Kapitel 45 / Bye

570 29 1
                                    

Kapitel 45

Harry's POV

Auch wenn ich es mir selbst niemals eingestehen würde, hatten die Worte meines Vaters einen eindeutigen Einfluss auf mein Verhalten in den folgenden Tagen.
Und ich verurteilte mich selbst dafür.

Ich besuchte Belle nur noch selten und wenn erst in den späten Abendstunden für eine kurze Zeit. Ich versuchte, mich auf meine Arbeit zu konzentrieren, auch wenn mir das schwer fiel, denn die Person, die immer mein Highlight an jedem Schultag gewesen war, lag nur ein paar Meter entfernt auf der Intensivstation und kämpfte ums Überleben.

Eigentlich hätte ich stark genug sein sollen, stark genug dafür, mich endlich von meinem Vater loszulösen und nicht mehr unter seiner starken Hand zu brechen, wann immer es dem alten Mann danach beliebte.
Aber wie ich die Sache auch drehte und wendete: ich war gerne Lehrer. Und ich war eigentlich nicht bereit dafür, meinen Beruf schon jetzt an den Nagel zu hängen. Und das würde ich müssen, wenn nur irgendwer auspackte, was es über mich und Belle alles zu sagen gab.
Nicht nur ich wäre ja betroffen, sondern auch sie. Mit ihren bescheidenen Noten hatte sie ohnehin schlechte Chancen auf einen Platz am College, ihr einziger Zugang wäre ein Sportstipendium.
Allerdings gab es wohl nur wenige Hochschulen, die einer Sportlerin, die mit ihrem Trainer schläft, ein Stipendium geben.

Darüber hinaus hatten wir bisher schon genug Zeugen. Damien. Meinen Vater. Belle's Vater. Und irgendwo auch Jolie. All diese Menschen hatten eigentlich keinen Grund, Belle und mich ans Messer zu liefern, weil sie uns nichts böses wollen.
Trotzdem kam mir nun jeder dieser Menschen wie eine kleine Handgranate vor.
Und ich hatte eigentlich kein Interesse daran, noch weitere Handgranaten zu erschaffen.

Genau aus diesem Grund hielt ich mich von Belle fern. Ich wollte nur das Beste für sie.
Ein weiteres Mal in meinem Leben musste ich mir eingestehen, dass ich das wohl nicht war.

Die Zeit verstrich, Tag um Tag, allerdings hätte es für mich auch Woche um Woche sein können, denn ohne Belle machte Zeit in meinem Leben ohnehin nicht mehr allzu viel Sinn.
Für alle anderen an der Schule, in meinem Umfeld, schien das Leben weiter gehen zu können, nur für mich nicht. Es war mir unbegreiflich, wie diese albernen Mädchen auf dem Gang stehen und kichern konnten, während eine ihrer Mitschülerinnen ernsthafte Verletzungen hatte.
Meiner Meinung nach hätte alles, am besten das ganze Land, in Trauer verfallen sollen.

Die Leichtathletik-AG hatte ich bis auf Weiteres gestrichen. Belle war ohnehin die Einzige gewesen, die noch in der laufenden Wettkampfsaison war, das hieß der Rest hatte auch nächstes Jahr noch die Chance, sich weiter zu entwickeln. Und diejenigen, die schon in der Abschlussklasse waren, nahmen die zusätzliche Zeit gerne zum Lernen.

Trotzdem kam es oft vor, dass ich nach der Schule, wenn ich die Turnhalle abschloss und am Sportfeld vorbei zu meinem Auto ging, noch den ein oder anderen Teilnehmer aus der AG vorfand. Oft waren sie auch in Grüppchen da, aber in der Regel taten sie alle dasselbe:
Sie standen an der Bahn, an der rechten Außenkurve und starrten gedankenverloren auf das rote, warme und weiche Feld der Laufbahn.

Es war ein überraschend warmer Freitag im April und sehr sonnig für diese Jahreszeit, als ich Damien an der Bahn stehen sah. Ich hatte Damien eigentlich einen ganze Weile nicht gesehen, da er seit einiger Zeit nicht mehr viel in der Schule war. Besonders die Randstunden, also Sport, schien er mehr als Option und weniger als Verpflichtung zu sehen.
Dementsprechend überrascht war ich, als ich ihn nun so spät am Nachmittag noch auf dem Schulgelände erblickte.

Vielleicht hätte ich ihn allein da stehen lassen sollen, aber ich konnte es irgendwie einfach nicht. Vielleicht machte Damien nicht genau dasselbe durch, wie ich selbst, denn im Gegensatz zu mir, hatte er Belle nie wirklich, aber er liebte sie dennoch auf eine ähnliche Weise, wie ich es tat.
Im Grunde war ich einfach so kaputt vor Kummer und Sorge, dass ich nach jedem Grashalm griff, der mich ein bisschen zurück in die Wirklichkeit katapultierte.

Liebe kennt keine Grenzen (Abgeschlossen)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt