Kapitel 8 / No way out

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Kapitel 8

Auch wenn ich Harry bei der Heimfahrt meine halbe Lebensgeschichte offenbart hatte, so hieß das nicht, dass wir plötzlich miteinander umgingen, als wären wir die besten Freunde. Eher im Gegenteil, Ich war ständig peinlich darauf bedacht, Harry ja nicht zu lang anzusehen oder gar mit ihm allein zu sein.

Nach all dem was ich gesagt hatte, wäre es mir unerträglich, die mitleidigen Blicke von ihm zu ernten, die ich von diesen ganzen Sozialarbeitern, Richtern und anderen Leuten bekommen hatte. Ich wollte kein Mitleid, ich wollte das lieber alles hinter mir lassen und nach vorne sehen, jetzt wo ich schon dazu gezwungen war.

Wenn ich ehrlich war, wollte ich gar nichts weiter, als Frieden mit meiner Vergangenheit zu schließen. Vielleicht hatte ich diese Erzählung einfach gebraucht, um endgültig mit meinem alten Leben abzuschließen und mit dem neuen zu beginnen. Und jetzt, wo auch Jolie so offenkundig glücklich war, merkte ich richtig, wie die permanente Anspannung die ich seit Monaten, ja fast Jahren behaftet hatte, nach und nach von mir abfiel.

Es fühlte sich unnatürlich an, sich nicht mehr ständig den Kopf über irgendwas zerbrechen zu müssen.

Weil ich meinte, es wäre ein Schritt in die richtige Richtung, und weil es, nach allem was passiert war, vermutlich das schwierigste war, wollte ich damit anfangen, Freunde in Laguna Beach zu finden. Und weil die einzige Seele, die in meinem Alter war und mir darüber hinaus auch einigermaßen freundlich begegnete, Damien hieß, beschloss ich, es noch einmal mit ihm zu versuchen.

Passenderweise hatten wir zusammen Spanisch und weil wir nach der Pause vor dem Raum warten mussten, nutzte ich die Gelegenheit, um ihn zu fragen, ob er sich nicht zu mir auf den leeren Stuhl neben meinem setzen wollte.

Aus irgendeinem Grund fand Damien diese Idee gar nicht so schlecht und war ganz begeistert davon, das picklige und plumpe Mädchen mit der Zahnspange allein zu lassen.

"Hast du endlich genug von deiner Einsiedlerzeit?", flüsterte er mir mitten in der Abfragung der Hausaufgaben zu.

"Ich denke, ich sollte dir vielleicht einfach eine zweite Chance geben.", erwiderte ich ebenso leise. "Immerhin hab ich auch eine bekommen."

Da die stets missgelaunte Spanischlehrerin Miss Sanchez bereits mit einem strengen Blick zu uns beiden hinüber gesehen hatte, antwortete Damien vorsichtshalber nur mit einem Lächeln.

Nach Bio und Geschichte, die sich an diesem Tag auch noch furchtbar in die Länge zogen und somit noch langweiliger waren, als ohnehin schon, war nun endlich wieder Sport und danach die Leichtathletik-AG an der Reihe.

In Sport hatte die Gruppe noch immer Probleme damit, den Unterschied zwischen Fußball und Football zu verstehen. Die Mädchen nahmen den Ball größtenteils gerne in die Hand oder versuchten mit ebenjener ihre Körper vor dem Spielgerät zu schützen, während die Jungs das Wort 'Foul' sehr großzügig interpretierten. Nach einer Stunde voller Chaos, beendete Mr.Styles den Unterricht, deutlich erschöpfter als vorher.

"Vielleicht sollten wir doch was anderes machen.", schlug ich an Damien gewandt vor, während wir auf die anderen aus der Leichtathletik-AG warteten. Inzwischen war ich eine der Wenigen geworden, die sich mit der runden Kugel am Fuß angefreundet hatten. "Rhythmische Sportgymnastik oder so."

"Du meinst, damit sie sich gegenseitig mit den Bändern erwürgen und mit den Keulen erschlagen?", erwiderte Damien mit einer hochgezogenen Augenbraue. "Nein, ich glaube, bei denen ist sportlich gesehen alles verloren."

Ich lachte und Damien stimmte in dieses Lachen mit ein. Es war ein gutes Gefühl, mal wieder mit jemandem gemeinsam zu lachen. Vielleicht konnten ich ja wirklich Freunde werden.

Liebe kennt keine Grenzen (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt