Kapitel 42

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Bei Fremden

Ge. 03- Kapitel 42

Ich löste mich schnell von der Umarmung, doch da war Hakan schon weg. Erdem sah mich irritiert an. »Ist etwas?«

»Ich muss noch etwas sehr wichtiges erledigen, hab ich total vergessen!«, rief ich und rannte in die Richtung, in der Hakan verschwunden war. Scheiße, wetten der lässt mich nicht ausreden.

Als ich ihn vor der Schule sah, stoppte ich sofort. Ich war echt glücklich darüber, denn ich hatte befürchtet, dass er irgendwie schon weg war. Er war schließlich für sein schnelles Verschwinden bekannt.

Hakan würdigte mir keinen Blick und ging weiter.

»Hakan!«, rief ich und rannte zu ihm. Er war aber einfach zu schnell.

»Würdest du mich bitte anhören!?«, kreischte ich. Er drehte sich schlafartig um und hatte seinen arrogantem Blick drauf. Wie ich diesen Blick hasste.

»Was?«, fragte er barsch und ich zuckte kurz zurück.

»Hakan, es ist nicht so, wie du denkst.«

»Achso«, zischte er und presste dir Zähne fest zusammen. Man sah ihm an, wie angespannt er war und in seinen Augen sah ich nicht nur Enttäuschung und Wut, sondern auch eine tiefe Trauer und Verzweiflung. Es hatte ihn verletzt. Verdammt, ich hatte ihn verletzt.

Ich sah zu Boden und fühlte, wie meine Augen glasig wurden. Es tat mir so weh, wenn ich in seine Augen sah.

»Hat es dir Spaß gemacht?«, fragte er und ich sah langsam hoch. »Hat es dir Spaß gemacht, mich so zu verarschen? Hat es ihm Spaß gemacht? War es lustig, dass ich reingefallen bin-«, er stoppte und ich sah, wie sich langsam seine Augen füllten. »Ist es amüsant, zu sehen, dass ich dir geglaubt habe? Dir vertraut habe? Dass ich dich gemocht habe?... vielleicht sogar mehr als mich selbst?«

Verdammt, was sollte ich sagen!? Wenn ich sagen würde, dass Erdem mein Stiefbruder war und nicht mein Freund oder so, würde er denken, dass ich ihn für meinen Bruder verarscht habe. Dass ich das geplant hatte.

»Komm schon, Damla«, bat er. »Sag mir, dass das nicht stimmt! Schrei mich an! Schimpf mich an! Sag, dass ich mir wieder viel zu voreilig irgendwelche Schlüsse gezogen hab! Bitte! Sag, dass es nicht stimmt!«

Ich öffnete meinen Mund, bekam aber keinen Ton heraus. Ich schaffte keinen Schritt, keine weitere Bewegung- als sei ich zu Eis erstarrt. Ich sah ihm nur in seine Augen, in die Augen, die mich verwirrten, die mich zum Lachen brachten. Die Augen, in denen ich mich verlor.

»Bitte«, nuschelte er. Ich wollte etwas sagen, ich wollte es so sehr. Ich wollte mich in seine Arme schmeißen, ich wollte ihm alles erklären, doch es ging nicht. Ich bekam es nicht auf die Reihe. Nichts, nichts schaffte ich, außer zu weinen, außer das die Tranen einzeln über meine Wange fielen. Ich blinzelte nicht einmal.

Er hob langsam seine Hand und strich mir eine Träne weg. »Schon verstanden«, sagte er und ging.

WARTE! Ich schrie und rief innerlich. Ich zerriss mich und schimpfte. Meine Bein zitterten und ich fiel zu Boden. Meine Stimme war immer noch nicht da.

Mein Kopf knallte dumpf auf den Boden und meine Augen schlossen sich automatisch. Ich fühlte den harten Boden unter mir. Dieses Mal war ich von selbst gefallen. Es war weder irgendein Mitschüler noch meine Mutter. Ich war gefallen in ein tiefes schwarzes Loch, welches mich auffraß. Es ließ mich nicht in Frieden.

»Damla!«, rief ein bekannte Stimme und ich hörte, wie sie sich zu mich fallen ließ. »Damla!«

»Alara?«, nuschelte ich und öffnete die Augen. Sie half mir hoch. »Gehts dir okay?«

Ich nickte und hielt meine Hand gegen die Stirn. Mein Kopf pochte unnormal.

»Willst du zum Krankenzimmer?«

»Bitte«, nuschelte ich und hörte, wie es klingelte. Wir warteten noch kurz, bis alle in ihren Räumen waren und stiegen dann hoch zum Sekretariat. Alara gab Bescheid und brachte mich in den Krankenzimmer.

Sie half mir mich hinzulegen.

»Hast du Kopfschmerzen oder so?«, fragte sie besorgt. Ich nickte. »Wird aber bestimmt gleich wieder.«

Und ich hatte Recht. Nach fünf Minuten ging es mir ehrlich sehr viel besser. Nur musste ich die ganze Zeit an Hakan denken. An seine Worte. An mein Schweigen.

»Wo ist eigentlich Metin?«, fragte sie mich vorsichtig. »Hakan Metin«

»Wie kommst du darauf, dass er bei mir war?«, fragte ich.

Alara speilt mit den Saum ihres Oberteiles. »Ich hab ihn ja weggebracht. Da- da beruhigte er sich schnell, wurde dann aber wieder unruhig. Er wollt hinter euch her, aber ich hab ihn gehalten. Weißt du, was er gesagt hat? "sie ist da, bei diesem Arschloch! Allein! Selbst wenn man mich dafür von der Schule werfen würde, würde ich hingehen!", hat er gerufen, aber ich hab ihn immer noch gehalten, bis er mir versprochen hat, dass er Erdem nichts tut. "auch wenn der Typ mich schlägt, mach ich nichts. Ehrlich! Die Ausnahme ist natürlich, wenn er Damla etwas antut.", meinte er. Ich fand das total rührend.«

Ich starrte auf den Boden.

»Ist etwas?«, fragte sie.

Ich hätte ihr gerne alles erzählt ohne jegliche Lücken, aber ich konnte nicht. Es war nicht der richtige Zeitpunkt. Ich war im Moment nicht bereit dafür.

Zu Hause überlegte ich lange und nahm mir vor, es ihm zu sagen. Es konnte doch wohl nicht so schwer sein? Außerdem wären dann alle Probleme geklärt. Gleich nach Hakan würde ich es dann auch noch Alara erzählen und gut ist. Ich hab niemanden verarscht. Das sollten sie wissen. Okay, ich hatte vielleicht Alara etwa falsches über Erdem erzählt, aber Hakan- nie! Er hatte mich nie über meine Familie befragt. Seine Schuld.

Seine Schuld.

Seine Schuld.

Ich musste grinsen. Ich hatte Erdem gehasst, jetzt gehörte er zu der Kategorie "Familie". Wie sich die Dinge ändern können.

Am nächsten Tag zog ich mich extra hübsch an. Ich weiß nicht, es war halt, weil... weil keine Ahnung.

Ich aß schnell und rannte aus dem Haus. Es fühlte sich an wie die Freiheit, als ich in der Schule war. Ich kann's nicht fassen, dass ich die Schule als "Gefühl von Freiheit" empfinde. Das sollte keiner Erfahren.

Ich suchte nach Alara, doch fand sie nicht. In mir breitete sich irgendwie eine Sorge. Fand ich sie nur nicht oder war sie gar nicht da? War ihr etwas passiert? Ach, Damla! du machst du viel zu viele Gedanken. Darf ein Mensch denn keinen Tag krank werden?

»Hey!«, quatschte mich da Alara von der Seite an und grinste.

»Gute Laune?«, fragte ich.

»Wieso nicht?«

»Äh, wir haben Schule?«

Sie kicherte. »Schule gleich Erdem. Erdem gleich Freude. Verstehst du?«

»Zu gut«, grinste ich. Es gab ja doch jemanden, der mich verstand!

Es klingelte und wir stiegen die Treppen hoch. »Ich kann nicht mehr«, nuschelte ich, als wir erst die Hälfte hinter uns hatten.

»Ich auch nicht«, keuchte Alara, die aber immer noch grinste. Sie war einfach nur süß.

Wir setzten uns alle auf unseren Platz. Ich stellte schon Mal meine Materialien auf den Tisch und breitete mich innerlich vor, Hakan alles zu gestehen. Er war nur noch nicht da.

Ich starrte die ganze Zeit zur Tür. Niemand in Sichtweise. Es kam kurz darauf nur der Lehrer und stellte seine Sachen auf seinen Pult. Ich starrte wieder immer noch zur Tür. Hakan war immer noch nicht da! Wo steckte er bloß!?

Ein Schüler schloss die Tür und der Lehrer begann den Unterricht.

Man Hakan! Wo bist du!?

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Okay, wegen euren letzten Kommentaren bin ich wieder Wattpad-begeistert :D Also ich würde gerne die alten Geschichten, die ich geschrieben habe (meine erste und zweite) und die, die ich gerade schreibe auch reinstellen. Hättet ihr Interesse?

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