Kapitel 13

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Bei Fremden
Kapitel 13

Automatisch füllten sich meine Augen. Ich schnappte mir meine Tasche und rannte aus dem Zimmer.
»Damla!«, hörte ich Nils noch rufen, als ich die Wohnung verließ. Ich musste hier weg. Ich musste hier so schnell wie möglich weg!

Ich rannte die Straße mit Tränen in den Augen hinunter und nahm mein Handy aus der Hosentasche. Mein Herz tat mir verdammt weh. Es stach so heftig wie noch nie. Ich schluchzte laut und versuchte Alara anzurufen, obwohl ich alles verschwommen sah.

Als ich es schaffte, drückte ich das Handy gegen mein Ohr. Ich hatte Angst, dass ich es von meiner zittrigen Hand fallen ließ.

Ich rannte nicht mehr, sondern taumelte herum. Mein Handy in der einen und meine hohen Schuhe auf der anderen lief ich wie ein Penner herum.

»Damla?«, fragte Alara und es tat etwas gut, ihre Stimme zu hören.
»Alara«, schluchzte ich. »Alara, es tut so verdammt weh! Es tut weh!«

Mein Herz zerquetschte sich. Ich konnte nicht fassen, wie falsch jemand sein konnte, wie falsch man jemanden einschätzen konnte, den man so lange kannte und so lange liebte. Wie bodenlos jemand in deinen Augen sinken konnte, für den du kurz vorher dein Leben hättest geben können.

»Damla, was ist los?«, rief Alara voller Sorge. Wieso machte sie sich diese Sorgen? Wieso kümmerte sie sich um mich? Es war nicht einmal eine richtige Woche vergangen, seit wir uns kannten! Wieso interessierte ich sie?

Das war ich nicht gewohnt. Ich war es nicht gewohnt, dass man sich um mich sorgte, dass ich einem auch wichtig sein konnte.

»Alara«, schluchzte ich und kam einfach nicht weiter.
»Damla, sag einfach, wo du bist. Ich komme zu dir.«

Ich taumelte weiter herum und sah auf den Straßennamen. »Ich bin in der Straße XXX.«

Ich sank auf den Boden und schluchzte noch lauter. Mein Handy fiel hinunter und flog einige Meter weiter von mir.

Die Szene spielte immer wieder vor meinen Augen ab. Jedes Mal bekam ich einen Messerstich in mein Herz, das von jedem zu früh verlassen wurde.

Ich fühlte mich so, als sei ich ein dummes Spiel gewesen, dass als erstes sehr reizend klingt, aber von dem man sich schnell langweilt und es wegschmeißt.

Ich schrie so laut ich konnte, doch nicht einmal das beruhigte mich. Mir wurde schrecklich über und mein Kopf fühlte sich so an, als würde es eine Tonne wiegen. Mein Herz fühlte sich so schwach an. Ich lag nun auf dem kalten Boden und weinte vor mich hin.

Mein Körper zitterte. Dieses Gefühl, allein zu sein umschlang mich und fraß mich innerlich auf.

Ein Auto fuhr die Straße entlang und ich hörte wie Schritte auf mich zukamen. Ich erkannte neben mich das schöne Mädchen, das nicht einmal eine ganze Woche kannte und die für mich bis hierhergekommen war. Auf der anderen Seite war noch jemand, aber da ich alles verschwommen sah, erkannte ich ihn nicht. Sie halfen mir hoch und setzten mich hinten in das Auto und Alara schnallte mich noch an.

Danach holte sie noch meine Sachen und setzte sich dann auf den Beifahrersitz. Dann hörte ich den Motor und war nicht bereit nach Hause zu gehen und diese Gesichter zu sehen. Die von meiner Mutter, Erdem und Osman.

Eine kurze Zeit nachdem wir fuhren, reichte mit Alara ein Taschentuch. Sie lächelte mich leicht an, aber an ihrem ganzen Gesicht sah ich Sorge. Dieser Gesichtsausruck war mir so fremd.

»Damla, willst du nach Hause oder zu mir?«, fragte Alara.
»Z-zu dir«, brachte ich noch hervor und langsam wischte ich mir die Tränen weg.

Den Typ am Steuer kannte ich nicht. Er sah konzentriert zum Weg. Ich schmollte leicht und schloss die Augen, was eine sehr schlechte Idee war, denn wieder dieses beschissene Bild kam zum Vorschein. Ich spürte wieder Tränen auf meinem Gesicht hinunter kullern. Konnte man je zu Ende geweint haben? Gab es da ein Limit?

Ich hörte, wie er nach meinen Namen rief und ich sah, wie ich wegrannte.

Wir stoppten und Alara half mir beim aussteigen. Sie brachte mich zu ihrem Haus, von dem eine Menge Geräusche kamen. Sie hatte wohl Besuch.

Ohne mich loszulassen, öffnete sie die Tür und half mir leise in ihr Zimmer.

»Ich komme sofort mit Wasser zurück!«, sagte sie Bescheid und ging aus dem Zimmer.

Als sie wieder kam, hatte sie mein Handy, meinen Rucksack und ein Glas Wasser dabei.

Meinen Rucksack stellte Alara neben ihrem Bett, auf dem ich saß und mein Handy auf die Kommode. Das Glas reichte sie mir und ging wieder aus dem Zimmer.

Ich starrte das Glas an. Irgendwie sah mich das Wasser schadenfroh an.
»Was hab ich dir angetan?«, murmelte ich zu dem Wasser, doch es sah mich nur noch glücklicher an.
»Stirb«, schluchzte ich und trank das Wasser sofort aus. Ich bemerkte zu spät, dass es gar nicht das Wasser, sondern das Glas war, welches mich schadenfroh ansah. Diesen Blick ertrug ich nicht. Ich schmiss das Glas fest gegen die Wand, sodass es in tausend Teile zerbrech.

Alara kam da mit ganz viel Schokolade her. Sie sah zu dem gebrochenen Glas und dann zu mir.

Schnell legte sie die Schokoladen weg und umarmte mich. »Es wird alles gut«, meinte sie, obwohl ich mir da nicht so sicher war.

»Er«, schluchzte ich. »Hat mich mit meiner besten Freundin betrogen!«

Alaras Umarmung lockerte sich und sie begriff, was los war. Sofort umarmte sie mich dann noch kräftiger.

»Ich hab ihn geliebt...«
»Es wird gut, ich Verspeche es dir«, murmelte sie, als wir uns von der Umarmung lösten und sah mich lange an. »Es vergeht sagen alle.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es ist so eine verdammte Enttäuschung, Alara, weißt du das? Vor allem tut es weh...«, meinte ich und sah zu Boden. »Vor allem tat es weh, dass ich es irgendwie wusste- tief im Inneren.«

Sie sah mich mit ihren großen Augen an, die sich mit Tränen füllten. Verdammt, warum füllen die sich mit Tränen?

»Er hat es mir gesagt«, zischte ich.
»Wer?«
»Osman«, flüsterte ich.
»Wer ist-«
»Mein bekiffter Stiefvater!«
Ich fing an mehr zu weinen. »Ich wollte ihm nicht glauben! Wie sollte ich ihm glauben!? Er hat ihn doch nicht einmal gekannt! Er hatte aber Recht! Was soll ich machen, Alara?! Es tut weh!«

Sie nahm mich wieder in ihre Arme und tröstete mich. Keine Ahnung warum, aber es tat gut. Es tat verdammt gut. Sie strich mir durch mein Haar und ich schloss die Augen. Am liebsten hätte ich jetzt geschlafen.

»Ich kenne ihn auch nicht«, sagte Alara. »Aber ich weiß, dass er dich nicht verdient.«
Diese Worte taten verdammt gut. Sie taten so gut, dass ich mich für den Moment gut fühlte, bis mein Herz mich wachrüttelte.

Alara stand auf und brachte die Schokoladen. »Mir hilft es«, sagte sie und lächelte. Ich sah mir die Schokoladen an und griff danach. Ich öffnete die Packung uns aß. »Warum tust du das?«, fragte ich sie, auch wenn es unhöflich klang.

»Was?«, fragte sie und sah etwas verwirrt aus. Die Frage war doch eindeutig, oder?
»Warum bist du so nett zu mir?«
Alara lächelte etwas. »Weißt du noch, als du mich getröstet hast, als ich wegen Erdem geweint habe? Du hast mich da doch auch getröstet. Das nennt man Freundschaft, Damla.«

Sie sah mir tief in die Augen und ich kaute weiter an meinem Schokoriegel.

»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Was du für ein Leben hattest, Damla. Sei mir jetzt bitte auch nicht böse, aber manchmal kommt es mir so vor, als ob du keine richtigen Freunde hattest, als ob du nicht wüsstest, was Liebe und Freundschaft ist.«

Ich sah sie geschockt an. Ich hatte ihr doch nichts erzählt! Nichts! Sie war die erste, die auf so etwas kam.

»Tut mir Leid«, murmelte sie doch ich schüttelte den Kopf. »Du brauchst dich nicht entschuldigen.«
Ich schluckte. Aus irgendeinem Grund wollte ich es ihr sagen. »Mein Vater ist gestorben, als ich noch einige Monate alt war und meiner Mutter ist es egal, wie es mir geht.«

»Aber deine Mutter ist doch eine sehr nette Person!«, meinte Alara und ich lächelte gequält. »Wenn andere da sind, ist sie nett.«

Alara sah geschockt aus.
»Und du hast ja bemerkt, wie meine Freunde sind«, murmelte ich. »Mein Stiefvater und meine Stiefbruder sind Scheiße... Ich lebe praktisch bei fremden... bei fremden.«

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