Kapitel 15

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Bei Fremden
Kapitel 15

Dieser Anblick verschaffte mir einen Schlag. Mein Mund klappte auf und jeder Schlag tat weh. Warum? Ich hasste Erdem und ich hasste Hakan. Was sollte das?

Sie schlugen sich immer mehr und immer mehr, sodass der Kampf ziemlich ernst wurde.

Alara schloss die Augen und tat ihre Hände vor ihren Mund. Der Anblick musste für sie ebenso schlimm sein.

Dennoch blieb ich da, wie angewurzelt. Meine Beine wollten sich nicht bewegen. Ich zwang mich, doch es nützte einfach nichts. Wieso hören die Beine nicht auf mich? Böse Beine!

Erdem schlug gerade Hakan eine, der sich daraufhin auf Erdem stürzte. Das schlimmste war ja das Blut, auch wenn es wenig war, welches auf dem Boden war. Ich schluckte. Blut war kein gutes Zeichen. Das hätte selbst ein Kindergartenkind erkannt.

Sie schlugen und kämpften immer heftiger. Keiner von den beiden sah zu seiner Umgebung. Sie schlugen nur voller Wucht. Die Anderen um uns herum fingen auch an zu kämpfen. Immer jeweils einer, der auf Erdems und einer der auf Hakans Seite war, schlugen sich.

Es waren sogar Mädchen hier, die kämpften. Wenn wir uns von der Stelle bewegen würden, würden die uns angreifen. Wenn wir uns nicht bewegen, würden sie uns angreifen. Was nun?

Alara bekam einen Schock und leichte Panik. Ich drückte ihre Hand. »Ist okay«, murmelte ich, obwohl die Lage alles andere als okay war.

Es wurden immer mehr Kämpfer und viel zu spät kamen nun Lehrer, die die Menge aufhalten wollten. Ich griff nach Alaras Arm und rannte, als ich die Lehrer sah, in die entgegengesetzte Richtung. Ärger wegen irgendwelchen Idioten zu bekommen, hatte ich ehrlich keine Lust.

Als ich rannte stieß ich hart mit der Schulter gegen jemanden und sah nach hinten. Da sah ich seine grünen Augen. Hakan sah mich geschockt an, mit einer blutigen Lippe und einem verwirrten Gesichtsausdruck.

Ich sah wieder nach vorne und rannte mit Alara weg. Wir schafften es sogar von dem Gedrängele loszukommen, ohne erwischt zu werden.

Wir rannten in die Pausenhalle und setzten uns schnell hin. Das war irgendwie ganz lustig gewesen... naja, jetzt da es vorbei war, war es lustig. Gerade hatte ich noch das Gefühl, als ginge es um mein Leben.

Mein Herz beruhigte sich langsam und wir atmeten auf.

»Ich hoffe, uns hat keiner gesehen«, murmelte Alara. »Das passiert öfter, weißt du?«
»Wie?«, fragte ich.
»Meistens fängt es wegen Erdem und Hakan an. Die prügeln sich fast jede zweite Woche.«

Ich starrte Alara nur verblüfft an, während sie weiter fuhr. »Unsere Lehrer sind bescheuert. Weil sich das so oft wiederholt und die ein Ende setzen wollen, benutzen sie eine beschissene Taktik.«
»Die wäre?«
»Sie wollen unbedingt wissen, wer alles mitgemacht hat beim prügeln. Wenn alle, die die Lehrer erwischt haben, zusammengestellt werden, wird gefragt, ob jemand fehlt. Wenn irgendjemand jemanden sieht und das sagt, bekommt er keine große Strafe mehr.«
Ich bekam große Augen. Ich hatte mich an Hakan gestoßen und er hatte mich gesehen! Vor allem, was soll diese beschissene Taktik!?

»Aber, was wenn jemand die Schuld auf jemanden schiebt?«, fragte ich.
»Es gibt hier in der Pausenhalle, im Hof, in der Cafeteria und in den Gängen und so Lehrer. Die können bezeugen, ob du da warst. Wenn keine Lehrer dabei waren, bist du tot. Aber wenn jemand  falsches Verurteil, oha der kriegt eine große Strafe.«
»Die wäre?«
»Nachsitzen für eine Woche und Toilettenputzen.«
»Bah!«
»Ich weiß! Die normale Strafe ist eine ganze Woche nachsitzen und die leichte, wenn man eine Person petzt ist, einmal nach zu sitzen.«
Oha, kranke Welt.

»Die, die man aufgeschrieben hat, dürfen dann wieder zur Pause«, murmelte Alara noch und wir schwiegen dann eine Weile.

Ich kaute an meiner Unterlippe. Würde Hakan mich petzen? Also wer würde eine Woche Nachsitzen nicht gegen einen Tag tauschen wollen?

»Weißt du, was man beim nachsitzen macht?«, fragte ich Alara.
»Kommt auf den Lehrer an. Diesen ganzen Monat passt Frau Kiesel auf die Nachsitzenden auf und die lässt einen meterlangen Texte schreiben und wenn du nicht schnell genug schreibst oder unordentlich, musst du es von neuem abschreiben. Darauf hab ich echt null Bock.«
Okay, wetten der petzt mich. Uff!

»Die, die gepetzt wurden, werden nach dem Unterricht zu sich gerufen, bla bla. Wenn du mich fragst- sinnlos.«

Genau da kam Hakan die Treppen hinunter. Ich sah extra nur vom Augenwinkel zu ihm, doch er würdigte mir keinen einzigen Blick. Hieß das: "ja ich hab dich gepetzt und deshalb will ich deinen Blick nicht begegnen" oder "Hey, ich bin Hakan! Arrogant und selbstverliebt wie immer!"

Er setzte sich auf eine Bank und tat seine Hände in seine Hosentasche. Seine Lippe war blutig geschlagen worden und sein Auge war leicht angeschwollen. Äußerlich machte er aber einen Eindruck, als seien die Wunden bloß schein.

Alara wog ihren Kopf zur einen und zur anderen Seite. Ich sah zu ihr und sie guckte misstrauisch. »Du verheimlichst etwas!«
»Nö, was?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wieso starrt du so dumm auf Hakan?«
»Was? Ich? Ne! Ich bin nur etwas aufgewühlt noch wegen Nils. Ich meine, ich war nur kurz weg...«
Schlechte Ausrede, aber Alara ließ sie gelten. Sie fragte einfach nicht weiter nach und ich hoffte, dass sie nichts Falsches dachte. Ich meine, die Person, von dem wir sprachen war Hakan. Das wäre lächerlich, wenn sie auf so dumme Gedanken kommen würde.

Ein Mädchen kam da in die Pausenhalle und sah sich um. Mit einem Grinsen ging sie auf Hakan zu und setzte sich neben ihn. Hakan würdigte ihr, wie auch allen Anderen keinen Blick.

Das Mädchen räusperte sich, bekam jedoch immer noch keine Aufmerksamkeit.
Haha!
»Äh, Hakan... ich bin so schlecht in Latein. Könntest du mir helfen?«, fragte sie in einer zuckersüßen Stimme, die mich hätte zum kotzen bringen können. »Ich brauche nur kurz Hilfe. Wenn es hier nicht passend ist, könnte ich dich zu mir einladen.«

Hakan sah sie mit einem herablassenden Blick an. »Ich finde, du solltest diese Maschen bei Kerlen führen, die auch wirklich interessiert an Schlampen sind.«
Dem Mädchen klappte der Mund auf.

Ich hätte am liebsten laut gelacht, aber ich musste mich halten. Was war bloß los mit mir?

»Gib dich nicht mit der ab, die neben Hakan sitzt. Die ist voll die Schlampe, da hat Hakan recht, aber er ist trotzdem scheiße.«

Das Mädchen stand auf und ging schnell weiter.

»Ich meine, Hakan ist doch eingebildet und lässt niemanden an sich ran!«, fuhr Alara fort.
»Was?«, fragte ich. »Ist es besser, wenn man wie Hakan ist und im Gegensatz zu vielen Jungs sich nicht mit Schlampen einlässt oder wie Erdem ist und mit Schlampen ins Kino geht!?«
Ich wusste nicht wieso und warum ich das sagte. Es kam einfach so aus mir heraus und ich bereute es zutiefst.

»Damla, alles okay?«, fragte Alara und ich nickte. »Ich hab es ja gesagt. Ich bin noch etwas aufgewühlt wegen Nils.«
Was war das Damla? WAS WAR DAS? WAS SOLLTE DAS? Dafür hätte ich mich selbst ohrfeigen können. Eine links und eine rechts schellen.

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte mein Herz zu beruhigen, doch es schlug die ganze Zeit wie verrückt.

»Aber normale Mädchen lässt er ja auch nicht an sich ran«, murmelte Alara vorsichtig. Ich wusste genau, weshalb sie Hakan nicht so mochte. Schließlich mochte Erdem Hakan auch nicht.

Nach der Pause wartete ich die ganze Zeit darauf, dass irgendein Lehrer in den Raum stürzte und mich verurteilte, weil Hakan mich gepetzt hatte, doch es kam niemand. Ich sah die ganze Zeit zur Tür, aber niemand kam. Schließlich klingelte es und ich beruhigte mich. Ich lachte sogar etwas, weil ich mir bescheuert vorkam.

In dem Moment kam ein Lehrerin in den Raum und grinste voller Schadenfreude. »So, ich habe hier eine Liste von Leuten, die gekämpft haben, aber als sie uns, die starke Lehrgemeinschaft sahen, geflüchtet sind.«
Starke Lehrgemeinschaft? Die wollen mich doch zum Lachen bringen!

Mein Herz setzte aus, als er die Liste vorlas. Ich konnte es einfach nicht fassen.

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