𝟙. 𝕎𝕖𝕟𝕟 𝕟𝕚𝕔𝕙𝕥𝕤 𝕞𝕖𝕙𝕣 𝕜𝕝𝕒𝕡𝕡𝕥, 𝕕𝕒𝕟𝕟 𝕨𝕖𝕣𝕕𝕖 𝕚𝕔𝕙 𝕙𝕒𝕝𝕥 𝕊𝕥𝕣𝕚𝕡𝕡𝕖𝕣𝕚𝕟!

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„Swidlana, die Vermieterin rief heute wieder an, ich konnte sie abwürgen, aber ich bin mir sicher sie wird morgen hier auftauchen, um das Geld abzuholen", sagte Rumjana zu ihrer Mutter, als sie durch die Tür kam. Sie strich sich einige Schneeflocken von den Schultern und klopfte die Stiefel vor der Tür aus. Für einen Novembertag war es sehr kalt.
Die Probleme mit der Vermieterin machten ihr Sorgen. Schon letzten Monat konnten sie nur die Hälfte der Miete bezahlen, morgen wäre die andere Hälfte und die Miete für diesen Monat fällig.
„Sag ihr, sobald dein Vater deinen Unterhalt überweist, können wir sie bezahlen.", antwortete ihre Mutter, die in der Küche auf ihre Tochter wartete. Rumjana setzte sich an den Küchentisch und goss sich einen frisch aufgebrühten Früchtetee ein.
„Möchtest du nichts essen?", fragte ihre Mutter. Die Küche roch nach rotem Borschj.
„Nein Mama, ich muss sowieso gleich los zu meiner Schicht. Ich kann auf der Arbeit etwas essen."
„Wann bist du denn zuhause? Gestern warst du wieder so spät zuhause, soll ich dich Abends vom Bahnhof abholen?", fragte ihre Mutter besorgt und strich ihrer Tochter über den Kopf.
„Nein. Mir passiert schon nichts.", antwortete sie und schaute zu ihrer Mutter herauf.
Der rote Tee wärmte ihr den ausgekühlten, kratzenden Hals. Es musste weiter gehen. Sie zog sich schnell wieder an und huschte zum Bahnhof, um im Restaurant zu kellnern, welches drei Stationen entfernt war. Sie kellnerte dort seit dem Beginn der Semesterferien.

Ihnen stand das Wasser bis zum Hals. Ihre Mutter verlor erst vor Kurzem ihren Job. Rumjana, die von ihren Freunden auch Rumi genannt wurde, versuchte das Semester zu überleben und schrieb in den Semesterferien ihre Nachprüfung.
Heute war im Restaurant nicht viel los, aber vielleicht bekäme sie wenigstens genügend Trinkgeld, um ihre Fahrkarte zu erneuern. Rumi dachte oft darüber nach, wie sie es sich einfacher machen könnte. Vielleicht käme irgendwann ein älterer, gutsituierter Herr ins Restaurant und würde sie zu ihrem Sugarbaby machen. Es gab für sowas auch Webseiten, aber sie sollte sie es wirklich wagen? Vielleicht reiche es schon einige Nacktbilder und Videos zu verkaufen, um ein wenig Geld übrig zu haben? Rumi spielte oft mit diesen Gedanken, aber wusste insgeheim, sie traute sich das nicht zu. Was mache das denn für einen Eindruck? Und was ist, wenn ein zukünftiger Chef das sähe? Aber die vielen Dokus über das Rotlichtmilieu, die sie um Mitternacht schaute, wenn sie vor Sorge nicht schlafen konnte, vermittelten ihr den Eindruck, dass es doch so leicht sei. Das Nachtleben, das schnelle Geld und trotzdem dürfte man selbstbestimmt aus dieser Sache wieder herauskommen. So viele Mädchen machten es.
Leider hatte Rumjana wenig zu bieten. Sie war hübsch, aber klein und schlank. Letztes Jahr verlor sie ihren ganzen Babyspeck, durch den Stress, weshalb sie kaum noch Brüste hatte. Ganz zu schweigen von ihrem Hintern, der schon mal praller war.

Heute checkte sie wiederholt ihre E-Mails. Die Ergebnisse der Nachprüfung sind gerade gekommen. Sie ist durchgefallen. Rumi muss nun das Semester wiederholen. Bittere Enttäuschung machte sich in ihrem Gesicht breit und ihr gedämpftes Lächeln würde ihr heute definitiv nicht das nötige Trinkgeld bescheren, um die Miete oder die Fahrkarte zu bezahlen.
In drei Stunden endete ihre Schicht. Ihre Existenzängste plagten sie. Was nun? Vielleicht würde wenigstens ihr Vater bald den Unterhalt überweisen? Es war bereits Anfang des Monats.

Ihr Vater lebte im Ausland. Er war ein bulgarischer Darsteller, der sich nach der Trennung von ihrer Mutter dem Zirkus anschloss. Ihre Mutter war Polin und damals ebenfalls Darstellerin in einem deutschen Theater, wo sich beide kennengelernt haben.
Sie lebten bis zu Rumi's fünften Lebensjahr in Deutschland. Nach der Trennung zog sie mit ihrer Mutter nach Polen, denn ihre Mutter kümmerte sich um ihre kranken Eltern. Nach dem Abitur wollte sie unbedingt etwas mit Medien studieren. Wären da nicht die Probleme - die sie tagtäglich quälten - fiele ihr das Studium auch wesentlich leichter.

Rumjana beendete ihre Schicht zeitig, doch die Enttäuschung über ihre Prüfung ließ sie innerlich brodeln.
„Ich verliere ein ganzes Semester. Wie soll ich das noch schaffen? Ich kann nicht mehr... Mama kann zwar nichts dafür, aber hätte sie ihren Job noch, wäre das vielleicht nicht passiert.", dachte sie, während sie vom Restaurant zum Bahnhof lief. Ihre Füße schlitterten am Asphalt entlang. Trotzig lief sie durch die dunklen Straßen und wärmte ihre ausgekühlten Hände in den Taschen ihrer zu große gewordenen Jacke.
„Wir brauchen unbedingt Geld, ansonsten kann ich auch die Semestergebühren nicht mehr bezahlen. Und Papa...der ist sowieso keine Hilfe.", dachte sie. Es trieb ihr die Tränen in die Augen, bei dem Gedanken, dass er eine neue Familie gegründet hatte. Wieso hatte er zwei weitere Kinder in die Welt gesetzt, wenn er seiner einzigen Tochter nie aushelfen konnte? Das war unfair und das polnische Recht konnte nichts ausrichten.

Elf treue Sklavinnen - und eine RumiWo Geschichten leben. Entdecke jetzt