𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟓𝟐

6.1K 166 31
                                    


! Wer mit Gewalt seelisch nicht klarkommt (was absolut verständlich ist), sollte dieses Kapitel lieber nicht lesen !

- 𝑁𝑒𝑎 -

Alles ist schwarz, irgendwo in weiter Ferne höre ich ein Quietschen. Ich versuche mich zu bewegen, doch ich spüre meinen Körper nicht. Alles ist taub und es fühlt sich an, als würde ich nicht existieren. Ich will schreien, doch meine Kehle ist trocken. 

Wo bin ich? 

Plötzlich durchzuckt mich eine Art Blitz, grelles Licht leuchtete auf und ich kneife meine Augen zusammen. Was war das? Langsam öffne ich meine Augen und blicke auf einmal in einen Garten. Langsam lasse ich keinen Blick umherschweifen, um mich weiter umzusehen. Ich stehe im Schatten eines Baumes und kann von hier aus auf eine große Wiese blicken. Rechts von mir ist ein hohe Hecke und links vor mir steht ein modernes, weißes Haus. 

Gerade will ich mich in Bewegung setzten, als ich ein kindliches Lachen höre und innehalten. Ein kleines Mädchen mit einem geflochtenen Zopf und einem hellen Kleidchen rennt, dicht gefolgt von einer jungen Frau, über die Wiese. „Gleich hab ich dich.", ruft die Frau lachend und keine Sekunde später packt sie das kleine Mädchen und wirbelt sie durch die Luft, woraufhin die Kleine vor Freude aufkreischt. Leicht kneife ich meine Augen zusammen, um das Gesicht der beiden zu erkennen.

„Das bin ja ich", geht es mir durch den Kopf. Wie erstarrt blicke ich zu ihnen hinüber. Wie ist das möglich? Mittlerweile haben sich die beiden auf eine Decke gesetzt und ein Buch aufgeschlagen. Sofort erkenne ich, um welches es sich handelt. Es ist mein Lieblingsmärchenbuch, welches ich als kleines Kind so geliebt habe. Langsam näher ich mich den beiden, doch sie scheinen mich nicht wahrzunehmen. Einen Meter hinter ihnen bleibe ich stehen und betrachte das Gesicht der jungen Frau. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, doch weder an ihren Namen, noch an genaueres über sie, kann ich mich erinnern. Egal wie sehr ich mich auch anstrenge. Mein Kopf ist wie leergefegt.

Auf eimal ertönt ein unerwarteter Knall und die junge Frau erstarrt. Sie senkt ihren Kopf und blickt runter auf ihren Bauch, auf dem sich unmittelbar ein großer, roter Fleck bildet. Mein jüngeres Ich scheint nicht wirklich zu verstehen, was los ist und streichet nur mit ihrer kleinen Hand über den Arm der Frau. „Was ist das da auf deinem Bauch?", fragt sie zögerlich. Doch ehe die Frau antworten kann, kippt sie auf einmal um und gibt die Person hinter sich zu erkennen. 

Es ist ein anderes Mädchen, dass nicht älter als 13 ist. In ihrer Hand erblicke ich eine Pistole, aus der leichter Rauch kommt. Wie weggetreten blickt sie auf die junge Frau am Boden und auch sie scheint nicht wirklich zu realisieren, was gerade passiert ist. Mein kleines Ich beugt sich herunter zu der Frau und schüttelt an ihrer Schulter, doch sie rührt sich nicht. Ihr Blick ist starr in den Himmel gerichtete und ihr Brustkorb hebt und senkt sich nicht mehr.  Anscheinend hat die kleine Nea nun auch verstanden, was passiert ist und fängt augenblicklich an zu weinen. Ich will einen Schritt nach vorne machen, um zu ihr zu eilen, doch es funktioniert nicht. Wie festgeklebt bleibe ich an meiner jetzigen Stelle stehen. Was ist denn jetzt los? Gerade eben konnte ich doch noch laufen. 

Bevor ich mich jedoch weiter darüber wundern kann, nehme ich auf plötzlich eine schreiende Stimme war, die ich immer wieder erkennen würde. Meine damals jüngere Mutter kommt in den Garten gelaufen und steuert geradewegs auf das ältere Mädchen, das immer noch benommen nach vorne blickt, zu. Bei ihr angekommen, brüllt meine Mutter ihr irgendetwas zu und packt sie kräftig am Arm. Anstatt sich zu wehren, lässt das Mädchen alles mit sich geschehen und wird ins Haus geschliffen. Das letzte was ich sehe, bevor mir schwarz vor Augen wird, ist mein jüngeres Ich, das ihnen mit Tränen überströmtem Gesicht folgt.

———

Als ich erneut meine Augen öffne, befinde ich mich nicht mehr im Garten, sondern in einem grauen Kellerraum. In mitten des Raumes steht ein einfacher Stuhl, an dem ein paar Seile befestigt sind. Für was soll das bitte sein? Als die Tür aufgerissen wird, reiße ich meinen Kopf herum und erkenne meine Mutter, mich in klein und das ältere Mädchen von vorhin. Immer noch laufen meinem jüngeren Ich die Tränen über die Wangen und auch der Blick, des anderen Mädchens ist leer. Meine Mutter dagegen ist die Wut förmlich ins Gesicht geschrieben. Plötzlich taucht aus noch mein Vater im Türrahmen auf. Wie auch im Garten, scheint keiner mich sehen zu können. „Nea, stell dich da drüben an die Wand und rühr dich nicht vom Fleck.", befielt er mit donnernder Stimme. Mit hängendem Kopf läuft sie auf die Wand zu und stellt sich genau neben mich. Das ältere Mädchen dagegen wird auf den Stuhl gesetzt und mein Vater fesselt sie mit den Seilen. Was soll das bitte werden? Ein lautes Klatschen durchbricht die Stille. Mein Vater schlägt dem Mädchen mit voller Wucht ins Gesicht. Ihr Gesicht fliegt zur Seite und sie wimmert leise auf. Sie will zum Reden ansetzten, doch direkt fliegt ihr Kopf in die andere Richtung. Mein kleines Ich neben mir schluchzt lauf auf und auch mein Körper fängt an zu zittern. Eine Ohrfeige folgt der nächsten. Die Schmerzensschreie des Mädchens vermischen sich mit den tiefen Schluchzern der kleinen Nea. Ich will schreien, doch es klappt nicht. So sehr ich es auch möchte, kein Laut verlässt meinen Mund.

Ruppig wird das Mädchen vom Stuhl gelöst und gegen die Wand gegenüber von mir geschubst. Ein Zischen verlässt ihren Mund und sie kneift die Augen zusammen. Doch sie hat gar keine Zeit sich mit diesem Schmerz auseinander zu setzten, denn gleich darauf wird sie von meinem Vater zu Boden gerissen. Voller Wucht knallt ihr Kopf auf den Boden, ihr schmerzerfüllte Schrei hallt durch den Raum und ich spüre ihn förmlich in meinen Knochen. Immer weiter tritt mein Vater auf sie ein, bis sie wie ein Igel zusammengekauert in der Ecke liegt. Ich höre sie weinen, die kleine Nea neben mir schreit und auch bei mir laufen stumm die Tränen. Gerade will mein jüngeres Ich nach vorne gehen, als meine Mutter schreit: „Nea, bleib da stehen!" Sofort weicht die kleine Nea zurück. Das ältere Mädchen wird währenddessen an ihren Haaren nach oben gezogen und von meinem Vater aus dem Raum gezerrt. „Es tut mir leid, ich wollte das nicht. Ich werde dich vermissen. Ich liebe dich Schwesterherz, vergiss das nie.", höre ich sie noch wimmern, ehe sie hinter der Tür verschwindet und nur noch der bitterliche Schrei meines kleinen Ichs zu hören ist.

„Marlieeeeeeeeee!!!!!!!!!!"

Sánchez || Entführt oder gerettet?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt