60 | CÉDRIC

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„Wie kommen Sie hierher, Professor?" Sequana hatte gewartet, bis sich die Schritte im Treppenhaus entfernt hatten.

„Was macht ihr hier?", erwiderte Doignac die Frage. So sehr sich Sequana über das unverhoffte Wiedersehen gefreut hatte, sie hatte das Gefühl, dass Gallea und Doignac ihre Freude nicht so richtig teilen wollten.

„Nein, Cédric", ging Bertrand dazwischen, „beantworte ihre Frage. Wie bist du hierhergekommen? Du bist nicht entführt worden, oder?"

„Wenn du wissen willst, ob man mich überwältigt und in einem Sack nach Amsterdam geschleift hat, dann muss ich dich enttäuschen, Bertrand. Ich habe mich aus freien Stücken auf den Weg gemacht. Jedoch hat man mich nicht gerade vor die Wahl gestellt." Doignac sah Gallea ernst an und wollte sich bereits wieder an Sequana wenden, doch Bertrand ließ nicht locker.

„War das eine dieser Situationen, in denen du zwischen deinem Wohl als Wissenschaftler und der Moral entscheiden musstest?"

„Ist das hier eine dieser Situationen, in denen du eine Grundsatzdiskussion anfängst, die völlig fehl am Platz ist, und zu der dir eindeutig die notwendige Kenntnis fehlt?"

Sequana zog eine Braue hoch und sah von einem Professor zum anderen. „Entschuldigen Sie, aber ihr verhaltet euch beide nicht sehr erwachsen." Gallea und Doignac starrten sie einen Augenblick wütend an, dann ließ die Spannung zwischen ihnen etwas nach.

„Entschuldige, Sequana", Doignac bemühte sein väterliches Lächeln, das ihr einst so vertraut gewesen war. „Bertrand und ich sind alte Freunde, aber wir hatten schon immer gegensätzliche Ansichten. Es freut mich, dass meine Spuren euch zueinander gebracht haben. Leider hat euch meine Warnung nicht erreicht, diese Sache nicht weiter zu verfolgen, sonst wärt ihr wohl nicht hier, richtig?"

„Welche Warnung?" Sequana sah Gallea an, der jedoch nur mit den Schultern zuckte.

„Nicht weiter wichtig", entgegnete Doignac. „Das spielt jetzt keine Rolle mehr."

„Ihr Mentor hatte offenbar etwas dagegen, dass wir in Paris weiterhin ein unbehelligtes Leben führen", ergänzte Sequana.

„Charles war schon immer ein wenig ... impulsiv", Doignac seufzte.

„Impulsiv?", Sequana spürte Ärger in ihr aufsteigen. „Seine Secs hätten uns fast zerlegt."

Sie hob die Hand und alle drei verstummten, als draußen auf der Treppe erneut Schritte zu hören waren. Es dauerte eine Weile, bis wieder Ruhe im Haus eingekehrt war. Sequana sah aus dem Fenster und beobachtete einen Schwarm Stare, der über den Ruinen der gegenüberliegenden Gebäude seine Formationen flog.

„Vielleicht wäre es sinnvoll, Sie würden von vorne anfangen, Professor", sagte sie schließlich. „Und danach sollten wir darüber nachdenken, wie wir Sie hier ungesehen rausbringen."

„Also gut", Doignac warf Gallea einen warnenden Blick zu, als dieser zu einem Einwand ansetzen wollte. „Ich nehme an, dass ihr beide mittlerweile alles über mein Arrangement mit Bruchot wisst, als es um das Ende unseres Projekts im Bois de Boulogne ging?" Seine Zuhörer nickten. „Gut, er half mir dabei, vier Klone zu retten, doch das ist nicht die ganze Geschichte. Charles war schon damals im Geschäft mit Clef van Ijssel. Sie beschäftigten sich ebenfalls mit der Erforschung des Sangre, doch gingen weitaus unkonventionellere Wege, um es mal vorsichtig auszudrücken. Während unsere Experimente schon die Möglichkeiten der Institutssatzung ausreizten, waren die beiden weit darüber hinaus. Es war vor allem Bruchot, der die wissenschaftliche Seite abdeckte, aber er brauchte einen Geschäftsmann wie Clef, der ihm die nötigen Mittel verschaffte. Bruchot wollte mich bereits früh für diese Forschungen gewinnen, aber ich habe abgelehnt und mich auf die Projekte mit Bertrand konzentriert."

Solheim 01 | EUROPAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt