Kapitel 7

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Die nächsten Tage passiert nichts weiter. Ich hab einen Muskelkater der nicht mehr weg zu gehen scheint und mein Kopf ist schon komplett überfordert mit all den Figuren, die ich in dieser Woche gelernt habe.
Jonathan ist mir bis jetzt erfolgreich aus dem Weg gegangen und irgendwie vermisse ich ihn und seine Art. Dabei kenne ich ihn noch nicht mal so lange. Ein wenig wundere ich mich darüber.

Ich meine früher hat mir eigentlich kaum jemand viel bedeutet. Bis auf Matteo und meine Eltern vermisse ich niemanden von zuhause.
Naja, das liegt vermutlich daran, dass ich damals noch beliebt war und deshalb gefühlt jeder etwas mit mir zu tun haben wollte. Aber richtig tiefe Freundschaft, wie bei mir und Matteo ist nie entstanden. 

Jetzt wo ich so darüber nachdenke fällt mir das auch auf. Hätte man mich früher gefragt wer mir von meinen Freunden wirklich wichtig ist, hätte ich vermutlich gesagt, dass mir alle wichtig sind.
Tja Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung .Hoffentlich behält der Spruch in diesem Fall Recht. 

Trotzdem kann ich mir einfach nicht erklären warum ich so erpicht darauf bin, dass Jonathan mit mir redet. Ich meine, war ich nicht vor ein paar Tagen noch der Meinung, dass Jonathan einfach nur nervt? Ich meine warum zur Hölle vertraut er mir so ungefähr seine halbe Lebensgeschichte gleich am zweiten Tag an. Als ob es mich interessieren würde, dass seine Mutter mal ein Urlaub in Jamaika gemacht hat. Warum habe ich mir das überhaupt gemerkt?! Ich wollte doch gar nicht zuhören. 


Mein sinnloser Gedankengang wurde von dem Geräusch der sich öffnenden Tür unterbrochen.
Jonathan trat in unser Zimmer. Wie immer in letzter Zeit ohne mir auch nur einen Blick zu würdigen.
Er legt sich auf sein Bett und wendet sein Gesicht zur Wand.
Seufzend wollte ich mich gerade wieder  umdrehen, als ich plötzlich ein leises Schluchzen vernahm.
Ohne weiter darüber nachzudenken, stand ich von meinem Bett auf und setzte mich auf das von Jonathan. 

„Hey, was ist denn los?", fragte ich ihn, wenn auch ein wenig zögerlich, da ich nicht wusste wie er auf mich reagieren wird. „Lass mich in Ruhe, mit jemandem wie dir rede ich nicht". „Was habe ich denn falsch gemacht?", fragte ich ihn. 

Eigentlich konnte ich mir es schon denken. Die Wahrscheinlichkeit, dass er herausgefunden hat, das ich eine Straftat begangen habe und deshalb hier bin ist relativ groß. Vermutlich ist er, genauso wie ich, nicht in einer Umgebung aufgewachsen in denen viele Verbrechen begangen wurden und in der man mit Kriminellen in Kontakt kommt. Das würde zumindest sein Verhalten gegenüber mir erklären. Vermutlich würde ich mich in seiner Lage auch so verhalten.
Doch anstatt mit meinen Überlegungen der letzten Tage richtig zu liegen, überraschte mich Jonathan doch tatsächlich mit seiner Antwort. 

„Wegen dir hab ich jetzt Ärger mit meiner Mum. Sie wollte schon immer das ich der Jahrgangs beste bin, so wie sie damals auch. Ich musste alle Wettbewerbe gewinnen einen Einser-Schnitt haben und generell immer den perfekten Vorzeigesohn sein. Und dann kommst du. Du kriegst seit der ersten Stunde Einzeltraining. Keiner kennt dich. Wenn man dich googelt kommt irgendetwas mit Schwimmen heraus und beim Vortanzen warst du zu 100% nicht dabei. Erst fand ich das nicht so schlimm, ich dachte, dass am Anfang erstmal alle einheitliches Training erhalten. Doch du warst schon in der ersten Stunde nicht bei uns! Und  natürlich kriegt meine Mutter davon mit und macht mir jetzt totalen Stress und gerade...", sein langer Monolog wurde durch einen Schluchzter unterbrochen, „ ... Gerade hat mich dann auch noch meine Schwester vor einigen unserer Mitschüler fertig gemacht." 

Langsam drehte er sein Gesicht in meine Richtung. Seine Augen sind total rot, seine Wangen erhitzt und er guckte mich relativ wütend an. Ich sitze einfach nur stumm da, untätig etwas zu erwidern. Ich dachte er wollte nicht mir mir sprechen, weil ich ein Verbrechen begangen habe, doch stattdessen spricht er kein Wort zu mir, weil ich seines Erachtens besser bin?!
Plötzlich fing ich an zu lachen. Zwar war die Situation aus Jonathans Sicht nicht sonderlich amüsant, doch war es für mich einfach absurd, dass jemand denkt ich sei besser als er im Ballett. 

Als ich mich halbwegs beruhigt hatte guckte mich Jonathan immer noch wütend aber auch leicht fragend an.
„Wieso lachst du über so etwas?", fragt er mich.
Von einem Moment auf den anderen wurde ich wieder ernst und ich schüttelte nur meinen Kopf:„ Soweit, dass ich es dir erzählen würde, bin ich noch nicht. Sowohl weil ich dich kaum eine Woche kenne, in der du nur zwei Tage mit mir gesprochen hast, zum anderen weil ich es selbst immer noch nicht damit abgeschlossen habe. Eins kann ich dir jedoch sagen, ich habe die Extrastunden nicht, weil ich besser bin als irgendjemand hier." 

Verwundert guckt mich Jonathan an:„Nicht?" Ich schüttelte nur meinen Kopf. „Wirst du mir es irgendwann erklären?" Diesmal zucke ich nur mit den Schultern:„ Kommt ganz auf dich an. Wenn wir vielleicht Freunde werden, dann kann es schon sein, wenn du mich weiter ohne wirklich vorher nachzuhaken warum etwas ist wie es ist ignorierst, dann natürlich nicht."
Peinlich berührt dreht sich Jonathan weg. „Tut mir leid", nuschelte er. „Schon gut", meinte ich,„ Ich kann schon verstehen warum, hätte ich eine Familie, die so einen Druck auf mich ausübt, würde ich vermutlich genauso reagieren." 

Aber dann hätte ich wenigstens eine Familie, die sich für mich auch nur im geringsten interessiert.
Langsam breitet sich ein Lächeln auf Jonathans Gesicht aus und plötzlich, wie aus dem Nichts heraus umarmt er mich von der Seite.

Ich war eigentlich noch nie ein Fan von Umarmungen gewesen und fühle mich meistens beengt, wenn Menschen außerhalb von Matteo oder meiner Familie mich Umarmen.
Doch irgendwie störte es mich bei Jonathan gar nicht. Im Gegenteil, ich fühlte mich total wohl.
Wie automatisch drehe ich mich in der Umarmung zu Jonathan hin und schlinge meine Arme um seinen Körper. Sein Kopf ist an meiner Brust währenddessen meiner auf seiner Schulter ruht. Wie kann ein ein Mensch nur so gut riechen?

Und warum mag ich es überhaupt, das Jonathan mich Umarmt? Was ist bloß bei mir falsch?
Ein Teil von mir wollte die Umarmung so schnell wie möglich unterbrechen aber der andere Teil möchte am liebsten für immer so verweilen. Und aus irgendeinem Grund überwiegt der zweite Teil.

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Hey,
Frohes neues Jahr 2021!
Heute kommt tatsächlich mal wieder ein Kapitel. Ist ja auch nicht schon mehrere Monate her das eins kam *hust, hust*.

Wen mögt ihr bis jetzt am liebsten von den beiden, Jonathan oder Lucas?

LG
Lesekatze

PS: ganz Liebe Grüße an @Spinatlasagne für deine Votings und deine lieben Kommentare

Auch wenn der Weg nicht immer leicht istWo Geschichten leben. Entdecke jetzt