Kapitel 64

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Bei Fremden

Ge. 03- Kapitel 64

Ich sah in den Spiegel. Was war ich? Ein kleines dummes naives Mädchen. Zu blass und etwas klein. Ich schluckte und fasste mir dann mit der Hand-außenfläche ans Gesicht.

Es klopfte an der Tür.

»Herein«, rief ich sofort, weil ich dachte, dass es Erdem war. Doch es war meine Mutter. Sie sah mich von der Seite an und kam dann zu mir, vor den Spiegel. Sie sah mein Spiegelbild an, als sie mit mir sprach. »Du verstehst es nicht.«

Ich schwieg.

»Ich will nur dein bestes, Maus.«

Bei diesem Satz wollte ich ihr sofort widersprechen, doch sie kam mir einfach zuvor. »Die Welt ist nicht so kunterbunt, wie sie es scheint. Bist du erst einmal vom Bildrand, hintergehen sie dich. So einfach ist es. Vor allem Männer. Sie zeigen nie ihr wahres Gesicht. Nie.«

Mutter drehte sich zu mir und ich sah einfach nur runter. »Schau mir doch ins Gesicht«, murmelte sie und hob meinen Kopf. »Sei Mami nicht böse, Maus. Es ist nunmal so und ich will nicht, dass du diese Fehler machst und Männern vertraust. Glaubst du sie mögen dich? Haha«, ihr Lachen ging einige Oktaven höher als ihre wahre Stimme. »Oder bist du schon verliebt? Eine neue Romanze? Maus, was stellst du dir denn vor? Ewige Liebe? Alles, was dein Herz begehrt? Träum nicht weiter, vertrau deiner Mama. Ich will doch nur nicht, dass du heulend zu mir kommst! Dann werd' nur sagen können, dass ich dich gewarnt habe! Mach kein Drama! Ich weiß mehr! Ich weiß wie es abgeht dort draußen, wie Männer ticken.«

Sie fing an zu kichern. »Sieh dich an! Du bist nicht gerade die Hellste! Schlechte Noten, schlechte Manieren! Alles, was du kannst ist meckern, Männer hassen es, bleib bei denen lieber still? Glaub mir, Maus, du mit deiner blassen Haut, deiner kleinen Größe-«, sie schubste mich plötzlich leicht und ich taumelte kurz nach hinten.

»Hör auf!«, rief ich. Ich wollte das alles nicht hören. Reichte es ihr nicht!?

Sie grinste da breiter. »Wenn du es so schon nicht verträgst, wie willst du es sonst vertragen?«

»Nermin!«, wurde sie dann von Osman gerufen. Sofort ging sie aus dem Zimmer. Mein Spiegelbild konnte ich mir nicht mehr ansehen. Ich schmiss mich in mein Bett und legte mich hin. Schnell zog ich meine Bettdecke fest an mich und dachte mir, wie kindlich ich doch war.

Mit dem Gedanken schlief ich ein. Am nächsten Tag wachte ich wieder spät an. Ich schaffte es jedoch fertig zu werden und zu essen. Meine Augen waren heute nicht mehr angeschwollen oder rot, sodass ich einfach so zur Schule konnte.

Meine erste Stunde war mit Hakan. Ich freute mich schon. Als der Unterricht begann, schrieb er mir wieder auf einen Zettel: "Etwas gegessen?"

Ich grinste und schrieb: "ja!"

Danach schrieb er nichts zurück. Ich konzentrierte mich auch eher auf den Unterricht, weil ich eh nicht gut genug in der Schule war und die Worte meiner Mutter noch in meinem Kopf waren. Warum war Hakan zu mir nicht so scheiße? Ich kapierte es einfach nicht. Es hätte doch jedes Mädchen treffen können. Schnell schlug ich den Gedanken weg und spürte da auch schon wieder seine Blicke. Als wir eine Aufgabe bekamen und sie erledigten, steckte ich ihm, ohne dass er es bemerkte die Keksbox in die Schultasche. Deshalb musste ich die ganze Zeit grinsen.

»Wieso grinst du so?«, fragte er mich leise.

»Ach, nur so«, erwiderte ich. Ich hatte noch auf der Box "von der Schönen für das Biest", gekritzelt. Er musste so verstehen, dass ich es war. Ich trug heute sogar das Armband, dass er mir geschenkt hatte.

Ich spielte damit die ganze Zeit herum, als ich über die Aufgaben nachdachte.

»Soll ich dir helfen?«, fragte Hakan dann. Ich nickte und er fing an, mir alles zu erklären. Dabei merkte ich, dass meine Mutter nicht Recht hatte. Auf keinen Fall. Ich wusste zwar nicht, was sie für Männer kannte, aber so jemanden wie Hakan kannte sie nicht. Sonst würde sie es nicht einmal wagen, so über ihn zu reden.

»Ich kapier das immer noch nicht«, schmollte ich und er erklärte es mir wieder, ohne einmal die Miene zu verziehen. Wie konnte man so schön und so schlau sein?

»Hörst du mir zu?«, fragte er.

»Doch klar«, meinte ich und biss mir auf die Lippe. Es schellte da auch schon. Ich nahm meine Sachen und ging ganz schnell.

In der Pause sah ich, dass Hakan nach jemandem suchte. Die Person war dann wohl ich, wenn er die Keksbox gesehen hatte. Ich musste grinsen, aber so leicht würde ich es ihm nicht machen. Somit blieb ich mit Alara die ganze Pause im Mädchenklo. Auch die nächsten Pausen blieb ich dort.

Nach der Schule erwischte er mich dann. Irgendwie hatte ich auch danach gehofft. Er kam schon zu mir, bevor ich die Schule verließ.

»Damla, du warst das, oder?«

»Was?«

Ich liebte es, die Unwissende zu spielen.

»Die Kekse?«, er grinste dabei bis über beide Ohren, was ich einfach nur süß fand.

»Wer den sonst?«, fragte ich und musste automatisch mit lächeln.

»Danke«, sagte er.

»Bitte, hat's dir geschmeckt?«

»Und wie.«

Für den Moment sahen wir uns nur an.

»Was würdest du tun«, fragte er dann plötzlich. »Wenn Erdem dir sagen würde, dass du dich nicht mit mir treffen sollst?«

»Nichts«, sagte ich. »Ich meine, er darf nicht darüber entscheiden. Das ist ganz allein meine Wahl. Natürlich darf er mir raten, etwas zu lassen, aber es ist meine Wahl.«

»Also wäre es dir egal?«

»Du hast es erfasst. Du?«

»Erdems Meinung war mir eh immer egal. Außerdem würde ich das eh nicht schaffen, mich von dir fern zu halten.«

Mein Herz schlug automatisch schneller und ich sah ihn schon mit weit aufgerissenen Augen an.

»Äh«, stotterte ich und sah nach unten.

»Utanma, utanma (schäm dich nicht)«, lachte er und das brachte mein Herz noch mehr durcheinander, weil ich ihn nicht so oft türkisch sprechen hörte. Keine Ahnung, es war halt anders.

»Hadi (los)«, sagte er dann und wir gingen beide raus. Ich musste de ganze Zeit wie ein Honigkuchen grinsen, doch mein Grinsen verblasste, mein Herz schlug schnell durch Angst, vor der Situation, denn auf einmal stand Erdem vor der Schule. Er war ungefähr 100 Meter entfernt und starrte Hakan wütend und irritiert an. Hakan sah stur geradeaus zu ihm und da spürte ich Wärme an meiner Hand. Ich fühlte, wie er seine Finger in meine verschränkte und meine Hand fest umschloss.

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Ich veröffentliche jetzt eine weitere Geschichte von mir, welche "Der Sehnsuchtsfall" heißt. Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr vorbeischauen würdet. Mir liegt viel an der Geschichte.

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