Bedeutete ich anderen Menschen vielleicht doch mehr, als ich es mir in meinem Kopf zusammenreimte?
Diese Frage schwirrte mir die nächsten Tage weiterhin im Kopf herum. Doch eigenständig zu einer Lösung kommen konnte ich nicht und da auch die nächsten Stunden bei Dr. Schneider mich nicht wirklich voran brachten, wurde ich zunehmend frustrierter.
Ich konnte beim besten Willen einfach kein Vertrauen zu ihm aufbauen, so wie ich es bei Monika getan hatte. Doch sie durfte mich nicht auf der Psychiatrischen Station behandeln, da es nicht in ihrem offiziellen Aufgabenbereich fällt.
So viel hatten wir per WhatsApp geklärt. Sie riet mir jedoch mich an den Arzt zu wenden und nach einem anderen Psychologen zu fragen, indem ich ihm mein Empfinden schildere.
Da mir wohl oder übel nichts anderes übrigbleibt, als genau das zu tun, wartete ich nun angespannt auf den Arzt, welcher gleich zur Routineuntersuchung kommen sollte.
Ein Glück war Jonathan in den letzten Tagen wieder zurück zum Internat gegangen und kam nur noch nachmittags hierher, da er anderenfalls zu viel Stoff verpasste. Nicht, dass ich etwas gegen seine Gesellschaft hatte, ich genoss sie sehr, nur war sein Beschützerinstinkt in letzter Zeit besonders stark ausgeprägt gewesen und er hätte in einer Situation wie dieser vielleicht etwas über reagiert.
Um mir die Zeit zu vertreiben, entsperrt ich mein Handy und checkte meine Nachrichten. Jonathan hatte mir einen guten Morgen gewünscht und gestern Nacht hatte Jonas ein bescheuertes Foto von sich und Elias in die WhatsApp Gruppe unserer Clique gesendet.
Bei beiden Nachrichten schlich sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht und ich antwortete Jonathan kurz, bevor ich mein Handy wieder zur Seite legte und wartete. Ein Glück musste ich das aber nicht mehr lange tun, denn nur nach ca. fünf Minuten klopfte es an der Tür.
„Ja?", antwortete ich und sah in Richtung Tür, welche von Dr. Schmidt geöffnet wurde. „Hallo Lukas, na wie geht es dir heute?", fragte er wie jeden Tag lächelnd, während er sich die Hände desinfizierte, danach neben meinem Bett die nötigen Utensilien ausbreitete.
„So wie immer schätze ich", antwortete ich ihm und sah zu wie er die Sachen ordnete und wie jeden Tag anfing meinen Blutdruck zu messen und meine Wunden zu überprüfen, welche immer noch in einen Verband eingehüllt waren. Heute ist der Vorfall jedoch schon über eine Woche her, weshalb der Verband vielleicht entfernt werden darf, was für mich eine große Erleichterung wäre.
Zwar stört mich ein Verband nicht mehr so stark wie noch bei meinen ersten Malen, jedoch habe ich noch nie so lange einen Verband draufbehalten, da er mich nur behindert hat.
Und ohne ärztliche Hilfe, hatte ich sowieso nicht gewusst, wann ich ihn vielleicht doch noch hätte anlassen sollen. Aber es war mir eigentlich auch relativ egal gewesen, wie gut oder schlecht die Wunden abheilen.
Doch jetzt sah ich gespannt zu, wie der Arzt den Verband an meiner rechten Hand mit der Schere vorsichtig auftrennte und dann vollständig entfernte. Die Haut unter ihm war im Vergleich zum Rest relativ blass und wirkte irgendwie nicht gesund. Dieses Bild wurde von einer riesigen Narbe an meinem Unterarm unterstützt, durch die eine Faden durchgezogen ist und deren Ränder von einer bräunlichen Kruste umrandet war.
Mein anderer Arm sah nicht wirklich anders aus und ich war froh, dass Jonathan gerade nicht da war, da ich nicht wusste, wie er darauf reagiert hätte.
Klar wird er es heute Nachmittag vermutlich noch sehen, aber so konnte ich dafür sorgen, dass es nicht allzu schlimm aussieht. So etwas wie letzte Woche, sollte er niemals wieder erleben. Nicht wenn ich es verhindern kann.
Meine Schuldgefühle darüber, dass er mich damals im Bad gefunden hat, sind immer noch nicht verschwunden und sie werden es auch nie sein, ich könnte nicht damit leben ihn noch mehr zu traumatisieren als ohnehin schon.
Das hätte er einfach nicht verdient. Nichts von alledem hat er verdient. So wie ich ihn nicht verdient hatte. Aber das sah dieser Sturkopf nun mal nicht ein. Aber das war etwas, worum ich mich ein anderes Mal kümmern musste.
Jetzt ging es um meinen Psychologen. Wenn ich mich darum kümmere, dann kann ich vielleicht besser mit Jonathan reden, ohne ihn die ganze Zeit zu verletzten. Ich wartete, bis Dr. Schmidt fertig war mit dem Check, dann wandte ich mich an ihn.
„Bevor Sie gehen, kann ich Sie etwas fragen?", als er mich hörte, sah er von seiner Arbeit überrascht auf. Vermutlich, da ich immer nur das Nötigste sagte, wenn er hier war. „Klar Lucas, was gibt es denn?", fragte er, wobei er sich seine Überraschung nicht anmerken ließ.
„Ich habe das Gefühl, dass ich und Dr. Schneider nicht wirklich miteinander klarkommen. Naja, deshalb wollte ich Sie fragen, ob die Möglichkeit besteht einen anderen Psychologen zu bekommen?"
Irgendwie war es mir unangenehm diese Frage zu stellen. Es klang so, als ob ich über alles und jeden meckern würde, obwohl ich das ja gar nicht wollte. Das Einzige, was ich will, ist, dass ich meine Gedanken probiere zu ordnen. Wenn nicht für mich, dann für Jonathan, denn er ist der Einzige, der mir zeigt, dass er mich wirklich möchte. Zumindest hoffe ich das.
„Okay, danke für deine Ehrlichkeit. Ich werde mal Dr. Schneider fragen, ob er das genauso sieht und schauen, was sich da machen lässt, okay?", antwortete er und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, welches ich mit einem dankbaren Nicken erwiderte.
„Bis morgen Lucas", verabschiedete er sich. „Danke und bis morgen", erwiderte ich und sah zu, wie Dr. Schmidt den Raum verlässt, was hieß, dass ich wieder alleine war. Alleine mit den Gedanken die mich in den Wahnsinn trieben.
Manchmal wünschte ich mir, dass ich sie einfach abschalten könnte, alles vergessen könnte. So wie Menschen wie Jonathan das Gute in der Welt sehen und optimistisch sein könnte.
Doch das konnte ich nicht. Stattdessen war ich hier mit meinen pessimistischen Gedanken alleine und weiß nicht mal selbst, was ich mit mir anfangen sollte. Eigentlich sollte ich glücklich sein.
Ich meine, ich darf am Internat bleiben, dank Kathi und bleibe somit bei Jonathan. Mein größtes Problem ist damit doch eigentlich gelöst, oder? Wieso fühlte es sich trotzdem so an, als ob ich keinen Zentimeter in der Problemlösung vorangekommen wäre.
Ich hatte das Gefühl die ganze Zeit zu laufen, doch von irgendetwas festgehalten zu werden. Etwas, was mich immer wieder zurückfallen und erneut an alles Denken ließ, was gerade falsch sein könnte.
Und diesen Lauf hatte ich auch schon vorher bestritten. Nur bin ich da vor dem weggelaufen, was mich in seinen Fängen haben wollte, bis es mich erwischt hatte.
Und jetzt war ich hier unfähig zu laufen ohne, den Schatten unmittelbar hinter mir, der mich immer wieder in die Knie zwingt. Mir immer wieder zeigen möchte, dass ich es nicht schaffen kann. Dass ich es nicht wert bin es zu schaffen. Wann hört das endlich auf?
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Heyy,
Ich hoffe euch hat dieser metaphorische Ausflug am Ende gefallen, es ist irgendwie so über mich gekommen XD
Schönen ersten Advent, an alle die Weihnachten feiern :)
Hat es bei euch heute schon geschneit? Bei mir leider bis jetzt noch nicht, aber wer weiß? Vielleicht bringt mich das ja ein wenig in Weihnachtsstimmung... Bis jetzt bin ich immer wenn Weihnachtsmusik läuft so "Hä? Bis Weihnachten ist es doch noch voll lange hin!" Obwohl es einfach noch so vier Wochen sind... Wo ist die Zeit bitte wieder geblieben? XD (I'm not the only one who thinks like this right?)
Bis nächste Woche,
eure Lesekatze :)
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Auch wenn der Weg nicht immer leicht ist
Teen FictionNachdem der 15 jährige Lucas eine Straftat begangen hat, ändert sich sein Leben komplett. Er muss auf ein Ballettinternat in Berlin, um sich dort ein anderes soziales Umfeld aufzubauen. Weg von seinen Freunden und alles was er kennt. Besonders froh...