Kapitel 73

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Bei Fremden
Ge. 03- Kapitel 73

Konnte die das wirklich bringen. Eine Wut überfuhr mich sofort. Das war doch nicht ihr ernst? Ihr Lächeln verschwand sofort, denn sie merkte, dass sie nicht willkommen war. Hinter ihr stand Furkan. Er hatte sich an ein Auto angelehnt und die Arme verschränkt.

»Ich«, begann Bengü und brach sofort ab. Ihr Haar war glatt und sie hatte sie etwas heller gefärbt. Ihre Schminke war nicht wie sonst übertrieben. Sie hatte nur pinken Lippenstift und Wimperntusche. »Es tut mir Leid. Ich wollte mich entschuldigen.«
Ich hob ein Braue.
»Es war falsch und diese Entschuldigung reicht nicht aus, ich weiß, aber stell du dich in meine Lage. Wenn du einen Neustart machen wollen würdest, dann würdest du auch niemand zurücklassen wollen, zu dem du scheiße warst. Ich wollte das nur sagen.«
»Neustart?«
Sie nickte und sah kurz zu Furkan. Ihre Augen funkelten und dann wieder nicht. »Meine Eltern sind gegen unsere Beziehung. Seine Eltern finden das auch nicht gut. Wir fliehen.«
»Ihr flieht?«
»Ja.«
In ihren Augen sah ich nicht die alte Schlampe. Ich sah in ihren Augen das kleine Kind und blickte zurück:

" »Was sitzt du denn da?«, fragte sie und kam näher zu mir. Ich saß allein auf der Bank und hatte vor mich hingestarrt.
»Ich bin Bengü!«, rief sie lächeln und strack mir ihre Hand vor. Ich sah zuerst nur in ihre Hand, nahm sie dann aber. »Damla«
Sie legte den Kopf schief und sah dann hinter ihren Rücken, wo ich vorher hingestarrt hatte. Als sie sich wieder zurückdrehte, lächelte sie immer noch. »Wir sind Freunde?«
Ich nickte stumm.
»Dann empfehle ich dir als Freundin den Typen hinter mir nicht so lange anzustarren. Das fällt auf.«
Ich sah sofort zu Boden. Mit meinen 12 Jahren war ich schüchtern und am liebsten wäre ich im Erdboden versunken.
»Keine Sorge. Ich helfe dir.«
Überrascht sah ich zu ihrem Lächeln hoch. »Was?«, fragte ich so leise, dass sie es gar nicht hörte.
»Ach übrigens. Er heißt Nils.«"

»Du weißt doch gar nicht, wie schwer so etwas ist!«, meinte ich.
»Doch«, erwiderte sie etwas verlegen.
»Hast du eine Arbeitsstelle? Wie willst du Geld besorgen und arbeiten?«
»Ich- ich hab etwas Geld gesammelt und ich suche schon eine Arbeitsstelle. Furkan hat auch schon einen Nebenjob.«
»Ihr seid noch Schüler.«
»Wir- wir haben eine kleine Wohnung gemietet. Es kostet nicht viel. Wir schaffen das.«
»Warte.«
Ich schloss die Tür vor ihrer Nase und rannte die Treppen hoch. Ohne darüber zu überlegen, öffnete ich mit einem Ruck die Schublade und nahm mein ganzes jahrelang gespartes Geld. Schnell rannte ich wieder die Treppe hinunter und öffnete wieder die Tür.

»Bin wieder da!«, rief ich. Bengü sah mich verwirrt an. »Es tut mir ehrlich leid, Damla.«
Ich nickte. »Glaubst du, ich kenne dich nicht? Du entschuldigst dich fast nie.«
»Fast«, stimmte sie mir zu und lächelte wieder. Da drückte ich ihr das Geld in die Hand. Sie sah so schockiert aus. Es war nicht zu beschreiben.

»Was-«, begann sie, doch ich unterbrach sie einfach. »-Es würde für ein paar Monate reichen. Du brauchst es mehr als ich.«
Sie schüttelte den Kopf und wollte protestieren, da unterbrach ich sie wieder. »Du willst dass ich dir verzeihe? Das ist der einzige Weg, also nimm.«
Sie nahm es zögernd und runzelte ihre Stirn dabei. »Es tut mir so leid, ich weiß gar nicht, wie ich das tun konnte.«
Ihr flossen die Tränen wie in Strömen hinunter. Sie umarmte mich einfach und ich erwiderte die Umarmung. Es war so viel Zeit vergangen. So viele gute Erinnerungen hatten wir. Egal wann, ich hatte immer zu ihr kommen können.
»Es tut mir so leid!«, schluchzte sie verbittert. »Wie konnte ich das tun? Wie? Wie konnte ich nur?«
Als wir uns von der Umarmung lösten, sahen wir uns noch lange in dir Augen und ich konnte den Kummer und die Verzweiflung in ihren Augen erkennen.
»Du solltest gehen. Deine Eltern würden euch sonst finden.«
Sie nickte und sah wieder langsam zu Furkan. »Gidelim, aşkım (Lass uns gehen, Liebling.)«
Er öffnete ihr die Tür und sie stieg ein, ich winkte ihr noch zum Abschied und dann fuhren sie weg. Weg. Einfach weg.

Ich schloss langsam die Tür, setzte mich auf den Küchentisch und versuchte meine Verwirrungen zu lösen. Ich legte meinen Kopf senkrecht auf den Tisch und irgendwann schlief ich ein.

»Damla?«, weckte mich am Morgen Erdem. »Damla? Damla? Damla? Damla? Steh auf, Damla? Damla? Damla?«
»Uff«, machte ich und schlug ihn weg.
Ich richtete mich gerade auf und mein Rücken tat mir weh. »Au! Mein Rücken!«, meckerte ich.
»Au, mein Rücken!«, äffte er mir nach und lachte sich kaputt.
»Du Ekel!«, rief ich und schlug währenddessen auf ihn ein. Er lachte weiter und ich musste auch lachen, weil das einfach ansteckend war.

Wir bereiteten zusammen das Frühstück vor und alberten viel dabei. Erdem stellte sich ziemlich dumm an. Alara tat mir schon leid. Wenn sie mit ihm heiraten wollte, brauchte sie ziemlich viel Geduld. Ich dachte an Hakan. Ob er kochen konnte? Zumindest ein einfaches Frühstück zu zubereiten sollte er aber können. Ich musste bei dem Gedanken an Hakan dämlich grinsen. Verträumt starrte ich aus dem Fenster und fühlte mich so irgendwie näher zu ihm.

»Was ist denn da?«, fragte Erdem, der plötzlich neben mir aufgetaucht war, sah aus dem Fenster und suchte mach etwas interessantem.
»Ach, verstehst du nicht.«
»Dann erklär' es mir.«
Ich lachte und bereitete weiter das Frühstück vor. Osman war heute wohl krank oder er tat so. Er wollte nicht zum frühstücken kommen, deshalb brachte ich ihm eine Kleinigkeit hoch. Er schlief noch, als ich das Zimmer betrat und wieder hinunter ging, aber man konnte die tiefen Augenringe erkennen. Er sah abgemagert aus und wieder fühlte ich mich einfach nur schlecht. Auf ihn hatte ich dumme einfach nie geachtet.

Ich spazierte mit Erdem heute in einem Park. Am Abend sahen wir uns dann wieder einen Film an. Es war so schön zu wissen, dass er bei mir war, obwohl er bei tausenden von seinen Kumpeln sein könnte. Am Ende des Filmes klingelte mein Handy. Es lag auf dem Tisch, direkt gegenüber von mir und auf dem Display stand dick und fett "Hakan".

Ich sah sofort zu Erdem, der seine Augenbrauen verwirrt zusammenzog und dann wütend zu meinem Handy sah. Uff, und was jetzt?

Ich schnappte mir schnell mein Handy und gähnte dann laut. »Bin so müde, ich geh' schlafen. Tschau!«
Mit den Worten rannte ich hoch in mein Zimmer. Schon halb grinsend rief ich ihn zurück an. Wir redeten lange, mir wurde keine Sekunde langweilig und diese Nacht schlief ich wieder mit einem Grinsen im Gesicht ein.

Am nächsten Tag war wieder Schule. Stöhnend stand ich auf und machte mich fertig. Schnell rannte ich aus dem Haus, bevor Erdem mich sah. Als ich am Wald vorbei ging, bekam ich immer gleich leichte Panik. Mein Hals wurde trocken und ich dachte immer wieder an diesen Penner. Uff.

In der Schule begrüßte ich meine süße Alara. Während des Unterrichts wollte ich ihr etwas erzählen. »Hast du Furkan heute in der Schule gesehen?«, fing ich an zu fragen.
Sie schüttelte den Kopf. »Will ich auch gar nicht, wieso sollte ich auf diesen Arsch achten?«
»Er wird bestimmt nicht wieder kommen.«
»Was?«
»Furkan ist abgedüst.«
»Wie?«
»Er ist mit Bengü durchgebrannt.«
»Woher weißt du das?«
»Sie- also Bengü war vor meiner Tür und hat sich entschuldigt und so. Nichts Wichtiges«, beendete ich das Gespräch schnell. Sie sollte bloß Bescheid wissen. Das Thema Furkan und Bengü war nie beliebt bei uns gewesen.

In der Pause suchte ich nach Hakan und fand ihn in einem leeren Gang. Er kam sofort auf mich zu und sein schiefes Grinsen war nicht zu übersehen. »Alles okay?«, fragte er.
»Yes«, sagte ich.
»Hast du nach der Schule Zeit?«, fragte er und umarmte mich dabei. Ich nahm seinen Geruch auf und schloss dabei die Augen. Der süße Geruch füllte sich in meine Lunge. Als wir uns von der Umarmung lösten, schrie mein Inneres fast schon auf, da verlor ich mich aber auch schon augenblicklich in seinen grünen Augen. Der Glanz in ihnen, es ließ mein Herz so unregelmäßig schnell und laut schlagen, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Mir wurde wieder warm und es löste ein Glücksgefühl aus, welches nicht so leicht zu brechen war.

»Ja«, flüsterte ich.
»Der Vogel ist immer noch bei mir«, erklärte er mir.
»Ich hab ihn sogar vermisst«, erwiderte ich und dachte an den Flügel des Vogels. »Geht es ihm besser?«
Hakan nickte und küsste mich da auf die Stirn.

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