Kapitel 1 / Green Eyes

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Kapitel 1

Von der Küste her wehte mir ein eiskalter Wind entgegen. Ich hatte immer gedacht, in Kalifornien würde es meist sonnig und warm sein, doch heute verdichteten dunkle, dicke Quellwolken den Himmel über Monterey und behinderten dadurch die Sicht auf die Sonne. Seitdem wir hier angekommen waren, in dieser kleinen Stadt am Pazifik, wollte ich wieder weg von hier. Ich hasste es hier nicht, weil es nicht schön war, ganz im Gegenteil. Was ich hasste war der Grund weshalb ich hier sein musste.

Ich zog mir meine Kapuze über, als der erste Regentropfen auf mein Gesicht traf. Vielleicht sollte ich mich lieber auf den Weg nach Hause machen. Nein nicht nach Hause, sondern zu meinem Vater. Zu Hause war woanders, weit weg. Mein Zuhause hatten sie mir weg genommen, genau wie meine Mutter mir weg genommen wurde.

Ich seufzte, stand von der kalten Bank auf und drehte die Musik meines iPods so laut es ging. Joggen und dabei Musik hören half mir. Wenn ich lief, konnte ich verdrängen was passiert war. Ich stellte mir einfach vor, ich wäre im Urlaub und konzentrierte mich auf den Sandstrand, der in endlosen Kilometern vor mir lag. Manchmal stellte ich mir vor, hier entlang Richtung Süden bis nach Mexiko zu laufen. Zusammen mit der dröhnenden Musik in meinen Ohren, konnte ich den unbändigen Sturm in meinem Kopf abstellen und den Schmerz zumindest kurzzeitig betäuben.

Es war nicht weit, bis zum Haus meines Vaters, einer Villa, direkt am Strand. Eine hölzerne Treppe führte von dem Sand direkt nach oben in den ersten Stock zu einem Balkon über der rund herumlaufenden Veranda und von diesem Balkon konnte ich direkt in mein Zimmer schlüpfen. So musste ich nicht erst durch die Küche und das Wohnzimmer unten, wo der Luxus, in dem mein Vater lebte, noch offenkundiger präsentiert wurde, als mit diesem gigantischen Haus ohnehin schon. Ich fragte mich oft wirklich, was er mit dem Haus gemacht hatte, bevor Jolie und ich zu ihm gekommen waren. Es war wahnsinnig, so viel Platz zu verschwenden.

Mein genialer Plan, mich einfach über die Treppe rein zu schleichen schlug allerdings in eben jenem Moment fehl, da ich die Stimme meines Vaters durch das offene Fenster der Küchentür hörte. Über die Lautstärke meiner extra großen Kopfhörern bekam ich nicht genau mit, was er eigentlich wollte.

„...und deswegen würde ich an deiner Stelle mal überlegen, wie du da morgen hinkommst Isabelle."

„Wo soll ich hinkommen? Und nenn mich nicht Isabelle!", meine Entgegnung war zugegebenermaßen etwas zu offensiv. Ich sollte ihn wirklich nicht mit jedem Satz bestrafen. Immerhin hatte er uns aufgenommen, ansonsten wären wir jetzt sonst wo, in einem Heim oder gar bei irgendwelchen schlimmen Pflegeeltern.

„Belle, hast du denn den letzten halben Monat nicht auf den Kalender geschaut? Morgen fängt die Schule wieder an und da wirst du hingehen, um deinen Abschluss zu machen." Mein Vater sah mich viel zu lieb und bittend an, als dass ich ihn als drohend wahrnehmen konnte. Ich wusste, dass er absichtlich versuchte, nicht böse mit mir zu werden. Er wollte zu mir vordringen, doch zu viel, über 13 Jahre angesammelte, Bitterkeit machte es mir unmöglich. Ich wünschte mir sogar, er würde böse werden. Ich wollte, dass wir uns streiten. Dann hätte ich die Chance gehabt, ihm all das an den Kopf zu werfen, was wie in einer Endlosschleife in meinem Kopf lief.

„Klar, William, um ich meine Dad. Klar. Ich borg mir deinen alten Wagen, wenn das okay ist? Der dürfte mir reichen." Sein alter Wagen war das dritte Auto, das ganz hinten in der Garage stand. Er war wohl mal rot gewesen und hatte an einigen Stellen bereits Rost angesetzt, war aber noch dreimal so gut in Schuss, wie das Auto das ich mir früher mit meiner Mum geteilt hatte.

Ich ließ meinen Vater mit dieser Antwort stehen und ging die Treppe nach oben durch die moderne Tür in mein Zimmer. Ich hatte beim Umzug darauf bestanden, meine Möbel mit in das neue Haus zu nehmen, das einzige worauf ich behaart hatte. Zudem hatte ich mir ähnliche Tapete und Teppiche gekauft, sodass der Raum aussah, wie eine nahezu perfekte Kopie meines alten Zimmers. Das größte Stückchen Zuhause, das ich weit und breit finden konnte.

Liebe kennt keine Grenzen (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt