𝐄𝐩𝐢𝐥𝐨𝐠

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- 𝑵𝒆𝒂 -

Nur noch wenige Meter war ich vom Anwesen entfernt. Mit wackeligen Beinen überquerte ich die dunkle Straße und musste mich direkt an der Mauer abstützen. Meine Seite schmerzte und das Blut tropfte weiter aus der Wunde. Ich merkte, wie mein Körper langsam nachgab. „Komm schon Nea, du hast es fast geschafft.", spornte ich mich an und setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen.

Gerade als ich vor dem Pförtnerhaus ankam, gingen auf einmal alle Strahler an und jemand rief: „Sofort zeigen oder wir schießen!" Mit letzter Kraft stemmt ich mich ab und trat ins Licht. „Ich bin es...", versuchte ich zu schreien, doch meine Stimme versagte kläglich. Meine Beine gaben nach und ich fiel zu Boden. Plötzlich bekam ich ganz schwer Luft und ein Piepen machte sich in meinen Ohren bemerkbar. Nur noch ganz leise hörte ich, wie jemand meinen Namen rief, ehe Thiagos Gesicht vor meinen Augen auftauchte. Ein wenig Erleichterung machte sich in mir breit. „Sie ist hier.", brüllte er. Er blickte in meine Augen und streichelte über meine Wange. „Alles wird gut, du schaffst da.", flüsterte er. Meine Atmung wurde immer flacher und es fiel mir schwer meine Augen offen zu halten. „Thiago hör mir bitte zu, bevor ich es nicht mehr sagen kann.", bat ich ihn. „Hör auf sowas zu sagen", unterbrach er mich. Dabei fingen seine Hände an zu zittern und sein Kiefer spannte sich an. „Hör mir zu. Bitte.", flehte ich, woraufhin er nickte. „Weißt du, ich wollte immer von zu Hause weg. Ich war ein emotionales Wrack. Manchmal war ich kurz davor einfach loszulassen und aufzugeben. Und dann hast du mich gefunden und das war das Beste was mir je hätte passieren können. Ich bin froh, dass ich in deinen Armen davongehe ." Ich schluckte und blickte in seinen kalten blauen Augen. Tausende Tränen liefen meine Wangen herunter.

„Bitte sag Eliana, dass ich sie von ganzem Herzen liebe und sie nie vergessen werde.", fuhr ich mit bebender Stimme fort. „Sag deiner Mutter, dass sie die stärkste Frau ist, die ich kenne und deinem Vater, dass er mich sehr beeindruckt hat. Sag Milo und Rodrigo, dass ich an sie glaube und sie alles schaffen können." Kurz rang ich nach Luft. „Sag Alejo, dass er die Hoffnung niemals aufgeben soll und die Liebe seines Lebens kommen wird. Sag Pablo, dass er sich immer treu bleiben und nicht auf andere Menschen hören soll. Sag Juan und Javier, dass ich gerne mehr Zeit mit ihnen verbracht hätte und sie niemals aufhören sollen, sich gegenseitig zu ärgern.", schwach lächelte ich.

Ich liebte diese Familie, mit allen ihren Macken. Der Gedanke daran, Juan und Eliana nicht mehr zu sehen, machte mich mit am traurigsten. Juan war jemand, zu dem man jederzeit gehen konnte. So oft hatte er mich einfach in den Arm genommen, wenn es mir schlecht ging und ich nicht mit Thiago reden wollte. Wir hatten einfach nur da gestanden, Arm in Arm. Erneut kullerte eine Träne über meine Wange. Er war mein bester Freund geworden.

Eliana war ein Engel auf Erden. Sie war meine Seelenverwandte, von der ich immer dachte, sie nie zu finden. Vom ersten Tag an hatte sie mich unterstütz, obwohl wir uns nicht kannten und ich ihren Cousin verabscheut hatte. Zumindest hatte ich mir das einreden wollen. Sie brachte mich immer zum Lachen, auch wenn mir eigentlich zum Heulen zu Mute war. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen Menschen so schnell in mein Herz geschlossen, wie sie.

„Und zum Schluss, will ich dir noch etwas sagen. Bleib strak, werde glücklich auch mit einer anderen Frau. Trauer mir nicht dein ganzes Leben lang hinterher, denn er würde dich zerstören und das will ich nicht. Ich werde von oben über euch wachen, das verspreche ich." Nur noch verschwommen erkannte ich meinen Ehemann und sein Gesichtsausdruck ließ mein Herz und tausend Teile zerbrechen. Es war mein Ehemann, der mich hier in seinen Armen hielt und dabei zusah, wie das Leben aus meinen Augen verschwand.

„Bitte, bring ihn um. So wie er unser Kind getötet hat. Das ist mein letzter Wunsch.", wisperte ich mit kaum hörbarer Stimme. Zitternd hob ich meine Hand und gab Thiago den kleinen zerknüllten Zettel. „Das werde ich, aber das wird nicht dein letzter Wunsch sein. Das lasse ich nicht zu mi vida.", knurrte er und nahm mein Gesicht in seine, nach wie vor, zitternden Hände. Ich merkte, wie mein Puls langsamer wurde und ich kaum noch Luft bekam. Auch Thiago bemerkte es. „Mi amor, bleib wach. Du wirst nicht sterben, das lasse ich nicht zu. Bleib bei mir.", redete er auf mich ein. „Ich liebe dich Thiago Sánchez. Ich liebe dich so sehr, dass geradezu mein Herz wehtut. Ich wünschte, ich hätte es früher eingesehen. Bitte verzeih mir. ", hauchte ich mit letzter Kraft, ehe meine Lider zufielen und mein Körper, der durch die Schmerzen wie gelähmt war, nichts mehr wahrnahm.

Sánchez || Entführt oder gerettet?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt