25 | HANGAR

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Die Lage auf dem Flugfeld hatte sich zugespitzt, seitdem sie es am Vortag verlassen hatten. Sie waren an derselben Stelle durch den Sicherheitszaun auf das Gelände gelangt, doch dieses Mal brauchten sie nicht Ninives Fähigkeiten um die Kämpfe zwischen den Children of Chou und den Ossfhang zu beobachten. Der kleine Spähtrupp, dem sie bei ihrem letzten Besuch des Aéroports begegnet waren, war nur die erste Vorhut gewesen.

„Die Lage ist folgende“, begann Isaak direkt, als er mit Lilian zu den anderen zurückkehrte. „Ein Hangar ist zerstört, das Schiff darin unbrauchbar, die Children of Chou haben es selbst in Brand gesetzt, bevor sie die Stellung den Ossfhang überlassen mussten.“

„Haben sie Angst, die Ossfhang könnten ihnen mit einem der Schiffe folgen?“, erkundigte sich Ninive ungläubig. Die großen Kreaturen wirkten zwar wie perfekte Kampfmaschinen aber nicht intelligenter als Herdentiere.

„Ich weiß es nicht, aber sie tun gut daran, mit allem zu rechnen. Wir wissen fast nichts über diese Kreaturen. Irgendwie müssen sie hier ja auch aufgetaucht sein“, Isaak warf Ninive einen Blick zu, den sie nicht ganz deuten konnte, dann wandte er sich wieder an die Gruppe. „Es bleiben noch drei Schiffe. Eines davon ist relativ sicher vor den Ossfhang, aber es ist das Hauptschiff von Aarick Zervett und seinen Leuten. Dort haben wir Martin zurück gelassen. Er hält sich dort versteckt bis kurz vor dem Abflug, dann wird er einen Ortungssender an diesem Schiff montieren, so können wir ihnen mit Abstand folgen ohne aufzufallen.“

Es entstand ein Moment der Stille. „Und was passiert mit Martin dann?“ Es war erneut Ninive, die die Frage stellte, die offensichtlich im Raum stand.

„Wir wissen nicht, wie diese Situation sich entwickeln wird. Martin wird direkt zu dem Hangar kommen, den wir attackieren werden. Dank des Senders haben wir – wenn alles nach Plan läuft – so lange Zeit auf ihn zu warten, wie wir die Ossfhang zurückhalten können.“ Isaak hob die Hand, als Ninive erneut eine Frage stellen wollte. „Wenn er es nicht schafft, dann wird er nach Camaret zurückgehen und von dort aus nach Paris fahren. Dort sollte er sicher sein.“

„Das war aber nicht der ursprüngliche Plan“, warf Seamus ein und erntete einen dankbaren Seitenblick von Ninive dafür.

„Seamus, dann sieh dich doch mal um!“, Isaak machte sich nicht die Mühe, seine Worte durch eine Geste zu unterstützen. „Was sagt denn unser Plan zu diesen Massen an Biestern? Wir werden so lange kämpfen, wie wir können. Für Martin.“

Seamus nickte stumm.

„Von den verbliebenen Hangars werden wir diesen nehmen“, Isaak deutete auf ein großes Gebäude, das nicht weit von ihnen entfernt stand. „Die Children of Chou werden den Hangar bald verlieren. Das macht es schwieriger für uns, denn die Ossfhang sind stark und wir können nicht lange darauf hoffen, dass sich die Feinde gegenseitig dezimieren. Aber es ist die beste Option für uns, eines der Schiffe in unseren Besitz zu bringen, ohne dass die Children of Chou Verdacht schöpfen. Wenn es gut läuft, können wir ihnen sogar in Scannerweite folgen und vorgeben, unsere Kommunikationssysteme wären ausgefallen.“

„Außerdem haben wir das hier!“, verkündete Lilian und wuchtete einen Leinensack von ihrer schmalen Schulter. „Wir haben gesehen, wie die Children of Chou überhaupt so lange gegen die Ossfhang standhalten. Sie nutzen Brandmunition. Diese Waffen hier sehen nicht mächtig aus“, sie zog eine klobig wirkende Pistole aus dem Sack, „aber sie brennen Löcher in die Panzer dieser Chitinmonster.“

Der Kampf am Hangar war aussichtslos. Die Children of Chou waren auf dem Rückzug, sofern sie noch laufen konnten, die Ossfhang überrannten den Hangar. Zu ihrem Glück war keine Zeit geblieben, auch dieses Schiff in Brand zu setzen. Ninive blickte in die riesige Halle und auf das Schiff, das sie nur von den Abbildungen in ihrem Einsatzprotokoll kannte. Es war deutlich größer, als sie es sich vorgestellt hatte, besaß in etwa die Größe einer großen Kathedrale. Der Grundkörper des Gefährts entsprach einer langgezogenen Kugel, die auf einem weitgespannten Geflecht aus schmalen, schwarzen Röhren lag, dass als großer flexibler Dämpfer die gewaltigen Hovermodule mit dem Schiffkorpus verbanden. Die Hovermodule selbst waren zwölf gigantische nach unten offene Trichter, in denen sich unzählige Düsen befanden, die für einen gleichmäßigen Schwebezustand des Schiffs sorgten, während am Heck zwei weitere, etwas spitzere trichterförmige Triebwerke für den Antriebsschub sorgten. Vorausgesetzt, sie würden dieses Schiff in ihren Besitz und zum Fliegen kriegen.

Die kleine Gruppe hatte sich durch einen Nebeneingang in den Hangar gekämpft und war hinter einigen Stapeln aus alten Kisten und Paletten in Deckung gegangen.

„Sie scheinen sich nicht für das Schiff zu interessieren“, flüsterte Lilian zu Ninives Rechten, „sie folgen den Children of Chou nach draußen.“

Tatsächlich strömte der Großteil der Ossfhang hinter den fliehenden Children of Chou wieder hinaus auf das Flugfeld. Jedoch waren die im Hangar verbleibenden Ossfhang noch zahlreich genug, um ihnen einen harten Kampf zu liefern. Und Ninive wollte sich gar nicht erst ausmalen, was passieren würde, wenn ihr Angriff entdeckt würde und die Ossfhang fähig waren, ihre Truppen zurück zu ihrem Hangar zu rufen.

Isaak gab ein Zeichen und er stürmte mit Seamus und Lilian vorwärts. Sie umrundeten die nächstgelegene Ecke des Schiffs und waren verschwunden. Ninive und Ilyena harrten in ihrem Versteck aus, bis sie schließlich Kampflärm hörten. Offenbar hatten die anderen drei einige Ossfhang überrumpelt und dann das Feuer auf weitere der Kreaturen eröffnet. Ninive gab ein kurzes Zeichen und wartete auf Ilyenas bestätigendes Nicken, dann schloss sie die Finger fest um den Griff der Pistole mit Brandmunition und lief los. Ihr Ziel war die obere Ladeluke des Schiffs, die über einen Treppenwagen, der in der Nähe parkte, erreichbar war. Sie sah sich kurz um, steckte die Waffe an ihren Gürtel und begann, die Stufen des Treppenwagens hinaufzufliegen, während sie unter sich hörte, wie Ilyena die Tür des Wagens aufriss und sich hinter das Steuer klemmte.

Es war nicht leicht, das Tempo zu behalten, während sich der Wagen in Fahrt setzte. Kurz bevor sie das obere Treppenende erreichte, stolperte Ninive und schlug mit dem Schienbein hart auf den metallenen Stufen auf. Fluchend rappelte sie sich auf und versuchte den Schmerz in ihrem Bein zu ignorieren. Ilyena hatte den Wagen mittlerweile an der Luke geparkt und folgte ihr jetzt.

Irgendwo unter ihnen hörte Ninive Schüsse, deutlich näher als der Kampflärm auf der anderen Seite des Schiffs. Sie warf einen hastigen Blick zurück und sah, dass Ilyena sie schnell einholte. Offenbar war sie es nicht, die unter ihr ein weiteres Feuergefecht begonnen hatte. Wissend, dass ihr nicht viel Zeit blieb, weiter darüber nachzudenken, konzentrierte sich Ninive auf die Luke. Sie rechnete damit, die Verriegelung mit ihrer Kraft sprengen zu müssen – nicht gerade eine Stärke von ihr – doch als sie an der Verriegelung drehte, ließ sich diese einfach öffnen. Die Children of Chou hatten das Schiff so schnell aufgegeben, dass sie es nicht einmal mehr verriegelt hatten. Ninive hatte gegen diesen Umstand nichts einzuwenden.

Sie schob die schwere Luke auf und machte einen Schritt von der wackligen Treppe ins große Schiff. Ilyena hatte sie unterdessen eingeholt und folgte ihr mit einem Satz ins Innere. Ninive spähte an ihr vorbei nach unten. Zu ihrem Schrecken sah sie, dass weitere Ossfhang in den Hangar stürmten. Sie mussten schneller sein!

Zu zweit schoben sie die Luke wieder zu und verriegelten sie. Dann ging Ninive im Geiste die Unterlagen aus ihrem Einsatzprotokoll durch. „Wir müssen diesen Gang geradeaus weiter bis zum Atrium, da gibt es Fahrstühle zu den Frachtebenen.“

Ilyena stürmte voran, die Waffe griffbereit, doch im Schiff schien sich ihnen niemand in den Weg zu stellen. Im Laufschritt folgend betrachtete Ninive den Gang genauer, der weiter zum Kern des Schiffs führte. Sie hatte ein Interieur erwartet, das an die Raumschiffe der alten Science Fiction Filme erinnerte. Stattdessen ähnelte alles den Bildern eines Kreuzfahrtschiffs aus dem 20. Jahrhundert. Abgewetzte aber dicke Teppiche liefen die Gänge entlang, die Wände waren holzvertäfelt und die Türen mit Stoffüberzügen verziert.

Ihren Schritt verlangsamend dachte Ninive darüber nach, welchen Lauf die Ereignisse genommen hätten, wäre Lilian nicht gewesen. Sie wäre direkt den Children of Chou in die Arme gelaufen, vielleicht sogar ohne zu ahnen, welche Machenschaften diese im Hintergrund führten. Vielleicht hätte sie bis zu diesem Moment alles noch für eine offizielle Mission des Instituts und der Armee gehalten. Und eigentlich war es das ja auch, nur dass wichtige Stellen in diesen Organen von einer Gruppierung unterwandert worden war, deren Ziele und Absichten sie noch immer nicht kannten. In jedem Fall wäre sie wohl einfacher auf eines dieser Schiffe gelangt. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Ossfhang ihre sichelartigen Klauen auf den Aéroport setzten.

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