42. [Die Wölfin]

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Die nächsten Tage vergingen immer schneller. Connor und Jacky reisten schon zwei Tage nach Weihnachten ab, während Louise und Lucy noch eine Woche bei uns blieben. Somit rückte aber auch der erste Schultag des neuen Jahres immer näher.
Ein Teil in mir sagte, es sei das beste, nicht zurück nach Hogwarts zu gehen. Der vernünftige Teil erinnerte mich an die ganzen lieben Schüler und meine netten Kollegen. Außerdem wurde es nun auch langsam wieder etwas wärmer und sonniger, was die Stunden draußen um einiges angenehmer machen würde.

Am Tag unserer Abreise wachte ich morgens früh auf. Remus und Shawn schliefen beide noch. Ich schlich in unser Wohnzimmer und setzte mich ans Klavier. Für einige Sekunden saß ich wieder in der Wohnung meiner Mutter. Doch hier gab es keinen Streit mehr, den ich mit meiner Musik übertönen wollte und auch keine Trauer, von der ich mich ablenken musste. Nein, hier war alles perfekt.
Ich ließ meine Finger sanft über die Tasten schweben und lächelte.
Aus dem Augenwinkel sah ich Remus, der im Türrahmen lehnte. Er hatte die Arme verschränkt und starrte auf mich herab.
Als ich mit dem Lied fertig war, sah ich zu ihm auf. Seine Haare und auch sein Bart waren über die Ferien wieder ein ganzes Stück gewachsen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn jemals so lebendig und freudig gesehen zu haben. Er strahlte fast vor guter Laune. Seine Augen funkelten amüsiert.
,,Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken", sagte ich etwas schuldbewusst.
Ich stand auf, klappte das Klavier zu und lief zu ihm.
,,Ich könnte mir keinen schöneren Wecker vorstellen", flüsterte Remus.
Er strich mir leicht über die Wange. Ich wurde bei seiner Berührung immer noch ein wenig rot. Ich legte meine Arme um ihn und sah ihm in seine strahlend grünen Augen.
,,Ist ja ekelhaft. Ich bin doch gleich auf der Arbeit", sagte Shawn plötzlich.
Ich fuhr herum und lächelte verlegen.
Shawn schlurfte müde in die Küche.
,,Gibst du uns einen kurzen Moment?", fragte ich Remus.
Er nickte und ich folgte Shawn in die Küche.

,,Alles in Ordnung?", fragte ich etwas besorgt.
Er gähnte ausgiebig und biss anschließend in sein Brot.
,,Klar, war doch bloß ein Witz", sagte er mit vollem Mund.
Ich lachte und wusste, Louise hätte ihn für seine fehlenden Manieren getadelt.
,,Ich habe ihn ein bisschen beobachtet und wenn du ihn nicht heiratest, machst du wirklich einen Fehler", sagte er.
Er hatte wohl keine Ahnung, wie sehr ich mich über seine Worte freute.
,,Danke", sagte ich glücklich.
,,Hör zu, ich kann euch leider nicht mehr begleiten, die Arbeit ruft. Aber ich komme euch auf jeden Fall in Hogsmeade besuchen. Bitte pass auf dich auf. Ich werde euch informieren, wenn wir mehr über Sirius wissen", sagte Shawn mit besorgtem Blick.
,,In Ordnung", antwortete ich knapp.

An diesem Tag apparierten wir nach Hogsmeade, da wir uns nicht hetzen wollten, um den Hogwarts Express noch zu bekommen.
Auch in Hogsmeade lag noch eine dicke Schneeschicht, die das ganze Dorf weiß aufleuchten ließ. Allerdings fiel kein neuer Schnee mehr, da die Sonne schien und es langsam wieder etwas wärmer wurde.
,,Danke, dass ich bei euch feiern durfte", sagte Remus lächelnd.
,,Danke, dass du unsere Feier bereichert hast", antwortete ich und zwinkerte ihm zu.
,,Dann sind wir ab jetzt wohl erstmal wieder Kollegen", sagte er etwas traurig.
Das Lächeln verschwand nun auch aus meinem Gesicht. Plötzlich blieb Remus stehen und starrte in eine Seitengasse.
,,Alles in Ordnung?", fragte ich.
,,Ja, ich denke, wir sollten bloß einen Schritt zulegen", erklärte er beunruhigt.
,,Was war denn dort?", fragte ich verwirrt.
Ich hatte absolut nichts sehen können.
,,Nichts weiter. Ich meine bloß, wir sollten ankommen, bevor es dunkel wird", log er.
Ich blieb irritiert stehen, doch Remus packte mich am Arm und zog mich mit sich.
,,Vertrau mir bitte", bat er und legte noch einen Schritt zu.
Alle paar Meter warf er flüchtige Blicke nach hinten, während sein Arm mich fest an sich drückte.

Als wir das Tor durchschritten, bekam ich eine Gänsehaut. Da war wieder diese Kälte und das Gefühl unfassbarer Trauer. Erst schossen mir alle Anschuldigungen meines Vater durch den Kopf, dann die Schreie meiner Mutter, das Brüllen meines Bruders und wieder dieser Satz. Ich liebe dich einfach nicht mehr, ging es dauernd durch meinen Kopf.
Ich umfasste meinen schmerzenden Kopf mit den Händen, als könnte ich ihn einfach abreißen, damit alles aufhörte.
,,Alles gut, ich bin da", hörte ich eine Stimme.
Ich öffnete meine Augen und sah, wie Remus sich schützend vor mich stellte. Die Angst in mir wurde immer größer. Ich konnte meinen Atem kaum noch unter Kontrolle halten.
,,Bleib, wo du bist", rief Remus mit einem kurzen Blick auf mich.
Was hätte ich auch tun sollen? Ich hatte seit Jahren keinen Patronus mehr erzeugen können.
Aus Remus' Zauberstab brach ein großer Wolf, der nun einige der Dementoren verjagte. Für einen kurzen Moment verspürte ich einen Funken Hoffnung. Der verflog allerdings so schnell, wie er gekommen war, denn es waren zu viele. Es kamen immer mehr Dementoren auf uns zu.
Panisch sah ich mich um, doch das gesamte Schlossgelände war leer. Mein Herz hämmerte wie verrückt gegen meinen Brustkorb, der jede Sekunde zu zerplatzen schien. Ich fühlte die Eisschicht, die sich um meine Organe wickelte und langsam meinen gesamten Körper einnahm.
Was dann geschah, ging viel zu schnell, als dass ich mich an alles erinnern konnte. Remus' Arm fing an zu zittern und ich wusste sofort, er würde es nicht mehr lange halten können. Er stürzte erst auf die Knie und lag dann bewusstlos im Schnee.
Meine Eingeweide kochten nun vor Wut. Die Eisschicht löste sich und ich zückte meinen Zauberstab.
,,Expecto Patronum!", rief ich.
Ich schloss die Augen und dachte an die Weihnachtstage. Ich dachte daran, dass ich bald ein normales Leben mit Remus führen konnte und Sirius sich als unschuldig erweisen würde. Wir könnten leben wie in den alten Zeiten.
Jetzt war es keine Wut mehr, sondern unfassbares Glück, das meinen Körper erwärmte.
Ich wagte es, meine Augen zu öffnen und staunte nicht schlecht, als ich es erkannte: Alle Dementoren waren verschwunden. Nun waren wir nur noch zu dritt. Remus, der reglos am Boden lag, die silberne Wölfin, die stolz auf mich zu kam und ich. Wie schön es war, sie wieder zu sehen.
,,Danke", flüsterte ich ihr zu, bevor sie wieder verschwand.
Ich stürzte auf den Boden und strich Remus' Haar aus seinem Gesicht.
,,Remus?", flüsterte ich.
,,Hörst du mich?"
Die Frage war wohl völlig überflüssig, schließlich schien er immer noch bewusstlos zu sein. Tränen stiegen in meine Augen und kullerten meine Wangen entlang.
Ich beobachtete sein Gesicht, das in der Dunkelheit nur aufgrund der hellen Sterne zu erkennen war. Seine Lippen bewegten sich kurz und dann öffneten sich auch seine Augen wieder. Sie sahen müde aus und strahlten kaum noch.
,,Haben wir jetzt Rollen getauscht?", fragte er so leise, dass ich Mühe hatte, ihn überhaupt zu verstehen.
Ein Lächeln trat in sein Gesicht. Ich atmete erleichtert auf und lachte kurz. Er richtete sich auf und ich befahl ihm, sich auf mich zu stützen. Er diskutierte nicht, verlagerte sein Gewicht aber so, dass ich keine Mühe hatte, ihm zu helfen.

,,Du meine Güte, was ist Ihnen denn passiert?", schrie Hermine schrill, als wir ihr in der Eingangshalle begegneten.
,,Dementoren", murmelte ich grimmig.
Harry, Ron und Hermine schauten uns mitleidig an. Ich hasste Mitleid fast mehr als Dementoren, also setzte ich einen fröhlichen Gesichtsausdruck auf.
,,Und wie waren eure Ferien?", fragte ich.
,,Ganz gut, wenn man davon absieht, dass unser nächstes Quidditschspiel jetzt endgültig verloren ist", sagte Harry mit einem beleidigten Blick zu Hermine.
,,Ich habe dir gesagt, dass es zu gefährlich war", wehrte sich Hermine hastig.
,,Wollt ihr uns nicht erstmal sagen, was passiert ist?", fragte Remus deeskalierend.
,,Harry hat einen neuen Besen zu Weihnachten bekommen, aber Hermine hat ihn verpetzt, weil er angeblich verflucht sein könnte. Jetzt ist er bei McGonagall und Harry darf ihn nicht benutzen", erklärte Ron mit abschätzigem Blick auf Hermine.
,,Und da stand kein Absender?", fragte ich verwirrt.
Wer machte denn Geschenke, ohne dafür Anerkennung zu wollen? Und Besen waren nun wirklich nicht billig.
,,Nein", murmelte Harry.
,,Und wie waren Ihre Ferien?", fragte Hermine, um vom Thema abzukommen.
Ich lief rot an, wagte es aber nicht, einen Blick zu Remus zu riskieren.
,,Gut", sagte ich knapp.
,,Wunderschön", antwortete Remus ruhig.
,,Die Dementoren machen einen echt fertig, wir sollten langsam nach oben gehen. Gute Nacht", sagte ich, ehe weitere Fragen kamen.
,,Gute Nacht", wünschten alle drei und verschwanden.

Ich setzte mich auf mein Bett und bedeutete Remus, sich zu mir zu setzen, doch er lehnte ab.
,,Ich gehe besser auch in mein Zimmer", sagte er mit einem gutmütigen Lächeln.
Nach diesem Tag hätte ich ihn wirklich gerne noch bei mir gehabt, doch ich hatte mir geschworen, ihm seinen Freiraum zu lassen.
Er hatte die Tür fast hinter sich geschlossen, als er sie doch noch einmal ganz öffnete und mich ansah.
,,Und danke für die Rettung, meine kleine Heldin", sagte er lächelnd.
Ich lächelte kurz zurück, doch er war schon verschwunden.

Plötzlich kam ich mir unheimlich leer vor. Erst vor wenigen Tagen hatte er gesagt, er wolle, dass alle von unserer Beziehung erfahren würden und jetzt tat er wieder so, als wären wir bloß Kollegen. Sicher, das hatten wir gemeinsam so beschlossen, aber wenigstens in unseren privaten Zimmern konnten wir mehr sein.
Ich wünschte mir nichts mehr, als dass Severus uns in Ruhe lassen und die Sache mit Sirius aufgeklärt werden würde. Und natürlich, dass Dumbledore mit unserer Beziehung einverstanden war.
Ich wusste, Remus sorgte sich um etwas und ich wollte alles geben, um ihm zu helfen, aber er ließ mich nicht. Er ließ mich gerade so nah an sich heran, wie es für eine Beziehung nun mal nötig war.
Doch darüber konnte ich mir nicht mehr viele Gedanken machen, denn ich war innerhalb weniger Sekunden eingeschlafen und träumte wieder von den Dementoren.

Remus Lupin (Rumtreiber & PoA) ff: Von Smaragden und SaphirenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt