4. [ER]

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Als ich auwachte, fühlte ich mich noch schlechter als zuvor. Meine Kopfschmerzen wurden schlimmer und die Müdigkeit war immer noch da. Ich entschied mich dazu, trotzdem schon mal aufzustehen und zu schauen, was Shawn und Louise machten.
Ich bekam einen kleinen Schreck, als der Gemeinschaftsraum mal wieder komplett ausgestorben war. Nicht mal ein paar aufgeregte Erstklässler, die sich lauthals über Hogwarts unterhielten und auch keine Fünftklässler, die halb schlafend in den Sesseln hingen.
Mit einem Blick auf die Uhr fiel mir auch der Grund dafür auf: Es war schon längst Zeit zum Abendessen.
Ich konnte von Glück reden, wenn überhaupt noch etwas da wäre. Ich eilte in die Große Halle, während ich mich immer noch fragte, warum Louise mich nicht geweckt hatte, sie wusste doch, dass ich schlief.
Ich quetschte mich an den anderen vorbei, um zu Shawn und Louise zu gelangen, aber da war schon das nächste Problem.
,,Wo ist Louise?", fragte ich.
Shawn zuckte ein wenig zusammen und warf mir einen bösen Blick zu.
,,Musst du dich so anschleichen? Keine Ahnung, ich dachte, sie wäre bei dir. Ich bin von der Bibliothek aus direkt hierher gekommen", sagte er und wandte sich wieder seinem Essen zu.
Ich setzte mich neben ihn und freute mich darüber, dass doch noch so viel übrig geblieben war.
,,Und wieso kommst du überhaupt so spät?", fragte Shawn und blickte mich von der Seite an.
,,Ich hab geschlafen, da ich ziemliche Kopfschmerzen hatte. Ich dachte eigentlich, Louise würde mich wecken, wenn es Zeit wird", antwortete ich und konnte ein Gähnen am Ende des Satzes nicht unterdrücken.

,,Ich denke, ich gehe nochmal in die Bibliothek, ich bin vorhin nicht ganz fertig geworden", meinte Shawn und richtete sich langsam auf.
,,Ich komme mit, ich habe mich ja auch noch nicht nach neuen Büchern für dieses Schuljahr umgeschaut."
Shawn blickte zu mir runter und lächelte kurz.
,,Vielleicht ist Louise ja auch dort", überlegte ich laut, aber Shawn war anderer Meinung.
,,Ich war doch bis kurz vor dem Essen dort, warum sollte sie dann also das Essen verpassen, um in die Bibliothek zu gehen?"
Ich dachte kurz nach, aber musste ihm doch zustimmen. Die Bibliothek war schon recht voll, da wir noch sehr lange in der Großen Halle gesessen hatten, in der Hoffnung, Louise würde vielleicht doch noch kommen. Shawn lief zielstrebig zu einem Regal, in dem vermutlich das Buch stand, was er vorhin angefangen hatte.
Ich schaute mich um und erstarrte für einen kurzen Moment. Remus Lupin saß am Fenster, den Kopf in den Händen, über ein Buch gebeugt. Es war komisch, ihn ohne seine Freunde anzutreffen, weshalb ich mich schnell nach Shawn umsah, mir ein Buch schnappte und mich ihm gegenüber setzte.
,,Ich kann mich nicht wirklich konzentrieren und vielleicht sollte ich doch mal nach Louise schauen. Sie hat eigentlich noch nie beim Essen gefehlt", sagte Shawn und auf seiner Stirn bildete sich eine Sorgenfalte.
,,Viel Glück, ich werde noch ein wenig lesen. Sie kann ja später noch hoch kommen, wenn du sie findest."
Er lächelte mir kurz zu und verschwand dann durch die Tür. Ich kannte Louise gut und wusste, dass sie ein wenig war wie ich. Wenn sie verschwand, dann wollte sie wahrscheinlich nicht gefunden werden, also machte ich mir keine all zu großen Sorgen um sie.
Kaum hatte ich meinen Blick wieder meinem Buch zugewandt, bemerkte ich aus dem Augenwinkel jemanden auf mich zukommen.

,,Hey, kann ich mich setzen?", fragte er lächelnd.
Ich lächelte schüchtern zurück und nickte.
,,Na, heute mal alleine?", hörte ich meine etwas nervöse Stimme fragen.
,,Naja, lesen ist nicht gerade deren liebste Beschäftigung."
Remus lachte kurz auf und blickte zur Seite.
,,Das hätte ich mir denken können", ich lächelte nun auch.
,,Und Shawn und Louise? Die sind doch öfter hier mit dir."
Er wusste, dass wir öfter hier waren, also musste er uns schon gesehen haben.
,,Wo Louise ist, weiß ich nicht, sie war nicht in der Großen Halle. Nun ja und Shawn ist sie eben suchen gegangen, da er schon den halben Tag hier verbracht hat."
,,Achso. Dann hast du sie vor dem Essen schon gesucht? Weil du so spät kamst, meine ich."
Er hatte mich vorhin also auch beobachtet?
,,Naja, eigentlich nicht wirklich. Ich habe verschlafen und dachte, sie wäre schon unten."
,,Achso", er nickte.
Ich schaute an ihm hoch und bemerkte jetzt erst seine grünen Augen, die wie zwei Smaragde funkelten. Mein Magen zog sich leicht zusammen, als sie meinen Blick kreuzten. Ich schaute schnell wieder auf den Boden.
,,Was liest du?", er deutete auf mein Buch.
,,Nichts besonderes, bloß etwas über die verschiedenen Tierwesen. Ist aber sehr nett geschrieben. Und du?"
,,Ich habe eben ein Buch über Muggelgewohnheiten beendet. Ich dachte, vielleicht könntest du mir ein neues empfehlen."
Das Buch wäre sicher etwas für Shawns Eltern, dachte ich mir.
,,Ich kenne ein paar gute, aber die gibt es nicht hier, sondern bei Flourish and Blotts oder in Hogsmeade", überlegte ich, ,,wenn du magst, kann ich sie dir aufschreiben und du holst sie, wenn du nächstes mal dort bist."
Er räusperte sich kurz und blickte nervös auf eines der hohen Regale.
,,Vielleicht magst du ja auch mitkommen und sie mir dann zeigen? Vielleicht beim nächsten Wochenende, an dem wir nach Hogsmeade dürfen. Also nur, wenn du wirklich willst und Zeit hast natürlich."
Mein Herz machte einen kurzen Aussetzer. Ich hatte zu sehr Angst, meine Stimme könne versagen, sodass ich bloß nickte und lächelte. Das nächste Wochenende, an dem wir nach Hogsmeade gehen konnten, lag noch weit entfernt, trotzdem stieg die Aufregung jetzt schon in mir hoch.

,,Das Buch würde ich auch gerne lesen."
,,Welches?", fragte ich Shawn ein wenig verdutzt, als ich ihn im Gemeinschaftsraum antraf.
,,Na das, was dich so zum Grinsen bringt", antwortete er.
,,Achso, ja, ich wusste gar nicht, dass es so viele niedliche Tierwesen gibt."
Er drehte seinen Kopf leicht zur Seite und grinste dann ziemlich belustigt.
,,Na dann scheint ja alles bestens zu sein."
,,Ja, denke schon. Hast du Louise mittlerweile gefunden?"
Er nickte in Richtung der Tür, die gerade geöffnet wurde.
,,Ja, habe ich."
Louise kam auf uns zu und schien recht zufrieden zu sein.
,,Entschuldigt, dass ich nicht beim Essen war. Ich bin ein wenig draußen gewesen, das Wetter war einfach zu schön, um in der Halle zu sitzen."
Shawn und ich guckten uns etwas zweifelnd an, entschieden uns aber schweigend dazu, nicht mehr nachzufragen. Sie schien glücklich zu sein und das war schließlich die Hauptsache.
,,Und was habt ihr den ganzen Abend noch gemacht? Habt ihr euch ohne mich sehr gelangweilt?", fragte sie uns nun.
Wir erzählten ihr, was alles passiert war, aber die Geschichte mit Remus ließ ich erstmal aus.

Wenige Stunden später stiegen Louise und ich zu unseren Betten hoch. Morgen würde der erste Schultag wieder beginnen und das zum letzten Mal für uns.
Vor wenigen Jahren war es noch so weit entfernt gewesen, sodass wir uns über all das kaum Gedanken gemacht hatten. Aber jetzt kam die Zeit, sich Gedanken um die Zukunft zu machen.
Louise wollte am liebsten hauptberuflich Quidditsch spielen, während Shawn überlegte, Auror zu werden. Ich hatte allerdings noch keinen Plan, denn am liebsten würde ich einfach auf dieser Schule bleiben.
Hogwarts war mittlerweile mein Zuhause geworden. Es war der einzige Ort, an dem ich mich wirklich wohl fühlte. Schon früher hatte ich Zuhause große Probleme gehabt und war daher unheimlich froh, als ich von dieser neuen Welt gehört hatte.
Aber keine meiner Vorstellungen kam an die Realität ran, denn Hogwarts und die gesamte Zaubererwelt waren schöner als alles, was ich je zuvor gesehen hatte. Die Landschaft war wunderschön, die Städte waren einzigartig, ich habe die nettesten Menschen kennengelernt und den besten Hauslehrer, den es gab.
Dieser Ort war nicht bloß auf eine Art magisch, sondern in jeder Hinsicht. Dass ich all das nächstes Jahr nicht mehr haben könnte war eine schreckliche Vorstellung, die sich plötzlich in ein unglaubliches Gefühl der Freiheit verwandelte.
Ich saß auf einem Hippogreif und flog mit ihm über den See, während der Riesenkraken aus dem Wasser grüßte. Der Wind rauschte an mir vorbei. Die Oberfläche des Wassers bewegte sich leicht und kleine Lichter tanzten auf ihr hin und her.
Die Berge vor mir wurden immer größer und Hogwarts ließ ich immer weiter hinter mir, bis es letztlich komplett verschwunden war. Ich war nicht traurig und schaute nicht mehr zurück, denn ich vertraute dem Hippogreif, dass er mich an einen schöneren Ort bringen würde. Ich entdeckte ein riesiges Gebäude in der Ferne, das mir sehr vertraut vorkam. Und plötzlich sah ich es: der Hippogreif hatte mich wieder nach Hogwarts gebracht.

Remus Lupin (Rumtreiber & PoA) ff: Von Smaragden und SaphirenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt