41. [Die ganze Wahrheit]

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Shawn und Remus verstanden sich mit der Zeit immer besser. Als ich einige Tage nach unserer Ankunft aus der Winkelgasse kam, erwischte ich die beiden sogar bei einer Partie Zauberschach.
Louise hatte mittlerweile auch eine Eule geschickt und uns mitgeteilt, dass sie einen Tag vor Weihnachten mit Lucy kommen würde.
Ich hatte den Wunsch gehabt, die Bonys einzuladen und Shawn hatte zugestimmt. Katelyn und Jonathan wollten mit Walter in Island bleiben, da sie selbst eine große Familienfeier geplant hatten, aber Connor und Jacky waren sehr begeistert gewesen, da sie der großen Feier so entgehen konnten.

Einen Tag vor Louises Ankunft wollte ich Remus ein bisschen mehr von der Umgebung zeigen. Shawn arbeitete sowieso noch, also hatten wir alle Zeit der Welt.
Die Sonne schien hell am Himmel und ließ den Schnee leuchten. Wir hatten uns zuvor in fast 10 Schichten mit Pullis und Schals eingewickelt, ehe wir in die Kälte gestapft waren.
Wir liefen fast eine Stunde, bis wir einen schönen Platz fanden, an dem wir uns setzen konnten. Es war mein Lieblingsplatz, an den ich seit Jahren immer kam, wenn ich alleine sein musste. Dieses Mal war ich allerdings nicht alleine und das fühlte sich großartig an.
Es war ein abgelegener Platz an einem Waldsee. Kaum einer kannte ihn, da die meisten Menschen selten in die Natur gingen. Nur eine einzige Bank stand dort, sodass man einen perfekten Blick über den zugefrorenen See hatte.
,,Es ist wirklich schön hier", bemerkte Remus und setzte sich neben mich auf die Bank.
Ich nickte, legte meinen Kopf in den Nacken und schloss meine Augen. Der Geruch von Tannen lag in der Luft.
,,Und weißt du, was das beste ist?", fragte Remus plötzlich.
Ich öffnete die Augen wieder und schaute ihn erwartungsvoll an. Seine Augen funkelten.
,,Hier müssen wir nicht aufpassen, dass uns irgendein Lehrer oder Schüler erwischt", sagte er lächelnd und legte seinen Arm um mich.
Ein Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus. Er hatte recht, darüber hatte ich noch nicht wirklich nachgedacht. Hier mussten wir nicht nur Kollegen sein und uns heimlich treffen.
,,Ich denke, ich kann es dir jetzt sagen", erklärte er leise.
Ich schaute ihn fragend an, doch er wandte seinen Blick nicht vom See ab.
,,Was meinst du?", fragte ich.
Er holte tief Luft und ich merkte, wie seine Hände leicht zitterten.
,,Ich möchte dir von dem Tag erzählen, an dem ich die wohl dämlichste Entscheidung meines Lebens getroffen haben. Dem Tag, an dem ich mich von dir getrennt habe."
Mein Herz setzte aus. Warum genau jetzt? Es war ein wunderschöner Moment, ich wollte jetzt nicht an damals denken. Andererseits wollte ich endlich erfahren, was ihn dazu gebracht hatte. Also schwieg ich.

,,Es war Vollmond und damals hatte ich noch keinen Wolfsbanntrank. Jede Vollmondnacht war grausam. Erst die undenkbaren Schmerzen und dann der Verlust meines Verstandes. Ich war kein Mensch mehr, sondern eine Bestie. Ich hätte jeden töten wollen, der sich mir genähert hätte.
Ich konnte trotzdem nur an dich denken. Es half mir auf seltsame Weise, meinen Verstand nicht ganz zu verlieren. Doch plötzlich mischte sich ein Gedanke darunter, der sagte: 'Bring sie um'. Als ich am nächsten Morgen im Krankenflügel lag, war dieser Gedanke in mein Gehirn gebrannt. Natürlich nicht mehr als Aufforderung, sondern als Schamgefühl."
Ich bemerkte die Gänsehaut, die sich bei seinen Worten auf meinem Körper gebildet hatte.
,,Es gab einen Grund, den ich dir bisher nicht erzählen konnte, weil ich mich schlecht gefühlt habe, wenn ich daran gedacht habe. Aber ich denke, du verdienst die ganze Wahrheit.
An jenem Morgen, als ich im Krankenflügel lag, waren Sirius und James zu müde, um mich selbst zu besuchen, also haben sie Peter geschickt."
In meinem Kopf ging alles durcheinander. Was war so unangenehm gewesen, dass er es mir nicht hatte sagen können?
Remus atmete tief durch und sprach so ruhig weiter wie zuvor.
,,Ich habe ihm von diesem Gedanken erzählt und das war wohl mein großes Pech. Ich will nicht sagen, dass es seine Schuld war oder die von Sirius und James, weil sie nicht gekommen sind. Es war letztlich allein meine Schuld, nur will ich dir erklären, wie es dazu kam.
Sirius und James hätten mich für den Gedanken geohrfeigt und mir gesagt, ich sei keine Bestie, würde dich niemals verletzen und dürfe dich auf keinen Fall verlassen. Doch Peter sagte nichts. Fast nichts jedenfalls.
'Vielleicht wäre sie mit Shawn ja sowieso besser dran' waren seine genauen Worte."
Die Magie dieses Ortes war verflogen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das man nicht beschreiben konnte. Immer wieder gingen mir seine Worte durch den Kopf.
,,Und das hast du so einfach geglaubt?", fragte ich leise.
Er schüttelte den Kopf.
,,Von einfach kann da keine Rede sein. Es war der letzte Tritt, den ich gebraucht habe. Ich habe dich manchmal mit Shawn gesehen, aber ich wusste, dass du ihn nicht liebst. Deine Augen haben bei ihm nie so gestrahlt.
Und trotzdem bin ich wohl ein bisschen eifersüchtig gewesen. Ich wusste, du könntest ihn sofort haben, wenn du nur wolltest. Außerdem wäre er so viel besser für dich gewesen.
Wenn ich mit Sirius und James darüber gesprochen habe, haben sie mich gestärkt. Sie haben mir versichert, dass ich gut genug für dich wäre.
Peter hat es an diesem Morgen nicht getan. Sicher, er war nicht dafür verantwortlich und hat es auch nicht böse gemeint. Er war eben ein bisschen feige manchmal. Er konnte einem nicht widersprechen und das war mein Problem an diesem Tag.
Nach dieser schrecklichen Nacht habe ich jemanden gebraucht, der mir widerspricht, statt mich in meiner Meinung zu unterstützen."
,,Aber das habe ich doch getan. Habe ich es dir an dem Abend nicht gesagt?", fragte ich verzweifelt und wütend zugleich.
,,Das hast du, aber da war es zu spät. Da stand mein Entschluss schon fest. An dem Punkt konnten mich ja nicht mal Sirius oder James davon abhalten. Und glaub mir, das haben sie versucht", erklärte er.
,,Aber er war dein Freund. Wieso hat er nicht versucht, dich aufzubauen? Man kann doch nicht zu feige sein, um dem anderen zu sagen, dass er wundervoll ist", sagte ich verständnislos.
Remus blickte mich endlich an und lächelte leicht.
,,Ich möchte nicht, dass du ihm die Schuld gibst, denn es war, wie bereits gesagt, mein eigenes Versagen. Ich konnte es dir bisher nicht sagen, weil man nicht schlecht über Tote spricht.
Ich dachte nur, dass du jetzt endlich die Wahrheit verdienst", erklärte er mit glasigen Augen.
,,Danke", sagte ich leise.
Jetzt, dachte ich, würde ich hoffentlich mit allem abschließen, die Zeit ruhen lassen können. Und irgendwie verstand ich ihn jetzt besser. Trotzdem loderte eine kleine Wut auf Peter in meinem Magen. Wieso hatte er ihm nicht geholfen?
,,Ich möchte einfach mit all dem abschließen. Ich möchte unsere Vergangenheit akzeptieren und endlich Platz für unsere Zukunft schaffen. Und diese Zukunft möchte ich mit dir verbringen, Saphira", sagte er plötzlich.
Wärme durchströmte meinen eisigen Körper.
,,Ich auch, Remus", sagte ich mit zittriger Stimme.
,,Sobald die Sache mit Sirius geklärt ist, gehen wir zu Dumbledore und erklären ihm alles. Momentan ist es einfach zu gefährlich mit Severus. Er wird uns alles in die Schuhe schieben, wenn er sieht, dass wir zusammen sind. Wahrscheinlich denkt er, wir würden uns gegen die Schule verschwören oder so. Aber wenn das alles durch ist, möchte ich, dass es alle wissen", erklärte er und nahm meine Hand.
Ich musste vor Erleichterung plötzlich lachen. Es war das schönste Gefühl, das ich seit Langem hatte. Nun gab es wirklich keine Geheimnisse mehr zwischen uns. Ich hoffte von ganzem Herzen, dass das mit Sirius bald ein gutes Ende nehmen würde und wir alle zusammen glücklich werden könnten.

Remus Lupin (Rumtreiber & PoA) ff: Von Smaragden und SaphirenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt