29 | SOLVEJG

10 2 0
                                    

Das Gefühl der Verbundenheit wirkte noch etwas nach, als Eva klatschnass aus dem Bad eilte und auf das Display des Notfallmelders guckte. Es war eine standardisierte Bitte um Kontaktaufnahme mit der Klinik verbunden mit einem vierstelligen Code. Diese Codes gab man bei der Rückmeldung beim Krankenhaus an und wurde dann gleich mit den richtigen Informationen versorgt und mit dem entsprechenden Ansprechpartner verbunden.

„Aljoscha Klinikum, guten Abend Dr. Aden, haben Sie einen Code für uns?“, erklang eine tiefe Stimme aus dem Comscreen.

„Ich bin noch immer kein Doktor, Leo“, entgegnete sie. „5911 ist der Code.“

„Für mich sind Sie das“, entgegnete ihr Gesprächspartner charmant. „Sekunde, ich stelle durch zu Kershin...“

„Dr. Kershin“, ergänzte Eva reflexartig, doch Leo war bereits aus der Leitung. Es dauerte fast zwei Minuten, bis der Comscreen aufflackerte und sie vom Anblick Dr. Kershins in seinem Büro weitaus weniger charmant begrüßt wurde.

„Keine Videoleitung? Wo habe ich Sie denn hergeholt?“

„Privatsache“, entgegnete Eva knapp und legte die Stirn in Falten. Wenn Kershin sich aus seinem Büro und nicht aus dem allgemeinen Labor meldete, verhieß das nichts Gutes.

„Ich komme gleich zur Sache, Eva“, begann er sachlich, „damit Sie wieder mit dem weitermachen können, wobei ich Sie gestört habe ... Patientin S-1100 ist verschwunden.“

„Was? Solvejg?!“, entgegnete Eva entgeistert und ignorierte Kershins missbilligendes Stöhnen, als sie die Patientin mit ihrem Vornamen erwähnte. „Wie kann das sein?“

„Das versuchen wir noch herauszufinden. Sie wurde vor etwa einer Stunde zuletzt in ihrem Zimmer gesehen. Offenbar ist sie weggelaufen.“

„Komisch, sie machte mir einen ganz ruhigen Eindruck, als ich sie heute verlassen habe.“

„Sie sind die Expertin dafür“, erwiderte Kershin desinteressiert. „Aber diese Klone sind schwer berechenbar, das ist ja nichts Neues.“

Eva presste die Lippen aufeinander. Sie mochte seine abfällige Art über ihre Patienten zu reden nicht, doch in diesem Fall lag er vielleicht nicht so falsch. Solvejg war auch für sie schwer einschätzbar.

„Hören Sie, ich wollte Ihnen das nur mitteilen, weil es Ihre Patientin ist, Eva. Ich will Sie wirklich nicht weiter stören an ihrem freien Abend. Sobald ich etwas weiß, werde ich mich bei Ihnen wieder melden.“

„Danke, Dr. Kershin“, entgegnete sie, zum zweiten Mal an diesem Tag verwundert über seinen Anflug von Höflichkeit ihr gegenüber. „Ich hoffe, Sie haben Erfolg.“

„Wir tun unser Bestes.“

Der Comscreen wurde schwarz, als Kershin die Verbindung beendete. Eva schüttelte sich leicht und blickte dann auf die Wasserlache unter ihr. Sie hatte sich nicht die Zeit genommen, sich abzutrocknen, bevor sie den Anruf machte, nur einen Bademantel hatte sie übergeworfen, um das Licht etwas heller schalten zu können. Seufzend ging sie wieder zurück ins Bad und ließ das Wasser aus der Wanne. Der Moment der Zufriedenheit war gewichen, doch auch das Gefühl der Einsamkeit war nicht zurückgekommen.

Erneut ertönte ein Signal, dieses Mal jedoch von der Hausanlage. Eva zog den Bademantel um ihre Taille fest und kehrte zum Comscreen zurück, um den Ruf des Portiers entgegenzunehmen.

„Ja?“, meldete sie sich.

„Entschuldigen Sie, Frau Aden, ich wollte Sie nicht stören, aber eine ... Besucherin ist hier unten bei mir und behauptet, sie wolle zu Ihnen.“ Der Portier war dem Tonfall nach etwas verwirrt.

Solheim 01 | EUROPAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt