Kapitel 39

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Liebevoll kraulte ich einem Meerschweinchen unter dem Kinn. Das kleine Tier hatte den Kopf genießerisch erhoben, während sich die anderen über die Reste einer Paprika hermachten.
„Patricia?", hörte ich Sirius von unten rufen, allerdings reagierte ich nicht darauf.
Nach dem Besuch im St. Mungos hatte ich mich sofort hier nach oben zurückgezogen. Ich war froh, dass wir die Fahrt schweigend verbracht hatten, und ich niemanden erklären musste, was Alice Longbottom mir mitteilen wollte. Außerdem musste ich nicht meine verheulten Augen erklären.
„Patricia?", hörte ich wieder Sirius rufen, dieses Mal allerdings von der Treppe aus. Ich hielt in der Bewegung inne. Mein Vater wollte wohl auf jeden Fall mit mir reden, egal, ob ich es gerade wollte oder nicht.
Ich zog meine Finger wieder aus dem Meerschweinchengehege. Das Tier, welches ich gerade gekrault hatte, sah mich etwas empört an, sprang dann vom Dach des Hauses, auf welchem es gesessen hatte, und stürzte sich dann auf das Essen.
Ich selbst rappelte mich etwas widerwillig auf. Ich hatte keine Lust über Alice Longbottom und ihren kurzen klaren Moment zu reden. Die Todesser hatten gewusst, dass ich noch lebte, sie hatten mich gesucht, aber nicht gefunden. Mein Glück.
Ich lief aus dem Salon heraus. Sirius kam gerade mit Balu im Schlepptau die Treppe herauf.
„Willst du vor mir weglaufen oder ein Lebenszeichen von dir geben?", wurde ich von ihm gefragt.
„Das Lebenszeichen", gab ich ehrlich zu.
„Harry hat mir gerade erzählt, was Alice zu dir gesagt hat. Die Prophezeiung hat er nicht mehr zusammengekriegt, aber den zweiten Teil, dass jemand nach Natasha und dir gesucht hat."
„Es war die Prophezeiung über die Auferstehung von den anderen Nymphen", murmelte ich leise. Über die Auferstehung der Nymphen und meinen Tod an meinem achtzehnten Geburtstag.
„Ich vermute Mal, du hast im St. Mungos nicht geweint, weil sie die kannte", stellte Sirius fest und schob mich zurück zu den Meerschweinchen in den Raum. Balu rollte sich vor dem Käfig zusammen, Antiope steckte ihre Nase gleich bei den Meerschweinchen herein, in der Hoffnung jemand würde sich dort mit ihr beschäftigen wollen.
„Ich wollte ein wenig Ruhe, also bin ich weggerannt. In einen leeren Gang, wo zum Gedenken an die Opfer des Krieges Fotos hängen. Auch das von Carolin", erklärte ich meine verheulten Augen.
„Und dir ist klargeworden, dass du doch gerne eine Mutter hättest?", hakte er nach.
„Nein ... also schon ja, irgendwie. Also ich hätte gerne eine Mutter, aber deshalb habe ich auch nicht geweint. Sie hängt dort als Carolin Sanders, nicht als Carolin Black", erzählte ich von meiner Entdeckung.
„Das weiß ich. Samuel hatte mir erzählt, dass sie damals entschieden haben, sie nicht unter den Namen ihres Mörders laufen lassen zu wollen. Deshalb bekam Kira auch wieder den Nachnamen Sanders.
Auch wenn ich Carolin natürlich gerne mit meinem Nachnamen überall hängen sehen würde, konnte ich die Entscheidung sehr gut nachvollziehen. Ich war nach damaliger Sicht ihr Mörder, kleiner Welpe. Mit dem Namen ihres Mörders würde ich sie auch nicht dort hängen sehen wollen."
Ich schluckte schwer. Sirius nahm es einfach so hin, dass Samuel und die anderen damals beschlossen hatten, ihn aus ihr Leben zu streichen. Ein wenig beneidete ich ihn darum. Ach, was sagte ich hier. Nicht nur ein wenig. Ich war richtig neidisch auf seine nicht nachtragende Art.
„Du bist wohl nicht so begeistert davon", stellte Sirius etwas amüsiert fest.
Ich merkte, wie ich rot anlief. Auch wenn ich wusste, ich musste ihn das nun mal irgendwann sagen – es würde eh herauskommen, weil Samuel darüber sprach – der leicht amüsierte Unterton in der Antwort passte mir gerade gar nicht.
„Hey, jetzt guck nicht so säuerlich. Ich meine es nicht böse. Du willst gerne, dass die Welt nicht vergisst, dass ich Carolins Ehemann war, das ist lieb von dir."
Hätte ich doch nur so altruistische Gründe.
„Ich will nicht, dass man vergisst, dass ich nicht nur deine sondern auch Carolins Tochter war", gab ich kleinlaut zu. „Und ich habe das Gefühl, durch das Streichen von dich, hat man mich damals auch gestrichen, weil ohne dich würden Kira und ich heute nicht existieren", erklärte ich meine Tränen aus dem St. Mungos.
„Man hat dich nicht vergessen, Patricia. Ich bin mir sehr sicher, sie haben dich jeden Tag vermisst."
„Sie konnten mich nicht vermissen, sie wussten nicht, wer ich war", stellte ich fest.
„Und genau das hat man vermisst. Man hat vermisst, dich aufwachsen zu sehen. Man hat sich gefragt, wie du jetzt wohl wärst. Solche Sachen halt. Du wurdest in der Zeit deiner Abwesenheit nicht vergessen, Patricia. Das verspreche ich dir. Ich habe auch immer an meinen kleinen verschollenen Welpen gedacht."
„Ich nicht so viel an euch. Ich glaube, deshalb sollte ich mir auch nicht so sehr wünschen, dass ihr es getan habt."
„Doch das solltest du dir trotzdem wünschen, mein kleiner Welpe. Niemand will vergessen werden."

Hexagramm - LöwenmutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt