Kapitel 74

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Bei Fremden
Ge. 03- Kapitel 74

Ich war auf Wolke sieben. Es war wirklich so, als ob ich flog. Unbeschreiblich. Ich fragte mich, wieso Hakan Metin sich gerade in mich verliebt hatte? Sieht ihn an und dann mich! Das konnte doch nicht wahr sein.

»Du bist so wunderschön«, sagte er, als ob er meine Gedanken gelesen hätte. Ich war so glücklich, bevor er mich folgendes fragte. »Weiß Erdem von uns Bescheid? Ich meine, dass wir zusammen sind.«
Meine Augen weiteten sich automatisch, während ich den Kopf schüttelte.
»Hm, er hat mich gerade noch drohend angesehen. Er ahnt es vielleicht.«
»Kann sein«, murmelte ich und biss mir auf die Lippe. »Ich wollte es ihm sagen, ehrlich!«, gab ich dann von mir.
»Ist schon okay«, erwiderte er verständnisvoll. »Du kannst es ihm sagen, wann du willst.«
Ich liebte es, wenn er so war. Wieder umarmte ich ihn und nahm seinen Geruch in mich.

»Sollen wir uns nach dem Unterricht vor der Schule treffen?«, fragte er mich. Ich nickte sofort und es schellte. Wiederwillig stieg ich die Treppen hoch und ging zum Unterricht. Alara erklärte mir, dass Erdem nach mir gesucht hatte. Er wollte bestimmt über gestern reden. Oh man, was hab ich mir da denn wieder eingebrockt? Uff.

»Er war- irgendwie- komisch drauf«, fügte Alara hinzu und legte ihren Kopf schief. »Wir konnten nicht richtig reden, er war die ganze Zeit in Gedanken...«
»Ou...«, machte ich und biss mir auf die Lippe.
»Weißt du, selbst dann sieht er total süß aus.«
Wir kicherten beide leise, weil sie das so verträumt gesagt hatte.
»Du bist so dumm«, meinte ich.
»Hab ich von dir.«
»Alara, was hat der denn sonst gesagt? Hat der irgendwie kenntlich gemacht, was sein Problem ist?«
Sie zuckte mit den Schultern, während sie nachdachte. »Ne, der hat immer irgendein Zeug gefaselt, aber so richtig hat er nichts gesagt.«
»Gefaselt?«
»"Der wird sehen" oder so etwas.«

Ich schloss langsam die Augen und zog die Augenbrauen zusammen. Das konnte doch wohl nur eins bedeuten, oder? Wollte er Hakan jetzt schlagen oder so? Uff, wieso sind manche Jungs so aggressiv und denken, dass man nur mit Schläge etwas klären können?

»Hat er noch etwas anderes gesagt?«, fragte ich voller Hoffnungen.
»Danach hat er nicht viel gesagt, deinen Namen gefaselt und dann mit mir gequatscht. Ende«
»Uff, uff«, meckerte ich.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
Ich schüttelte den Kopf. »Ne, ich muss das alles beenden. Ich sag ihm einfach, dass ich mit Hakan zusammen bin und Ende.«
»Na dann.«

In den nächsten Pausen wollte ich eigentlich mit Erdem reden, aber ich hatte irgendwie davor Angst. Er würde enttäuscht sein und das würde mir das Herz brechen. Obwohl er die ganze Zeit bei mir war und mich versuchte in jeder Lage aufzumuntern, war ich mit seinem "Feind" zusammen. Es ist, als ob ich ihn von hinten mit einem Messer gerammt hätte. Es sorgte dafür, dass ich mich schlecht fühlte. Wenn es Alara nicht gäbe und er jetzt mit Cindy zusammen wäre, wie würde ich da reagieren? Ich wäre endlos enttäuscht, sauer, angeekelt, beleidigt, traurig, schmerzhaft, hasserfüllt...
Die Liste könnte man Seitenvoll weiter schreiben. Plötzlich fühlte ich mich wie eine Verräterin und ich war sauer auf mich selbst.

Folglich stellte sich diese Frage: warum konnten sich die beiden nicht leiden?

Warum? Warum? Ich meine, man ist ja nicht einfach so auf jemanden sauer. Ich konnte Cindy ja auch nicht grundlos leiden. Bei ihr gab es Gründe, die man auch Seitenweise auflisten könnte. Pff.

Nach Schulschluss stand ich wie mit Hakan vereinbart vor der Schule. Erdem hatte ich nicht mehr gesehen. Vielleicht war er sogar nach Hause gegangen. Ich wartete eine Weile, bis ich zappelig und ungeduldig wurde. Was dauerte denn so lange? Beleidigt holte ich mein Handy heraus und rief ihn an. Hatte er mich vergessen oder was? Er nahm nicht ab. Er nahm wirklich nicht ab. Uff. Was soll das denn jetzt?

"Wo steckst du?", schrieb ich ihm als Nachricht. Es vergingen fünf Minuten, aber mir kam es einfach länger vor. Deshalb spazierte ich um die Schule herum und suchte ihn dabei mit den Augen, bis ich seine Gestalt dann sah. Jetzt würde ich es ihm zeigen! Was hieß denn hier bitte, mich einfach dumm warten zu lassen und meiner Nachricht nicht einmal zu antworten!

Als er mich sah, drehte er sich sofort weg und ging. Was sollte das denn bitte!? Wütend rannte ich ihm hinterher. »Was soll der Scheiß, Hakan!?«
Er hörte nicht auf mich. Was hatte der Typ denn?
»Hakan!«, rief ich voller Zorn und erreichte ihn schließlich. Wie ein Kind drehte er sein Gesicht vor mir weg.
»Man, Hakan! Was soll das?«, fragte ich und war jetzt total gereizt. Am liebsten wäre ich ausgerastet. Er sah langsam zu mir und ich erstarrte. Mein Mund klappte auf und meine Augen weiteten sich so sehr, dass sie drohten, rauszufallen.

»Was ist mit dir passiert!«, kreischte ich und nahm sein Gesicht in meine Hand. Es war zerkratzt und geschlagen worden. Seine Lippe war aufgeplatzt und sein Auge erst.
»Ha-«, begann ich und konnte seinen Namen einfach nicht aussprechen. Wie war das passiert? Tausend Fragen schwirrten in meinem Kopf und ließen mich nicht in Ruhe. »Willst du es mir nicht sagen?«
»Damla«, murmelte er und legte meine Hände weg.
»Hakan, ne oldu!? (Hakan, was ist passiert!?)«, sagte ich mit einem scharfen Ton.
»Hiç birşey (nichts)«, behauptete er noch und rannte dann einfach weg. Ich rannte ihm wie eine wilde nach, doch konnte ihn dieses Mal nicht erreichen. »Hakan!«, rief ich ihm nach, aber er machte nicht einmal die Anstalt zurückzusehen. Glaubte er ehrlich, mir entkommen zu können? Wenn nicht heute, dann würde ich es morgen erfahren!

Ich sah noch lange zur Stelle, wo er verschwunden war, ging dann aber wieder nach Hause. Automatisch machte ich einen großen Bogen um den Wald. Es würde weitere Begegnungen mit Gestörten verhindern. Zumindest hoffte ich das. Im Wohnzimmer angekommen versuchte ich Hakan zu erreichen und dann versuchte ich es mit Ceylen, falls sie etwas herausbekommt. Doch das war auch ein Fehlschlag, denn Ceylan hatte keine Ahnung. Hakan sei nicht einmal nach Hause gekommen. Sie versicherte mir aber, dass sie mir sofort Bescheid sagen wird, wenn sie etwas herauskriegt.

Schließlich wollte ich in mein Zimmer, da kam auch Erdem die Treppen hinunter und ich war schockiert. Das hatte ich nicht erwartet. Auch wenn es glasklar war, ich hatte es nicht erwartet. Erdems Gesicht sah auch furchtbar aus. Sein Auge wurde schon langsam blau, seine Lippe aufgeplatzt, Kratzer an den Wangen. Ich konnte es einfach nicht fassen.

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