Kapitel 33

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Bei Fremden
Kapitel 33

Als Hakan losfuhr wurde es still. Keiner sagte etwas, was mich irgendwie gar nicht bedrückte. Es war keine qualvolle Stille. Sie war beruhigend und auf eine Art irgendwie zauberhaft. Ich wagte es nicht, etwas zu sagen. Die Stimmung gefiel mir. Da unterbrach er sie auch schon. »Du bist seit langem die Einzige, die ich zu mir einlade.«
»Wow, dann bin ich ja etwas Besonderes.«

Als wir ankamen, lächelte er mich schief an und ich betrachtete sein Haus. Es war kleiner als unseres aber wunderschön. Hakan ging vor mir und schloss die Tür auf.

»Ihr habt ein schönes Haus«, murmelte ich.
»Danke«, sagte Hakan und ich betrat es. Wärme umströmte mich, als ich hinein kam und ich fühlte mich verdammt wohl.
»Darf ich dir deine Jacke abnehmen?«, fragte Hakan höflich und ich nickte knapp. Er nahm mir die Jacke wie ein wahrer Gentlemen. Ich meine, er war ja ein Gentlemen.

Wir stiegen eine Treppe hoch und gingen in sein Zimmer. Es war ungefähr so groß wie meins und sehr viel zu sehr ordentlich. Da ist ja mein Zimmer schlimmer. Ich bin ja ordentlich, aber Hakan übertrifft alles...

»Setz dich hin«, murmelte er und deutete auf den Stuhl neben seinem Schreibtisch. Ich nickte und setzte mich sofort hin. Danach kramte ich auch schon meine Latein Bücher heraus. Hakan setzte sich zu mir und vertiefte sich sofort in Latein. Wie konnte man bloß so... so schlau sein?

Ich zeigte ihm sofort, was ich nicht verstand und bekam ein mulmiges Gefühl. »Sind deine Eltern nicht zu Hause?«, fragte ich ihn und er schüttelte den Kopf.
»Oh«, murmelte ich und fühlte mich noch unwohler.
»Macht dir das etwas aus?«
Ich schüttelte den Kopf und tat so, als ob ich sehr mit Latein beschäftigt wäre. »Das verstehe ich auch nicht!«
Er nickte und begann zu erzählen. Ich konnte ihm irgendwie nicht richtig zuhören. Mein Herz schlug zu schnell und zu laut. »Ach so«, murmelte ich, obwohl ich nichts verstand. Dann versuchte ich einen Teil zu übersetzen und zeigte es ihm dann.

Hakan las es sich durch und runzelte die Stirn. »Du bist wirklich dumm, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nö, Latein ist bloß nicht meine Stärke!«
»Dann bist du dumm in Latein.«
»Meinetwegen.«

»Du fängst total falsch an«, meinte er und erzählte weiter. Komm schon, Damla! Konzentrier dich! Uff, wie denn, wenn der ganze Raum hier nach Hakan riecht?

»Hörst du mir zu?«, fragte Hakan verwirrt und ich knallte meinen Kopf gegen den Schreibtisch. »Tut mir Leid!«, sagte ich und ich fühlte mich mehr als nur schlecht.
»Okay, Damla! Kein Stress, kein Stress. Warte, ich hol dir ein Glas Wasser.«
Ich sah noch, wie er aus dem Zimmer ging und fühlte mich noch schlechter. Hakan war so ein anderer Typ Mensch. Ich meine, er war fürsorglich und süß und ach, was sag ich da?

Hakan kam mit einem Glas Wasser zurück und gab es mir. »Ist okay, wenn du's nicht kannst. Man muss etwas nicht auf Anhieb können.«
»M-mach die keine Sorgen«, nuschelte ich und trank das Wasser aus. Er lächelte mich zufrieden an.

»Kannst du es mir noch einmal zeigen?«, fragte ich ihn. »Wenn es keine Umstände macht.«
Er nickte und erklärte es mir wieder. Dieses Mal versuchte ich meine ganze Aufmerksamkeit darauf zu geben und ich verstand es! Ich konnte es nicht glauben! Grinsend schrieb ich meine neue Übersetzung hin und zeigte sie ihm. Er grinste ebenfalls und nickte.

»Gut, du lernst echt schnell«, lobte er mich und ich strahlte.
»Du, Hakan, darf ich dich etwas fragen?«
»Ja?«
»Ähm, nachdem Nils aus der Schule gerannt war, hast du ihn dann geschlagen?«
Er zischte etwas leise.
»Hakan!«
»Ja«
»Warum?«
»Weil er mich genervt hat.«
»Du bist ihm hinterhergerannt.«
»Damla! Weißt du noch, was ich zu dir gesagt hatte, als ich dich bei der Prügelei gesehen hatte?«
Es war: "wenn ich etwas schön oder süß finde, will ich das es erhalten bleibt." Er fand mein Lächeln süß.

»Bitte sag mir, dass das Antwort genug ist«, bat er.
Ich nickte kurz. Hakan schon seinen Stuhl etwas weiter weg von mir. Er versuchte es unauffällig zu tun, aber ich merkte es und das tat mir irgendwie weh. »Naja, danke. Ich geh dann Mal«, murmelte ich. Ich war genug hier geblieben.

»Hast du alles verstanden?«, fragte er und sah eher enttäuscht aus. Ich nickte nur kurz. »Zumindest genug für heute.«
»Du hast mich etwas gefragt«, sagte er, als ich meine Latein Bücher wieder in die Tasche packte. »Darf ich jetzt bitte fragen?«
Ich blinzelte, nickte aber dann.
»Warum hast du so viel Stress? Ich meine, ich bin mir sicher, dass es nur nicht wegen Cindy ist.«
»Nicht nur«, korrigierte ich. »Es ist auch wegen ihr, aber auch wegen dem Umzug, wegen Nils und-«
Ich hätte beinahe "meine Mutter", gesagt, hielt mich aber sofort davon ab. »-Und Schule.«
Er nickte. »Ist gut.«

Er blickte wieder aus dem Fenster und schwieg. Sollte ich etwas sagen? Nein, lieber nicht... oder doch?

»Hakan, danke dass du mir geholfen hast.«
»Immer doch«, murmelte er und grinste schief. Ich musste automatisch mit grinsen.

Plötzlich hörte ich, wie die Eingangstür des Hauses aufging und mit voller Wucht zugeknallt wurde. »Deine Eltern?«, fragte ich. Hakan schloss die Augen und schüttelte den Kopf, als erwarte er das Grauen.

»Haka-aaaaaaaaaaaaaaaaa-n!«, kreischte eine Mädchenstimme und stampfte die Treppen hoch.
»Sie kann es nicht lassen«, zischte Hakan und ging zur Tür, die er öffnete und hinausging.

»Hakan! Du wirst es nicht glauben!«, schrie die Stimme.
»Ceylan, kannst du das nicht später erzählen?«, fragte Hakan.
»Warum?«, kreischte das Mädchen empört.
»Wieso erzählst du deinen Scheiß nicht Melike?«
»Weil Melike weg ist! Die ist bei ihrer Oma!«
»Dann ruf sie an!«
»Warum, ich hab doch dich zum nerven.«

Das Mädchen lachte und fing dann an zu weinen. Ich verstand die Welt nicht mehr. War ich auch so kompliziert, wenn ich traurig war.

»Ich hab-«, brachte Hakan kurz hervor und machte dann eine Pause.
»Hausaufgaben?«, riet das Mädchen aufgebracht. »Sind Hausaufgaben wichtiger als deine große wunderschöne Schwester?«
»Ceylan, ich hab besuch!«
»Was!?«, rief Ceylan erschrocken. »Du hast besuch? Du, Hakan Metin, du arroganter Streber hast besuch? Welcher Typ hat es denn so weit in deiner Freundesliste geschafft?«
Sie fing an zu lachen und öffnete die Tür.

Als sie mich sah klappte ihr Mund auf und ihre Augenbrauen kamen in die Höhe. »Du hast ein Mädchen zu Gast?«, fragte sie und man erkannte an ihrer Stimme, dass sie das nicht glauben wollte. »Ein Mädchen?«, wiederholte sie und kam zu mir. Ehrlich, ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich starrte sie nur mit großen Augen an. Sie sah Hakan ähnlich aus, gleiche Haarfarbe, gleiche Augenfarbe. Ihr Haar hatte sie zu einem Dutt gebunden. Sie sah echt hübsch aus.

Ceylan starrte mich noch kurz an, packte mich dann am Arm und zerrte mich aus dem Zimmer.
»Ceylan, was soll das?!«, rief Halan und diese Frage brannte mir auf der Zunge. Was sollte das!?

Sie zerrte mich in ein anderes Zimmer und schloss die Tür ab. Hakan hämmerte daran, aber sie reagierte gar nicht darauf. »Du, du Ärmste! Was hat er dir angetan! Hat er dich bedroht? Dich vergiftet? Warum bist du hier? Ich meine, welcher normale Mensch bleibt schon freiwillig bei Hakan? Hat er dich geschlagen? Nein, das würde er nicht tun... Bedroht? Belogen? Keine Ahnung! Warum bist du hier? Du kannst mir vertrauen!«
Oh man, sie redete wie ein Wasserfall und sah mich dabei neugierig an.
»Rede schon oder hat er dir die Zunge herausgeschnitten?«

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