Kapitel 47/ Drunk

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Kapitel 47

Harry's POV

Der Himmel war jetzt schon seit drei Tagen wolkenverhangen. Grau und feucht vom Regen lagen die toten Straßen unter der ebenso tristen Suppe aus Himmel. Untypisches Wetter für die Breitengrade, auf denen Monterey sich befand, aber mir kam es gerade recht. Das Wetter war wie ein Spiegel meiner eigenen Seele.

Ich wandte mich vom Fenster ab, an das gerade wieder die Regentropfen klatschten, und schloss die Augen. Vor drei Tage hatte es auch geregnet. Belle war vollkommen durchnässt gewesen, vermutlich froh, dass ich ihre Tränen dadurch nicht erkennen konnte. Und ich war mir ziemlich sicher gewesen, dass sie geweint haben musste ...

Seitdem war ich nicht mehr derselbe. Ich ging nicht zur Arbeit. Ich aß kaum und schlief noch weniger. Meistens saß ich einfach nur da, die Augen starr auf irgendeinen nicht existierenden Punkt vor mir gerichtet und hatte Leere in meinem Kopf und Schmerz in meinem Herz. Den Schmerz versuchte ich in der nah gelegenen Bar mit Alkohol zu ertränken, allerdings wurde die Leere davon nur schlimmer. Aber die Leere war immer noch besser als der Schmerz, an dem ich drohte, zu ersticken.

Ich hätte nie gedacht, durch ein Mädchen in ein so tiefes Loch fallen zu können. Vor allem nicht durch ein Mädchen, das eigentlich, eigentlich, doch nur meine Schülerin war - was dachte ich da eigentlich? Wenn Belle eines nicht gewesen war, dann nur meine Schülerin. Sie war etwas besonderes, wie ein Rohdiamant und nur ich hatte gesehen, welches Potenzial in ihr steckte, sowohl sportlich als auch menschlich.
Vielleicht war sie das erste Mädchen, die erste Frau gewesen, die ich jemals geliebt hatte. Und die ich immer noch liebte, sonst würde ich jetzt nicht hier so sitzen.

Wenn ich irgendwann mitten am Tag aufstand, obwohl ich die ganze Nacht nicht schlafen konnte, dann schlenderte ich, ungewaschen und lediglich in schmutziger Unterwäsche, in die Küche, in der mein Frühstück aus einem kräftigen Schluck Whiskey bestand. Danach goss ich mir davon in ein Glas, setzte mich in das dunkle und zugemüllte Wohnzimmer auf das Sofa und wartete.
Ich wartete darauf, dass sie wieder kam. Dass jemand sie holen ging. Dass sie von allein kam. Egal was, ich wartete auf sie.

Zu etwas anderem fühlte ich mich nicht in der Lage.
Ich hatte versucht, mich aufzuraffen, an dem Tag nachdem sie gegangen war. Aber es hatte einfach nicht funktioniert. Ich war schon auf halben Weg zur Schule gewesen, als alle Erinnerungen wieder auf mich einschossen, wie Gewehrkugeln.
All die Male, in der sie bei mir im Auto gesessen hatte. Wenn ich die Augen schloss, dann konnte ich immer noch ihren Duft riechen.
Ich konnte mich an keinen Ort in der Schule mehr erinnern, den ich nicht automatisch mit ihr verband. Es war, als wäre sie noch überall, aber ohne wirklich da zu sein.

Ich wusste, dass es einfacher für mich sein müsste. Immerhin hatte ich ja den Entschluss gefasst, dass es so das Beste für Belle wäre. So könnte sie in Seattle komplett neu anfangen, weil sie nichts und niemand aus der Vergangenheit mehr belastete.
Ich hatte ihr doch nur noch mehr Probleme, als sie ohnehin schon hatte, eingebrockt. Belle hatte immer darauf bestanden, dass ich ihr Retter gewesen war, aber in Wahrheit war ich wahrscheinlich vielmehr ihr Untergang.

Und wenn das Jugendamt von unserer Romanze Wind bekommen hätte, dann hätten sie vermutlich noch viel strenger reagiert. Vielleicht hätten sie ihr sogar Jolie weggenommen - etwas, das ich mir niemals verzeihen würde.

Aber wenn ich doch recht hatte und unsere Trennung das Beste war, warum, warum verdammt noch mal fühlte es sich dann so an, als würde mein Herz mitten in meiner Brust verbrennen?

Warum hatte ich nicht im geringsten das Gefühl, dass die ganze Situation allmählich besser wurde? Warum fühlte sich jede Minute nur schlimmer und schlimmer an?

Liebe kennt keine Grenzen (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt