Ich lag gemütlich zusammengerollt mit Sirius in seinem Bett. Während mein Vater noch immer friedlich schlief, war ich schon wieder wach. Ich konnte nicht einmal sagen, warum ich in dieser Nacht mal wieder so schlecht geschlafen hatte. Wahrscheinlich weil mir so viel durch den Kopf ging. Judy, Yasmine, Cecilia und Jessica baten mich momentan jedes Mal, wenn wir uns trafen, endlich mit Marlon und Sirius zu reden. Allerdings wusste ich nicht worüber.
Wie sollte ich ihnen sagen, dass ich sterben würde, lange bevor ich alt und grau war? Dass wir aufhören konnten, zu überlegen, wie es weitergehen sollte, wenn Carolin wieder auf der Erde war. Wie sollte ich ihnen sagen, dass ich nicht darüber traurig war, sie in nicht einmal mehr ganz drei Jahren verlassen zu müssen. Sirius würde ich wahrscheinlich regelmäßig in der Zwischenwelt sehen, doch Marlon – ihn verließ ich wohl noch für etliche Jahre. Wie alt er wohl werden würde? Achtzig oder vielleicht neunzig? Dann würden wir wahrscheinlich noch ein paar Jahrzehnte getrennt sein. Das war zugegebenermaßen schade.
Und dann gab es da noch das Problem, dass ich mir überlegen musste, wie ich Voldemort dazu bringen konnte, mir bei dem Zauber zu helfen. Was liebte Voldemort so sehr, dass er dafür seinen eigenen Hintern riskieren würde, indem er zwölf weitere Nymphen auf die Erde holte. Obwohl waren es dann überhaupt zwölf weitere Nymphen? Hatten sie nach ihren Aufenthalt in der Zwischenwelt überhaupt noch ihre Kräfte? Schließlich waren diese eigentlich an uns, ihre Nachfolger, weitergegeben worden. Oder verloren wir uns Kräfte wieder? Bei den zwölf Göttern, gut, dass ich es nicht miterleben musste, wie es war keine Kriegsnymphe zu sein. Dann musste ich wirklich noch einmal umdenken, was meine Lebensführung anging.
Doch selbst wenn es nur darum ging zwölf Zauberer wieder auf die Erde zurückzuholen, wirklich mehr Interesse an der Rückkehr von ihnen hätte Voldemort deshalb nicht. Wahrscheinlich musste man den dunklen Lord wirklich überlisten. Ihm einen Zauber zukommen lassen, welchen er unbedingt ausführen wollte, weil er sich davon noch eine viel mehr Macht erhoffte. Das Problem war nur, er würde uns niemals abnehmen, dass wir mit einem solchen Zauber zu ihm kamen.
Obwohl niemand war wohl falsch. Adina würde er es vielleicht glauben, allerdings auch nur, weil sie auf seiner Seite stand. Sie würde uns wohl kaum dabei helfen, den Verrückten zu töten.
Und dann gab es da natürlich noch mich. So ungern ich das auch zugab, aber wenn der dunkle Lord wirklich glaubte, er könne mich von seiner Seite überzeugen, gab es durchaus noch eine zweite Person, die es schaffen konnte. Mich. Als Doppelagent könnte ich den dunklen Lord hereinlegen. Ihm einen ähnlichen Zauber unterjubeln und so manipulieren, dass er mitmachen würde. Allerdings würde das auch bedeuten, ich müsste schön früher Sirius und Marlon verlassen.
Allerdings kam es auf drei Jahre mehr oder weniger wirklich an? War es nicht einfacher, wenn wir uns jetzt schon langsam voneinander lösten, als wenn ich so plötzlich aus ihrem Leben gerissen wurde? War es für meinen Onkel-Vater vielleicht einfacher, wenn ich erstmal aus seinem Bett verschwand und dann Schritt für Schritt auch aus seinem Leben? Würde ich damit verhindern, dass er in die Zwischenwelt reist, wenn ich gestorben war? Andererseits würde Sirius sich dann wahrscheinlich nur noch mehr wie ein schlechter Vater fühlen. Das war also auch nicht die Lösung.
Oder sollte ich vielleicht doch mit den beiden reden? Die Todesbotschaft konnte ich ja verschweigen und ihnen einfach erklären, dass ich es doch für notwendig hielt, genau das zu tun, was ich eigentlich nicht machen wollte. Mich als Doppelagent auf Voldemorts Seite zu schlagen, um ihm mein Messer hinterrücks in den Rücken zu rammen. Ob das die beiden wohl beruhigen würde? Vermutlich nicht, aber besser als wenn sie glaubten, sie hätten mich wirklich an den dunklen Lord verloren.
Ich sah noch einmal zu meinem Vater herüber. Die Frage war eigentlich nicht, wie Marlon und Sirius damit klarkamen. Eigentlich musste ich mir vielmehr darüber Gedanken machen, ob ich es wollte. Sollte das nicht mein erster Schritt sein? Mir zu überlegen, ob ich es mir zutraute, all dass, was ich mir so mühevoll in den letzten zwei Jahren aufgebaut hatte, für die letzten drei Jahre meines Lebens wieder aufzugeben? Alles aufzugeben, nur um Sirius und Marlon ihre Freundinnen von vor fünfzehn Jahren zurückzubringen?
Bei meinem Vater wusste ich wenigstens, dass die Beziehung Bestand hatte, aber bei Marlon und Maélys ... wir waren nicht in einem Märchen. Sie waren seit mittlerweile fast vierzehn Jahren getrennt. Klar, zwischenzeitlich hatte er sie immer mal wieder in der Zwischenwelt besucht, aber sich zu besuchen, war doch noch mal etwas ganz anderes, als zusammen zu wohnen und sich gegenseitig in den Wahnsinn zu treiben. Ob eine richtige Beziehung nach vierzehn – nein, laut der Prophezeiung nach siebzehn Jahren. Doch eigentlich war es egal, die Chance war wirklich gering.
Also wollte ich wirklich die letzten drei Jahres Leben damit verbringen, mich von all den Menschen, die ich liebte, abwenden? War nicht Sirius Bedingung für meinen Tod gewesen, dass ich vorher ein glückliches Leben führte? Das an Altersschwäche sterben konnte ich schon nicht erfüllen, sollte ich ihm nicht wenigstens den Gefallen tun und glücklich sterben? Aber war ich wirklich glücklich, wenn ich immer das Gefühl hatte, nicht alles zu tun, was in meiner Macht stand, um meine Aufgabe zu erfüllen? Und meine Aufgabe war es nun einmal die Nymphengeneration vor mir, zurückzuholen, damit sie den dunklen Lord vernichten konnte.
War es vielleicht einfach mein Schicksal auf der Erde, die unangenehmen Aufgaben zu übernehmen? War das der Grund, warum mir die guten Dinge immer genommen wurden? Damit ich am Ende bereit war, alles aufzugeben, sogar mein eigenes Leben, um die Welt zu retten? Hieß es dann auch, wenn ich nicht mein Schicksal annahm, um bei Sirius und Marlon zu bleiben, würden sie mir einfach genommen werden?
Ich wollte aber nicht dafür verantwortlich sein, wenn meinem Vater oder meinem Onkel-Vater etwas passierte. Ich wollte niemanden mehr Unglück bringen. Warum konnte ich nicht einfach ein kleiner Glücksbringen sein, so wie es auch Kira war. Egal, wo sie auftauchte, die Leute hatten sofort bessere Laune. Und vor allem starben sie nicht.
Leise stand ich von dem Bett auf. Noch einmal einschlafen würde ich heute Nacht sowieso nicht. Mein Gedankenkarusel würde sich wahrscheinlich noch die ganze Zeit weiterdrehen. Runde um Runde um Runde. Und eigentlich war es auch gut so, oder nicht? Schließlich hieß das auch, dass ich keine überstürzten Kurzschlussreaktionen nachging. Ich dachte in Ruhe darüber nach, wog pro und contra ab, plante durch, wie ich das ganze Anstellen sollte, und dann konnte ich auf Grundlage davon, eine vernünftige Entscheidung treffen.
Also sollte ich jetzt erstmal eine vernünftige Reihenfolge der Probleme erstellen. Solange die tatsächlichen Voraussetzungen für den Zauber nicht vorlagen, musste ich wohl kaum darüber entscheiden, ob ich die Last des Doppelagenten überhaupt auf meine Schultern nehmen wollte. Was brauchte ich also noch, um als Doppelagent anfangen zu können?
Das wichtigste war wohl meine kleine Schwester. Alle Nymphen mussten schließlich beim Zauber mitwirken. Die Suchen nach Natasha lief momentan sehr gut, auch wenn wir noch immer ihren Hinweisen folgten. Allerdings sah ich keinen Grund, warum meine Tyra mir nach all den Jahren plötzlich nicht mehr schreiben sollte.
Einen Zauber, den ich dem dunklen Lord unterjubeln konnte, brauchte ich natürlich auch noch. Einen Zauber, der die Macht einer Nymphe vervielfältigte. Der würde Voldemort gefallen.
Dann musste ich mir natürlich noch einen glaubwürdigen Grund einfallen lassen, warum ich die Seite wechselte. Die letzten zwei Jahre hatte ich alles daran gesetzt, die Leute davon zu überzeugen, dass ich nicht das Monster war, welches alle in mir sehen wollten. Jetzt musste ich all das wieder zerstören, damit mir am Ende jeder abkaufte, dass ich nichts weiter war als eine gefühlskalte Bitch, die vor allem eins wollte. Macht um jeden Preis und wenn sie dafür Hades ebenfalls zu neuer Macht verhelfen musste.
Zuletzt blieb natürlich noch die Frage, wie ich mit den anderen Nymphen umging. Wenn ich sie einweihte, gab es natürlich das Risiko, einer würde sich doch verplappern. Gerade bei den untrainierten Nymphen machte ich mir ziemliche Sorgen, Voldemort würde doch einfach in ihren Kopf eindringen und meinen ganzen Plan dort herausholen. Doch wenn ich sie nicht einweihte, würden sie niemals freiwillig bei dem Zauber mitmachen. Was eigentlich auch ganz gut war, denn das durften sie sowieso nicht. Niemand auf der ganzen Welt würde es Kira Lorraine abnehmen, dass sie dem dunklen Lord half. Also musste ich sie in der offiziellen Version sowieso zu dem Zauber zwingen. Da konnte ich sie doch auch im Glauben lassen, ich würde das alles ernst meinen, dann wäre es wenigstens authentisch.
Und erst wenn all diese Fragen geklärt waren, musste ich mir überlegen, ob ich nun bei Sirius und Marlon bleiben wollte oder ob ich doch meine Aufgabe als Kriegsnymphe erfüllte und bis zu meinem Tod die anderen Nymphen zurückholte.
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Hexagramm - Löwenmut
FanfictionDreizehn Nymphen auf der Erde, zwölf in der Zwischenwelt, drei Prophezeiungen über sie. Der dunkle Lord ist wiedergekehrt. Diese Nachricht hängt wie ein Damokles-Schwert über Patricia. Noch immer nagt an ihr, dass der dunkle Lord glaubt, sie würde s...