Prolog

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Es war bereits dunkel geworden. Die Straßen waren feucht. Das schwache Licht der Straßenlaternen schien jeden Augenblick aufzugeben. Es roch muffig, nach Müll. Dampf stieg aus den Gullydeckeln hervor.

Das hier war definitiv kein Ort, an dem sich Mädchen in meinem Alter, um diese Uhrzeit aufhalten sollten. Und doch kam es mir vor, als würde ich diese kleine Gasse besser als mein eigenes Zuhause kennen. Ortskenntnisse waren bei meiner Tätigkeit absolut von Nöten. Es gab nichts schlimmeres, als plötzlich in einer Sackgasse zu stehen. Jede Ecke, jedes noch so kleine Schlupfloch dieser kleinen Vorstadt Seattles, kannte ich in und auswendig. Heute hatte ich keine Angst davor, das mir Fehler unterlaufen würden. Das hier würde ein Kinderspiel werden, da ich es schon unzählige Male gemacht hatte und es schon im Schlaf beherrschte.

Ich zog meine dreckige Jacke enger um meinen Körper und kauerte mich noch mehr hinter die Mülltonne neben der ich saß. Sie würde jeden Augenblick kommen; seit drei Wochen hatte ich sie ausspioniert und langsam kam die Zeit näher. Ich hatte keine andere Wahl. Entweder ich würde handeln oder verhungern. Vom weiten konnte ich die Kirchturmuhr halb 11 schlagen, als zum selben Zeitpunkt die weiße Limousine elegant vor das Nobelhotel glitt. Ich musste nicht einmal aufs Nummernschild sehen, um mir sicher zu sein, dass es die Limousine meines nächsten Opfer war. Ich würde sie bestimmt unter Dutzenden erkennen. Schnell erhob ich mich und trat aus der dunklen Gasse auf den beleuchteten Bürgersteig, wobei ich von dem helleren Licht auf dieser Straße unweigerlich blinzeln musste. Trotzdem konnte ich erkennen, wie mein nächstes Opfer, eine Frau um die 50 Jahre, aus ihrer Limousine stieg und zielstrebig auf den Eingang des Hotels zuhielt.

Ich beschleunigte meinen Schlenderschritt zum Sprint. Noch bevor die arme Frau sich orientiert hatte, befand sich ihre teure Prada Handtasche in meiner Gewalt und damit auch schon fast am anderen Ende des Blocks. Ich war so schnell, weshalb es für mich auch immer so leicht war.

Die Betonung des letzten Satzes sollte bei „war" liegen. Es war immer ein Kinderspiel für mich gewesen, bis ich in dieser Nacht an der nächsten Kreuzung zwei Polizisten in die Arme lief, die über Funk gerade einen Diebstahl gemeldet bekommen hatten.

Hätte ich damals gewusst, was dieser Diebstahl zur Konsequenz tragen würde, wäre ich diese Nacht lieber nicht aus dem Haus gegangen. Ich wurde kurz darauf erst einmal verhaftet, auf die Polizeiwache gebracht, vernommen und bis auf weiteres eingesperrt. Den einzigen Telefonanruf, den ich tätigen durfte, richtete ich an meine 4 jährige Schwester Jolie, mit der Anweisung bei einer Freundin zu übernachten.

Darauf folgten zwei Tage, in denen ich permanent auf meiner Lippe rum kaute und die Polizisten von Seattle damit beschäftigt waren, meine Mutter ausfindig zu machen. Irgendwann gelang es ihnen, Miss Salvatore-Rodriguez zu finden - in einer Stripbar, betrunken und mit ziemlicher Sicherheit auf Kokain.

Man entzog ihr das Sorgerecht für mich und Jolie, wovon meine kleine Schwester keine Ahnung hatte und ich zusätzlich 50 Sozialstunden für den Diebstahl auf gebrummt bekam. Man brachte meine Mum in eine Spezialklinik für Drogen- und Alkoholabhängige, aus der sie keine vier Tage später wieder aus checkte. Mich und meine Schwester brachte man an einen (der Richterin nach) besseren Ort, nach Monterey, zu meinem Vater. Er war zwar ein Fremder für meine kleine Halbschwester, aber dennoch hatte er sich bereit erklärt, uns bei ihm aufzunehmen.

Natürlich freuten sich alle Beteiligten, dass unsere kaputte Familie endlich ein „Happy End" bekommen würde. Nur ich empfand alles andere als Freude in mir.

Wäre ich doch einfach nur ein bisschen schneller gelaufen in dieser Nacht...

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Heeey :) wie findet ihr den Prolog? Viel Spaß beim lesen des 1.Kapitel :))

Liebe kennt keine Grenzen (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt