt nach.
„Eher in Richtung Letzteres", stellte die Ältere fest, weshalb ich nur noch nervöser wurde. Das hörte sich definitiv nicht nach einem Restaurant an, in dem ich mich wohl fühlen würde. „Jetzt mache dir nicht so viele Gedanken. Ihr werdet euch einen netten Abend machen und das war es. Du musst keinen guten Eindruck machen. Blaise weiß schon, wen er nach zwei gemeinsamen Schuljahren endlich ausführen darf."
Arienne verlies ihren Platz hinter mir. Stattdessen zog sie sich einen Stuhl heran, mit welchem sie sich mir gegenüber setzte. Ganz automatisch streckte ich meine Hand nach ihr aus. Die Ältere umschloss sie wie selbstverständlich mit ihren.
„Patricia, du schaffst das. Nervosität ist ganz normal vor dem ersten Date und ich kann auch verstehen, dass du nervös wegen dem Restaurant bist. Aber hier kommst du auch sehr gut klar. Wenn du willst, kannst du dich durchaus benehmen. Also keine Sorge, du schaffst das schon", wurde mir erneut Mut zu gesprochen.
Ich seufzte leise, bevor mein Blick automatisch zu Susanne glitt. Sie war gegen dieses Date und daher würde sie sich große Mühe geben, es mir wieder auszureden. Wenn sie glaubte, ich würde es überstehen, dann würde ich es auch definitiv tun.
„Ich halte es für Zeitverschwendung, aber packen wirst du es definitiv", kam der Kommentar aus der Ecke.
„Sue, sag nicht, sie verschwendet ihre Zeit!", postierte sofort Roux. „Sie und Blaise gehen endlich miteinander aus. Das wird ein wunderschöner romantischer Abend. Glaubt ihr, er bringt ihr Blumen mit?"
„Hoffentlich nicht. Ich bin mir sicher, Kira wird die beiden lynchen, wenn Patricia mit einem Blumenstrauß heimkehrt", kam der Kommentar von der Gleichaltrigen.
„Kira wird es überleben. Bei einem Date werden oft Blumen geschenkt, damit muss sie klarkommen, solange Patricia mit gepflückten Blumen kein Problem hat."
„Ich will keine gepflückten Blumen mehr, wenn Kira sie nicht mag", gestand ich etwas kleinlaut. „Ich will deshalb keinen Streit. Außerdem haben Blumen in Töpfen den Vorteil, dass sie länger blühen und deshalb auch länger gut riechen. Deshalb mag ich Gärten. Ich mochte den hinter unserem Haus sehr gerne. Die Wildblumenwiese riecht immer sehr gut und ich mochte die Schmetterlinge, die dort immer herumflatterten. Sie sind schön bunt. Und es war meistens ruhig. Ich finde es schade, dass wir nicht mehr dort wohnen."
Ich merkte, wie ich wieder traurig wurde. Eigentlich hätte ich sehr gerne weiter in dem schönen Haus gelebt, doch nachdem mein Onkel Fudge auf die Füße getreten war, hatte der Zaubereiminister nicht nur versucht, Marlon das Sorgerecht wieder wegzunehmen, sondern auch noch uns aus England wieder zu entfernen. Leider stand allerdings auch da nicht das Recht auf seiner Seite. Es war aber auch wirklich nervig, dass Marlon ein Muggel war und sich nicht von dem Zaubereiminister etwas sagen lassen wollte. Jedenfalls für Fudge war es blöd, ich fand es amüsant. Was Fudge allerdings geschafft hatte, war es, unseren Vermieter – einen Zauberer – gegen uns aufzubringen. Daher war uns der Mietvertrag wieder gekündigt worden, zwar unrechtmäßig, doch niemand wollte dagegen vorgehen.
„Wir suchen uns einfach eine neue Unterbringung, kleiner Welpe. Erstmal sind wir hier in Kanada. Wenn wir da sind, werden wir planen, wie es weiter geht. Das werden wir auch davon abhängig machen, wo Dumbledore das Hauptquartier vom Orden des Phönix aufmacht. Vielleicht können wir dort unterkommen oder wir ziehen nach Frankreich. Maman freut sich, wenn sie wieder ihre Enkelkinder um sich hat. Wir werden es sehen, wenn es so weit ist", hatte Marlon erklärt und damit war das Thema von seiner Seite aus abgeschlossen.
Ich hatte nicht protestiert. Es würde eh nicht helfen, wenn ich flehte, dass wir in dem Haus wohnen blieben. Der Vermieter wollte uns nicht mehr dort haben. Selbst wenn wir den Mietvertrag retten konnten, würden wir danach wahrscheinlich ständig wegen jedem Kleinscheiß einen Streit mit ihm haben. Daher fand ich mich schweren Herzens damit ab, das kleine idyllische Cottage mit seinem wunderschönen, bunten Garten wieder zu verlassen. Dafür würde ich in meinem neuem zu Hause vielleicht wieder ein eigenes Zimmer haben. Das hätte durchaus etwas.
„Ach, Primrose, wir werden schon einen neuen Garten mit Schmetterlingen für dich finden", tröstete mich Arienne. „Notfalls musst du ganz oft deine leibliche Familie besuchen gehen. Ich habe mitbekommen, dass sie wieder in Artemis altes Schloss ziehen wollen. Dort wirst du schon ein Plätzchen für dich finden."
„Oder wir kaufen dir einen Park. Dann beantrage ich allerdings, dass wir einen Hochseilgarten hereinbauen", kam der Kommentar von Susanne.
„Erstmal genießen wir noch den wunderschönen Schlossgarten hier. Wenn du von deinem Date mit Blaise zurückkommst, gehen wir mit Antiope Schmetterlinge jagen. Dann kannst du mir auch alles von eurem Date erzählen. Nicht wahr du riesiger Wuschelhund?", fragte Roux an das riesige braune Fellknäuel gewandt. Als Antwort bekam sie ein glückliches Bellen und Schwanzwedeln von meinem Haustier.
„Aber erstmal wirst du zu deinem Date mit Blaise gehen und wir werden mit Antiope dabei helfen, deine Natasha zu erschnüffeln." Arienne hielt mir auffordernd meine Sandalen hin, welche ich nur ziemlich zögerlich annahm. Der letzte Teil des Satzes gefiel mir nämlich gar nicht. Wenn Antiope meine kleine Schwester erschnüffeln sollte – vermutlich wohl eher die Botschaft in ihrer letzten Pflegefamilie, aber so kleinlich wollte ich nicht sein –, war sie definitiv nicht bei mir. Bisher war ich allerdings wie selbstverständlich davon ausgegangen, ich würde mein Wuschelhund mitnehmen, so wie ich sie überall mithin schleppte.
„Darf Antiope nicht mit nach England?", fragte ich vorsichtig nach.
„Ich fürchte, im Restaurant sind keine Hund erlaubt", wurde mir von der Älteren mitgeteilt. Als Kommentar dazu, gab ich ein unzufriedenes Grummeln von mir. Dates waren blöd. Man musste sich Ewigkeiten vorher fertig machen und dann durfte man nicht einmal seinen Wuschelhund mitnehmen. Dabei konnte sich Antiope doch wirklich sehr gut beim Essen benehmen. Jedenfalls besser als ich.

Hexagramm - LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt