Kapitel 28
Seit Tagen hatte sich auf meinem Gesicht ein Dauergrinsen festgesetzt, dass sich durch nichts und niemanden mehr auslöschen ließ. Glücklicherweise waren zur Zeit Ferien, denn sonst wäre diese neuerliche gute Laune noch mehr Menschen als Jolie und meinem Vater aufgefallen, wobei keiner der beiden den tatsächlichen Grund kannte.
Immerhin konnte ich Harry schlecht mit nach Hause bringen und als meinen neuen festen Freund vorstellen. Mein Vater würde ausflippen und Harry direkt anzeigen. Und auch wenn Jolie zu solchen Schritten mit ihren vier Jahren noch nicht in der Lage war, konnte ich das Risiko nicht eingehen, ihr davon zu erzählen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie entweder zu Hause oder im Kindergarten etwas davon ausplappern würde, war einfach zu groß.
Manchmal fühlte ich mich schon fast, als leide ich unter Verfolgungswahn, denn die Angst entdeckt zu werden, wurde nicht kleiner, sondern wuchs eher. Harry war mir in diesem Sinne auch keine große Hilfe. Wie sollte er auch, wenn für ihn bei der Sache viel mehr auf dem Spiel stand, als für mich selbst?
Trotzdem schaffte ich es, meine Ferientage irgendwie mit Harry zu verbringen, wobei ich von den langen Arbeitszeiten und Jolie's Aufenthalt im Kindergarten eindeutig profitierte. Wenn die beiden aus dem Haus waren, machte ich mich entweder auf den Weg zu Harry oder aber es dauerte nicht lange, bis es an der Tür klingelte und er auf der Matte stand. Zwar waren die Möglichkeiten dessen, was wir gemeinsam unternehmen konnten, recht begrenzt, aber bei dem stürmischen Januarwetter hatte auch keiner von uns beiden den besonderen Wunsch, nach draußen zu gehen.
Allerdings konnten wir uns nicht über Langeweile beklagen. Wir schauten uns Filme miteinander an oder kochten zusammen, aber die meiste Zeit verbrachten wir damit, uns einfach zu unterhalten.
Ich hatte nie geahnt, dass mir irgendetwas in meinem Leben fehlte, aber jetzt merkte ich es: ich hatte nie einen wirklichen Freund gehabt, eine Person, der ich alles erzählen konnte, jemanden, dem ich vertraute. Es hatte immer nur mich und Jolie gegeben und jetzt war da plötzlich jemand, den ich liebte.Ich konnte mit Harry über meine Mutter reden und über all die schlimmen Erfahrungen, die ich in Seattle gemacht hatte und am liebsten für immer aus meiner Erinnerung verbannen würde. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, dass der Schmerz, der mich aufgrund all dieser Dinge überschattete, für immer ein Teil von mir sein würde, eine Art Last, die ich nicht mehr loswurde. Aber jetzt, wo ich zum ersten Mal frei darüber sprach, konnte ich förmlich spüren, wie sich meine Brust ein klein wenig leichter anfühlte, fast so, als wäre mir tatsächlich ein Stein vom Herzen gefallen.
Und Harry verstand mich, auf eine Art und Weise wie wahrscheinlich nur er mich verstehen konnte. Wenn ich erzählte, fiel er mir nie ins Wort und er tadelte mich auch nicht, wenn ich damit angab, wie gerissen ich manchmal den Leuten das Geld aus ihren Taschen stibitzt hatte. Eigentlich saß er einfach nur da, während ich meinen Kopf an seine Brust gelegt hatte und strich mir über den Kopf.
Irgendwie gab er mir damit wirklich das Gefühl, als wäre das alles weit, weit weg und würde gar nicht mehr zu meinem Leben gehören.Aber nur weil meine Vergangenheit mich nicht mehr berührte, hieß das nicht, dass ich in der Gegenwart keinerlei Probleme mehr hatte. Im Gegenteil; denn im Augenblick sah ich mich meinem bisher größten Problem gegenüber.
Die Winterferien waren nur von kurzer Dauer gewesen und die harte Realität stand mir ins Haus.
Eine Welt, in der ich Schülerin war und Harry mein Lehrer.
Zu Hause, da konnten wir so tun, als wäre das nur eine Nebensache, als gäbe es die Realität eigentlich gar nicht. Aber als Harry mich am letzten Feriensonntag nach Hause fuhr und extra zwei Straßen weiter hielt, damit man uns nicht zusammen sehen konnte, hatte sich eine bedrückende Stille über uns gelegt, die mir bestätigte, dass Harry dasselbe dachte, wie ich.
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Liebe kennt keine Grenzen (Abgeschlossen)
FanfictionMan dachte, man würde Belle einen Gefallen damit tun, sie zu ihrem Vater in die Sonne zu bringen, nachdem sie in ihrem alten Zuhause so viel Hässliches miterleben musste. Doch niemand hatte Belle nach ihrer Meinung gefragt und niemand schien sich au...