Kapitel 48 / Come with me

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Kapitel 48

Belle's POV

'Es geht mir gut.', dachte ich. 'Es geht mir ganz ausgezeichnet gut.'
Ich dachte das jeden Tag. In jeder freien Minute, versuchte ich mich an diesem Satz entlang zu hangeln, denn dieser Satz brachte mich durch den Tag.
Im Grunde dachte ich diesen Satz eigentlich immer genau dann, wenn es mir gerade nicht gut ging.

Ich hatte vergessen, wie trostlos Seattle war. Ungemütlich und trostlos. Die Westküste war mir nach meiner Ankunft dort vorgekommen, wie ein buntes Kleinmädchen-Paradies. Alles war so schillernd und bunt, die Farben leuchteten in den sattesten Tönen und überall war es hell und warm und freundlich.

Seattle, das war anders. Die Stadt war bekannt als die 'windy city' des Landes. Leider gehörten zu dem unbändigen Wind auch die eisige Kälte aus Kanada und der Regen, der sich hier teilweise tagelang festsetzte.
Früher hatte ich Seattle geliebt. Ich hatte den Regen und die Kälte genossen und genutzt, denn wenn die Leute nur daran dachten, schnell wieder ins Warme zu kommen, wurden sie unachtsam, was ihre Habseligkeiten betraf.
Aber jetzt liebte ich all das nicht mehr. Jetzt stand Seattle lediglich noch für meine verkorkste Kindheit, für eine Zeit, die ich längst hinter mich zu lassen geglaubt hatte. Und für meine Mutter und damit für Tod und Leid und Elend.

Am Anfang hatte ich Probleme damit, überhaupt morgens aufzustehen. Jetzt war ich diejenige, die von Jolie aus dem Bett gezerrt und in die Schule geschickt werden musste. Erstaunlicherweise schien das kleine Mädchen die ganze Situation irgendwie bewältigt zu haben. Sie funktionierte genau so, wie man es von ihr erwartete und ich bewunderte sie dafür, denn ich selbst hatte diese Kraft verloren.

In dem Heim waren ohnehin alle ganz angetan von dem kleinen Mädchen. Kleine Kinder kamen nur selten in ein Heim und selbst wenn wurden sie schnell wieder adoptiert. Die meisten Kinder hier waren schon mehr Jugendliche, wenngleich ich auch die Älteste unter ihnen war.
Einen Monat noch. Und dann würde ich achtzehn und rausgeworfen werden.

Als ich mir dieser Umstand klar wurde, veränderte ich mein Verhalten. Wo ich vorher Probleme hatte, aus dem Bett zu kommen, stand ich nun schon um fünf Uhr früh von alleine auf. Vorher hatte ich jegliche Mahlzeit in dem Heim verweigert, jetzt kochte ich sogar mit den anderen mit. Das Zimmer, das ich mir mit Jolie teilte, war immer penibel aufgeräumt und sauber, sogar in der Ecke ganz hinten unter dem Bett.

Die Heimleiter, die keine unfreundlichen Menschen waren, freute das. Sie hatten mit den meisten anderen Kindern, die auf die schiefe Bahn geraten waren, genügend Scherereien und als sie merkten, dass ich nach meiner Eingewöhnungsphase ein ganz und gar umgängliches Mädchen war, waren sie ehrlich erleichtert.
Nach unserer Geschichte hatte man bei Jolie und mir allerhand Verhaltensauffälligkeiten vermutet. In den ersten Wochen wurde sogar mein Zimmer öfters durchsucht - auf Drogen oder Wertgegenstände, die ich geklaut haben könnte. Natürlich fanden sie nie etwas.
Und selbst wenn ich etwas gestohlen hätte, ich war definitiv intelligent genug, meine Beute so zu verstecken, dass andere sie eben nicht finden konnten.

Es gab allerdings eine Sache, die den Erziehern im Heim trotz aller Vorbildlichkeit an mir Gedanken machte: ich weigerte mich vehement zur Schule zu gehen. Ich war bisher an keinem einzigen Tag dort aufgetaucht.
Wo ich sonst war, wussten die nicht. Aber selbst wenn mich jemand dorthin brachte und nach Schulschluss wieder dort abholte, rief am Ende des Tages die Direktorin an und erkundigte sich, warum die neue Schülerin immer noch nicht aufgetaucht war.

Für mich lag es auf der Hand, warum ich nicht mehr zur Schule gehen wollte. Es gab unzählige Gründe, aber nur eine handvoll, die wirklich etwas bedeuteten. Und genau diese waren die, die ich keinem erzählen konnte.

Liebe kennt keine Grenzen (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt