[Juni 1994]
Emily trommelte mit den Fingern auf den Tresen und schaute mich besorgt an. Ich wich ihrem Blick aus und starrte stattdessen auf den leeren Boden meines Glases.
Die Bar war rappelvoll und unheimlich laut.
Das Wetter war genauso stürmisch wie an dem Nachmittag vor fast 13 Jahren, an dem ich mit Shawn das Haus der Bonys verlassen hatte. Die folgenden Tage bei meiner Mutter waren kaum auszuhalten gewesen, weshalb ich Shawns Angebot doch angenommen und einige Wochen bei ihm gelebt hatte.,,Heute mal alleine?"
Ich drehte mich herum und sah einen blonden Mann in meinem Alter.
,,Ja, das war der Plan", murmelte ich.
,,Tyler Hanny", stellte er sich vor.
Anscheinend bemerkte er nicht, dass seine Gesellschaft nicht unbedingt erwünscht war.
,,Saphira May", grüßte ich zurück.
,,Ich habe dich schon oft mit deinem Freund hier gesehen und wollte wissen, ob alles in Ordnung ist. Du siehst ein wenig traurig aus", erklärte er.
Aha, interessante Art zu fragen, ob ich einen Freund hatte.
,,Er ist nicht mein Freund. Zumindest nicht die Art von Freund", antwortete ich knapp.
Emily grinste hinter dem Tresen, während sie eines der Gläser polierte.
,,Entschuldige, ich wollte nicht stören, ich gehe dann wieder", sagte er und schien es endlich verstanden zu haben.
,,Warte, so war das nicht gemeint", erklärte ich schnell.
Es waren Louises Worte gewesen, die mich dazu gebracht hatten, diesen Satz zu sagen.
,,Du musst es doch wenigstens versuchen", ,,Du kannst doch unmöglich immer noch an ihm hängen" und ,,Lass dich doch einfach mal auf den nächsten ein" waren Sätze, die ich mir in letzter Zeit ständig hatte anhören müssen.
Tyler setzte sich auf den Hocker neben mir und ich bemerkte Emilys verstohlenes Grinsen. Auch sie teilte Louises Meinung.
,,Warst du auch auf Hogwarts?", fragte er.
Hogwarts. Dort hatte ich immer wieder hin gewollt, mich aber nie getraut. Es war der Ort gewesen, an dem mein Leben für die nächsten 17 Jahre eine Katastrophe werden sollte. Man sollte meinen, man würde nach all den Jahren alles vergessen können, aber Gefühle konnte man nicht vergessen.
,,Ja, habe vor ungefähr 17 Jahren meinen Abschluss dort gemacht. Und du?"
,,Deshalb kamst du mir so bekannt vor. Ich schätze, du warst damals zwei Jahrgänge unter mir", erklärte er freundlich.
,,In welchem Haus warst du?", fragte ich neugierig.
,,Slytherin und du?", antwortete er.
,,Dann weiß ich auch, warum wir uns nie kennengelernt haben. Ravenclaw", ich lachte kurz auf.
,,Das sind immer diese Vorurteile. Wir sind nicht alle so schlimm, das musst du mir glauben. Klar, da gab es schon immer viele Idioten, aber auch viele wirklich Nette", erklärte er und klang ein wenig beleidigt.
,,Entschuldige, so war das nicht gemeint. Ich kannte damals kaum welche aus eurem Haus und die, die aufgefallen sind, haben wirklich viel Mist gebaut", erzählte ich.
Ich dachte an Zack, der Carla damals das Leben zur Hölle gemacht hatte.
,,Außerdem hatte ich einige Freunde in Gryffindor und deren Einstellung kennst du ja", fügte ich hinzu.
Der Gedanke an sie schmerzte. Tyler schien es zu bemerken und wechselte schnell das Thema.
,,Wo arbeitest du?"
Witzige Frage, dachte ich. Seit ich zurückgekommen war, hatte ich hier und dort gearbeitet, meistens als Aushilfe. Momentan arbeitete ich in einem Laden in der Winkelgasse, was mir aber keinen großen Spaß bereitete.
,,Bei Flourish & Blotts und du?", fragte ich.
,,Bei Gringotts. Dann müssten wir uns ja sicher mal begegnen", er lachte ein wenig.
,,Ich denke, ich muss langsam gehen", erklärte ich, als mich wieder ein merkwürdiges Gefühl überkam.
,,Darf ich dich nach Hause begleiten? Es ist schon dunkel", meinte er sofort.
Ich blickte zu Emily, die grinsend nickte.
,,In Ordnung", willigte ich ein, ,,dann bis demnächst Emily."
Sie stützte ihr Kinn auf ihre Hände und winkte grinsend, während wir uns unseren Weg durch die volle Bar schlugen.Wir schlenderten durch die dunklen Gassen und unterhielten uns gut. Obwohl es schon Sommer war, war es ein bisschen kalt in der Dunkelheit. Unter einer schwach beleuchteten Laterne blieb Tyler plötzlich stehen. Ich drehte mich ein wenig verwundert zu ihm um. Er zog sich seine Jacke aus und legte sie mir um die Schultern.
,,Du erkältest dich noch", bemerkte er besorgt.
,,Ich habe ein gutes Immunsystem", protestierte ich schnell.
Er lachte ein wenig und unsere Blicke trafen sich.
,,Tu es, lass es zu. Versuche es wenigstens" hätte Louise gesagt. Ich versuchte es wirklich.
Er trat noch einen Schritt näher und legte seine Hand an meine Wange. Ich sah wieder seine grünen Augen und wusste, ich würde es nicht tun können.
,,Entschuldige", murmelte ich und nahm seine Jacke von meinen Schultern.
Er nahm sie verständnislos entgegen.
,,Habe ich irgendwas gemacht?", fragte er plötzlich verunsichert.
,,Nein, es liegt an mir. Ich sollte den Rest alleine gehen. Danke für den Abend, wir sehen uns sicher in der Winkelgasse. Gute Nacht", sagte ich hastig und drehte mich um, bevor er etwas sagen konnte.
Schnellen Schrittes eilte ich durch die Nacht zurück in unsere kleine Wohnung.
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Remus Lupin (Rumtreiber & PoA) ff: Von Smaragden und Saphiren
Fanfiction,,Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall treffen" -Friedrich Dürrenmatt Eine Begegnug im Hogwarts-Express und ihre Auswirkungen stellen das Leben von Saphira May komplett auf den Kopf. Eigentlich sollte die jun...