Kapitel 82

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Bei Fremden
Ge. 03- Kapitel 82

»Erdem?«, hörte ich meine piepsige Stimme. Es war, als ob mein Herz in meinen Hals gerutscht wäre. Es pochte laut, stark und viel zu schnell. Die Luft zum Atmen wurde mir geraubt. Es fühlte sich so an, als sei der Boden mir unter den Füßen gerissen worden. Meine Welt zerbrach, denn ich blickte in die schockierten Augen von Erdem. Nein, er hatte das nicht verdient. Ich hätte es ihm sagen müssen. Ich spürte eine warme Träne mein Gesicht hinunter gleiten. Davor hatte ich nicht bemerkt, dass meine Augen glasig geworden waren. Hinter dieser einen Träne folgten mehrere. Ich war verloren, bis ich eine warme Hand spürte.

Hakan legte seine Hand in meine und hielt sie fest. Ich fasste langsam wieder Mut. Seine Wärme fuhr in mein Körper, es beruhigte mein Herz etwas. Ließ mich stärker wirken. Hakan war eine unbeschreibliche Quelle von Hoffnungen. Er war meine Liebe. Ich liebte ihn so sehr- so sehr. Diese Liebe gab mir die Kraft wieder nach vorne zu blicken.

»Ich«, begann ich und merkte, dass ich gar nicht wusste, wie ich anlegen sollte, was ich sagen sollte, ob ich überhaupt sprechen sollte.
»Ihr seid zusammen?«, hörte ich Erdems Stimme rau. In seinem Gesicht härteten sich alle Züge. Er ballte seine Hände langsam zu Fäusten.

Während ich ihn dumm anstarrte und die nächste Flut von Tränen anbrachten, nickte Hakan leise.
»Du solltest dich von ihr fern halten«, zischte Erdem und die Verzweiflung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Würde Hakan nicht meine Hand halten, dann würde ich mit großer Wahrscheinlichkeit umkippen.

»Ich liebe sie«, sagte Hakan. In mir hätte sich im Moment ein Schwall von Schmetterlingen verbreiten müssen. Stattdessen drehte sich mein Magen und mein schlechtes Gewissen meldete sich.
»Red' keinen Scheiß.«
»Ich meine es ernst.«
»Ich auch.«

Das Gefühl, dass es hier in einigen Sekunden eskalieren würde, wurde mit einem Mal stärker. Ich drückte Hakans Hand fester, um ihm anzudeuten, dass er nichts falsches machen sollte.

»Akkaya!«, rief eine Jungenstimme dann plötzlich. Erdem drehte sich mit einem Mal zu den Jungen, der keuchend vor uns stand. Er atmete hysterisch. »Cindy und Alara. Die kloppen sich gerade.«
»Was?!«, rief Erdem. Mir kam nichts über die Lippen. Nur mein Mund öffnete sich leicht.

»Schnell!«, rief der Junge und Erdem rannte ihm nach. Ich zog an Hakans Hand und wir liefen den beiden hinterher. Ich verstand nicht, was los war. Erst, als ich die Menge in der Pausenhalle sah, realisierte ich es. Alara prügelte sich mit Cindy!
Ich versuchte mich vergebens durch die Menge zu quetschen, aber die Leute waren einfach zu fett.

Ich reckte und streckte mich, bis ich noch kurz sah, dass Erdem die beiden trennte und von allen Seiten: »buuuh!«, gerufen wurde. Dazu kam auch noch ein Lehrer dir Treppen hinunter kam, was dafür sorgte, dass das Publikum ging. Erdem ging zum Pausenhof und zog Alara mit sich. Ich rannte denen hinterher und zog Hakan hinter mir her. Draußen gab es endlich wieder frische Luft.

Alara und Erdem merkten uns wohl nicht. Sie waren in ihren Gespräch versunken. »Wieso hast du das gemacht?«, hörte ich Erdem schimpfend sagen.
»Sie hat eben Mist geredet«, zischte Alara und sah weg. Erdem nahm ihr Gesicht in seine Hände, sodass sie ihn ansehen musste. »Alara-«
»-man weißt du, wie scheiße das ist, mit anhören zu müssen, was sie von sich gibt? Allein der Gedanke reicht.«
»An was?«
»Na, dass du uns sie-«, sie stoppte und ihr kullerte eine Träne die schon gerötete Wange entlang. »Dass sie und du und- halt-«
»Psst«, flüsterte Erdem und wischte ihr die Träne weg. »Alara, ich liebe nur dich- nur dich.«
Erdem legte seine Lippen auf die von Alara und ich sah zu Boden. Sie waren so süß und so glücklich. Ich spürte eine Leere in mir. War ich so glücklich wie die beiden? War ich es? Oder bildete ich es mir nur ein? Ich sah wieder hoch und musste mit ansehen, wie sich die beiden verliebt anschauten und sich gleich wieder küssten.
Heul doch, dachte ich.

Es schellte und dieses Mal rannte ich einfach hoch in die Klasse, ohne auf Erdem, Hakan oder Alara zu achten.

Flüchten. Das konnte ich doch am besten.

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