34 | VERANDA

7 1 0
                                    

„Er hat vier von uns gerettet", beendete Sequana ihre Nacherzählung des zweiten Journaleintrags, den sie gehört hatte.

„Der alte Hund!", brummte Gallea. „Wer sind die anderen?"

„Außer mir? Ich kenne nur noch Ninive, sie ist aber nicht mehr in Paris."

„Ich weiß", Gallea nickte, „Cédric hat mir davon erzählt. Ich wusste, dass irgendetwas an dieser Geschichte nicht stimmte. Warum sollte das Militär Ninive rekrutieren? Sie ist gut als Forscherin und hätte sicher auch das Zeug zu einer guten Soldatin gehabt, aber nicht in dem Maße als dass sich das Militär freiwillig mit einem Somatoniker einlassen würde. Das heißt, das Militär wusste von ihr...?"

„Jemand schien es zu wissen. Ein Colonel Belnoir offensichtlich."

„Das ist General Rivells Mann, Cédric hatte ihn damals erwähnt." Gallea trommelte mit den Fingern auf die Lehne des Sofas. „Was ist mit den anderen beiden?"

„Sasha Bréa war in der Zeit hier offenbar eine Freundin von mir, aber ich hatte die Erinnerung an sie völlig verdrängt. Ich kann mich nicht daran erinnern, sie später nochmal getroffen zu haben. Ich bin mir nicht sicher, was mit ihr geschehen ist, aber ich habe vor, das herauszufinden ... sobald wir den Professor gefunden haben", Sequana versuchte sich an den letzten Namen aus dem Journaleintrag zu erinnern. „Der Professor sprach noch von einem Jungen namens Cygne. Er hat ihn als Fehltritt bezeichnet, was auch immer er damit meint. Ach und noch etwas ... der Professor sagte, er rede nicht über Sasha. Das sagte er seinem privaten Journal."

Die Worte hingen einen Moment in der Luft und es wurde still. Draußen hatte der Regen erneut eingesetzt, heftiger als zuvor sogar. Wind kam auf und blies die Regengischt unter das Dach der Veranda, wirbelte trockenes Laub aus den Ecken auf und trug es hinaus in den Wald. Der graue Himmel über den Baumkronen wurde immer dunkler, und als Sequana ihren Blick vom Fenster abwendete und zu Gallea blickte, sah sie ihn nur schemenhaft, bis sich ihre Augen wieder an die Dunkelheit im Inneren gewöhnt hatten.

„Gut, welche Spuren haben wir?", begann Gallea schließlich. „Es muss einen Grund geben, warum Cédric uns zusammengeführt hat. Unsere einzige Schnittstelle ist das Projekt von damals. Das würde auch erklären, warum er dir genau diese Informationen gegeben hat."

„Er hat mich vor einigen Tagen auch auf Ninive und die Mission angesetzt. Ich denke, es könnte mit uns zu tun haben. Das Ziel unserer Reise — hätte sie stattgefunden — wäre Camaret gewesen, der Ort, an den Ninive zu ihrer Mission aufgebrochen ist."

„Ninive ist unsere offensichtlichste Spur, doch da sie weit weg von Paris ist, ist sie vielleicht nicht unsere beste", gab Gallea zu bedenken. „Da wäre noch Sasha. Wenn Cédric demonstrativ nicht über sie sprechen wollte, muss etwas in der Vergangenheit passiert sein, das mit ihr zu tun hat. Vielleicht hilft uns das weiter?"

„Und Cygne, aber über den wissen wir gar nichts", schloss Sequana. „Natürlich könnte ich versuchen, auch in meiner eigenen Vergangenheit zu stöbern, aber da finde ich auf Kommando leider nicht viel."

„Wenn ich unbehelligt ins Institut kommen würde, könnte ich dir vielleicht helfen. Ich kenne Cédric und seine Methoden. Er hat dein Gedächtnis garantiert biochemisch blockiert. Mit den richtigen Medikamenten kann man das vielleicht rückgängig machen."

„Nein", entgegnete Sequana bestimmt, „das ist keine Option. Oder vielleicht unsere allerletzte. Aber ich habe das hier gefunden", sie öffnete ihren Rucksack und holte das Bild hervor, das sie auf dem Flügel im Salon gefunden hatte. „Vielleicht gibt es hier noch mehr Dinge von damals, die uns weiterhelfen?"

Gallea griff nach dem Bild und sah es sich lange an. Zu Sequanas Erstaunen bemerkte sie, dass er stumm weinte, während er die Gesichter der drei Mädchen ansah. Sie schluckte und sah ihn unschlüssig an. Auf solche Situationen war sie nicht vorbereitet. Wie musste sie reagieren, wenn jemand weinte, obwohl er keine offensichtlichen Schmerzen hatte? Unruhig rutschte sie auf ihrem Platz hin und her, dann streckte sie die Hand aus und nahm ihm das Bild wieder weg.

Solheim 01 | EUROPAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt