64 | MUIDERPOORT

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So gut ihr der Plan in der Theorie auch erschienen war, eine alternative Route zur Ablenkung für den Rückweg zu wählen, Sequana bereute es bereits nach wenigen Minuten. Das Vorankommen in den Ruinen Amsterdams abseits der größeren Straßen war kein Spaziergang. Immer wieder war ihnen der Weg komplett versperrt und sie mussten Umwege nehmen oder sogar umdrehen und es mit einer anderen kleinen Gasse, einem eingefallenen Hauseingang oder der mühsamen Durchquerung eines Trümmerfeldes versuchen.

Ihr einziges Glück dabei war, dass die Sec-Teams die direkte Verfolgung gar nicht erst aufnahmen. Allerdings konnte Sequana von Zeit zu Zeit auf den umliegenden Straßen erkennen, dass sich dort offensichtlich Secs in Stellung brachten.

„Verdammt, die kreisen uns ein!", knurrte sie außer Atem, als sie die Reste einer alten Industrieanlage auf zwei Stockwerken Höhe erklommen hatten und einen Moment zu Atem kommen wollten, bevor sie auf der anderen Seite in die offenliegenden Ruine einer Fertigungshalle steigen wollten.

„Wie viele Leute hat van Ijssel hier?" Es war das erste Mal, dass Gallea wieder sprach, seit der Körper Doignacs sie fast erschlagen hatte. Seine Stimme klang fest und entschlossen, aber Sequana konnte seinen unterdrückten Schmerz dennoch heraushören. Die beiden Professoren waren über Jahrzehnte wie Brüder gewesen, und jetzt war einer von ihnen bei dem Versuch, den anderen zu retten, gestorben.

„Es tut mir Leid, dass wir für den Professor nichts mehr tun konnten, Bertrand", sagte sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Gallea biss sich auf die Unterlippe und warf einen flüchtigen Blick auf ihre Hand.

„Danke, Sequana, du hast alles getan, um ihn zu retten. Vermutlich verdanke ich es alleine dir, dass ich ihn noch einmal sehen und mit ihm sprechen durfte."

„Für mich fühlt es sich eher so an, als wäre ich gescheitert", entgegnete sie und duckte sich zu ihm hinter einen Mauervorsprung. Gallea sah sie von der Seite an, dann strich er ihr mit einem müden Lächeln über den Kopf.

Sequana hob den Zeigefinger. „Ich habe die Station gesehen."

„Muiderpoort?", erkundigte sich Gallea.

„Na die, an der unser Fluchtfahrzeug mit Adrian steht."

„Muiderpoort!", bestätigte Gallea.

„Ja, was auch immer", sie schüttelte schnell den Kopf. „Die Secs sind bereits in der Nähe. Sie sammeln sich auf dem Platz zwischen den beiden Trassen."

„Oh Scheiße, Adrian!"

„Ich hoffe, der ist schlau genug, sich im Truck zu verstecken und abzuhauen. Aber vor uns liegt noch diese Halle, und wenn wir das große Tor am Ende irgendwie öffnen können oder einen anderen Weg hinaus finden, sind wir am südöstlichen Aufgang und könnten von der Seite mit etwas Glück unerkannt bis zum Truck kommen."

„Mit sehr viel Glück, meinst du wohl", seufzte Gallea.

„Meinetwegen, aber versuchen müssen wir es, oder hast du eine bessere Idee?"

Gallea zuckte nur mit den Schultern und eine Minute später waren sie dabei, die zwei Stockwerke über brüchiges Mauerwerk hinunter in die Fertigungshalle zu klettern. Gallea rutschte zwei Meter über dem Boden ab und rauschte in einer kleinen Lawine aus altem Mörtel, Putz und Ziegelsteintrümmern zu Boden. Sequana half ihm hoch. Es waren nicht die ersten Schrammen, die sich die beiden auf ihrer Flucht geholt hatten, und Sequana spürte zudem immer noch die Schusswunde an ihrem Bein aus dem Bois de Boulogne. Doch Gallea war ungebremst auf sein Steißbein gefallen und das Laufen fiel ihm nun deutlich schwerer.

„Halte durch Bertrand", rief ihm Sequana zu, als sie am schweren Tor der Halle angekommen war, hinter dem die Straße lag, auf deren gegenüberliegender Seite bereits die Treppe hinauf zum Bahnsteig führte. „Das Tor ist nicht ganz geschlossen. Ich glaube, hier passen wir durch!"

Solheim 01 | EUROPAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt