Kapitel 18

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Vanessa:

Es war Mittwoch und wir trafen uns zum Training. Maxi hatte uns noch am Sonntag erzählt, dass Lily zu ihren Großeltern nach Stuttgart gefahren war, um dort ihre restlichen Ferien zu verbringen. Markus reagierte kaum merklich darauf. Was war nur zwischen den beiden vorgefallen? Ich musste unbedingt mit ihm reden. Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht. Ich hatte zwar Lily auch schon gefragt, nachdem ich sie gestern angerufen hatte, aber sie hat auch nicht wirklich etwas darauf gesagt.

Anscheinend tat ihr die Zeit, bei ihren Großeltern aber ziemlich gut. Sie klang viel fröhlicher als die letzten Tage.

„Also gut, dann lasst uns anfangen. Seid ihr bereit?" Ich blickte zu Leon, unserem Anführer, meinem Freund. Wir nickten ihm alle zu und begannen mit unserem Training. Zuerst übten wir noch Pässe, dann teilten wir uns in die Mannschaften auf, in die Leon uns vorher eingeteilt hatte und spielten gegeneinander.

„Mensch Markus! Jetzt träum nicht immer und konzentrier dich! Du heißt nicht umsonst der Unbezwingbare. Oder hat Lily dich gezähmt?" Joschka grinste Markus an, dieser ließ das aber nicht auf sich sitzen und stürzte sich auf den kleineren, der leider ziemlich nah bei Markus stand und die beiden begannen sich zu prügeln. „Sag das nochmal!"

„Markus! Hör auf! Was ist denn los mit dir?" Leon und Marlon versuchten die beiden Streithähne auseinander zu bringen. „Was sollte das eben? Spart euch eure Kräfte für das Training." schimpfte Leon.

„Ach, ihr könnt mich alle mal!" schrie Markus und stapfte wütend zu seinem Motorrad. Er zog sich dabei seine Orange-schwarzen Torwarthandschuhe, die er von Lily bekommen hatte, behutsam aus, was angesichts seines Wutausbruchs ziemlich seltsam aussah. Ich lief ihm hinterher. „Markus, warte. Was ist denn los mit dir?"

„Gar nichts, lasst mich einfach in Ruhe!" So kannte ich Markus gar nicht. Er war doch sonst immer so ausgeglichen und ruhig. Seit wann war er denn so leicht reizbar?

„Du kannst mit mir reden, Markus. Egal worüber." Da blickte mich Markus das erste mal seit Tagen an. In seinem Blick, seinen Augen, lag die pure Verzweiflung. „Ich hab's verkackt, okay? Endgültig. Es ist aus. Finito. Basta. Okay? Also lasst mich endlich einfach in Ruhe!" Er zog sich seinen Helm über und fuhr schnell los. Ich starrte hinter ihm her. Leon stellte sich neben mich. „Hast du was rausgekriegt?" Ich schüttelte den Kopf. Es hatte was mit Lily zu tun und was immer er „verkackt" hatte, es nagte verdammt an ihm und ich würde den Teufel tun, irgendjemandem im Moment davon zu erzählen.

Markus:

„Ich bin wieder zu Hause." Als ob es irgendjemand in diesem Haus interessiert, dachte ich mir. „Markus? Was machst du denn schon hier? Solltest du nicht beim Fußballtraining sein?" Ich blickte meinen Vater an, der seinen Kopf aus seinem Arbeitszimmer steckte. Er war zwar noch immer nicht begeistert davon, dass ich Fußball spielte, aber inzwischen akzeptierte er es.

„Wurde abgesagt." antwortete ich knapp. Ich wollte gerade in mein Zimmer gehen als sich mein Vater vor mich stellte. „Willst du zum Golfen mitkommen?" fragte er. „Klar, wieso nicht?" antwortete ich knapp. Der Mund meines Vaters klappte erstaunt auf. Bis jetzt hatte ich immer abgelehnt, ich hasste es zu golfen und irgendwann, als mein Vater akzeptiert hatte, dass ich Fußball spielte, hatte er auch damit aufgehört mich mitzunehmen. Warum auch immer er jetzt wollte dass ich mitkam, ich würde vielleicht wenigstens auf andere Gedanken kommen. Seit dem Kuss mit Lily ging sie mir gar nicht mehr aus dem Kopf. Ich wusste, dass ich sie nicht haben konnte, nicht durfte. Sie musste erst über sich selbst klar werden. Also hab ich sie von mir gestoßen, gesagt dass der Kuss ein Fehler war und ich es bereute. Auch wenn ich anders empfand. Aber es war das beste so. Ich hab doch gespürt, welche Angst sie hatte, als ich sie geküsst hab. Wie sie sich angespannt hatte.

„Was ist los mit dir Markus? Du würdest doch nie freiwillig mit mir golfen gehen. Du hasst Golf. Das hast du doch immer gesagt. Was hast du auf dem Herzen, Sohn?"

Ich sah meinen Vater an. Wir hatten noch nie die beste Beziehung zueinander, warum sollte ich mich also ausgerechnet jetzt ihm anvertrauen? „Was habt ihr denn alle nur mit mir?! LASST MICH DOCH EINFACH IN RUHE!!! MIR GEHT ES GUT!!!" schrie ich ihn wütend an und lief in mein Zimmer wo ich die Tür zuknallte. Ich warf mich rücklings auf mein Bett und starrte an die Decke. Wenige Minuten später stand plötzlich mein Vater vor mir. „Markus, ich weiß, wir beide, wir haben es nie leicht zusammen gehabt. Aber du bist trotzdem mein Sohn und wirst es auch immer bleiben. Egal was passiert, oder passiert ist. Ich will nur dass du weißt, dass du mit deinen Problemen zu mir kommen kannst und wir werden versuchen zusammen eine Lösung zu finden, in Ordnung?" Ich stützte mich auf meine Ellenbogen und sah den Typen an, der aussah wie mein Vater. „Okay? Wer sind Sie und was haben Sie mit meinem Vater gemacht?" Das entlockte ihm ein Lachen. Ja! Mein Vater lachte aus vollstem Herzen, das hatte ich schon viel zu lange nicht mehr gehört. Er drehte sich lachend um und verschwand aus meinem Zimmer. Ich starrte ihm kopfschüttelnd hinterher.

Lily:

Ich saß in meinem Zimmer und dachte nach. Darüber wie ich mit meinem Opa hierher gefahren war. Fast zweieinhalb Stunden fuhren wir nach Stuttgart. Opa und ich hatten die Fahrt eher schweigend verbracht, aber das war nicht schlimm oder unangenehm. Wir hatten vorhin schon ausgiebig über das gesprochen, was vorgefallen war. Ich hatte ihm alles erzählt. Während der Fahrt hingen wir einfach unseren eigenen Gedanken nach. Es war schon spät als wir ankamen, aber Oma hatte natürlich gewartet, bis wir angekommen waren. Als sie mich sah, drückte sie mich fest in ihre Arme. „Da bist du ja endlich Tessa! Es ist schön dass du wieder hier bist. Die Zeit die du im Internat bist, ist immer so schrecklich." Es war nicht das erste Mal, dass Oma mich mit meiner Mutter verwechselte. Meine Oma war an Demenz erkrankt und da ich meiner Mutter sehr ähnlich sah, passierte ihr dass immer wieder. Vor allem, wo sie mich nicht allzu oft sah, da meine Großeltern doch ein Stück weit weg wohnten. Opa hatte mir schon erzählt, dass seit Mamas Tod, sich der geistige Zustand von Oma rapide verschlechtert hatte. Es war also das beste ich stieg darauf ein. „Ich freu mich auch dich wiederzusehen." Ich umarmte sie ebenfalls, obwohl es mir doch sehr schwer fiel. Als ich Opa in die Arme schloss, fiel es mir genauso schwer wie bei Oma jetzt, aber ich wusste dass ich den beiden voll vertrauen konnte und das machte alles viel erträglicher. Opa trug meine Tasche rein und führte mich in mein Zimmer, dass ich immer hatte, wenn ich bei den beiden blieb. Dies war also mein zu Hause für die nächsten 4 Wochen. Ich stieß die Luft aus und machte mich auf den Weg zu meinen Großeltern ins Wohnzimmer.

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