Kapitel 24 ~ * escape routes *

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Nachdenklich schaute ich zu den schwarzen Vorhängen und zog meine weißen Stiefel aus. Ich tapste Barfuß rüber zur Terrassentür und schob sie auf. Ein eiskalter Wind umhüllte mein Gesicht. Er zog durch jede Faser meines Pullovers. Nicht mal der dicke, weiche Kragen konnte der Kälte standhalten.
Ich musterte den unberührten Schnee und tapste Barfuß zum Geländer. Er kühlte meine Füße, die heiß waren vom vielen Tanzen. In drei Tagen war ein Wettbewerb und ich hatte viel dafür trainiert. Das Preisgeld war auch nicht schlecht.
Um wieder klare Gedanken fassen zu können, blieb ich eine Weile in der Kälte und beruhigte mich. Das Training war das einzige, was mich ablenkte.

Leise summte ich eine Melodie vor mich hin, kaum hörbar und bedeutungslos. Ich sah hinab auf die Upper Bay und musterte den Leuchtturm und das Wasser, das sich um ihn herum, durch den starken Wind auftürmte. Genauso fühlte ich mich. Ich war wie dieser Leuchtturm. Ständig preschte eine neue Welle auf mich ein. Es war für den Moment einfacher mit ihr zu treiben, als sich ihr entgegen zu stellen. Leider löste es das Problem nicht. Eine Welle folgte der nächsten. Der Leuchtturm der konnte nicht davon laufen. Er machte aber einen soliden Eindruck. Scheinbar konnte ihn nichts erschüttern. Das würde ich von mir auch gerne behaupten.

Mit der frischen Luft, verflog meine Wut und die Verzweiflung etwas.
»Angel, zieh dich an wir müssen weiter...«
»Ja. Ich beeil mich«, rief ich ihm zu und warf einen letzten Blick in die Ferne. Ich liebte Dimitri und ich war gerne bei ihm. Trotz der Angst. Irgendwie musste ich das hinkriegen.
Im nächsten Moment, folgte ich seiner Anweisung und schloss die Terrassentür hinter mir.
Einen Augenblick stand ich reglos auf dem glatten Marmorfußboden, nahm Anlauf und glitt mit meinen nassen Füßen in Richtung Badezimmer.
»Angel, wir haben keine Zeit...« Dieser kalte, arrogante Ton konnte einen wirklich ausbremsen. So streng war er sonst nur zu anderen. Ich steckte ihm die Zunge raus und verschwand kurz im Bad. Mir war nicht danach ihn ernst zu nehmen. Die Tür ließ ich auf, denn ich wollte keine weitere Distanz. Er sollte ruhig schauen, auch wenn es mir schwer fiel. Ich setzte mich auf den kleinen Hocker neben der Badewanne, um mir die Füße abzutrocknen und schlüpfte in weiße Spitzenstrümpfe. Dimitri blieb direkt in der Tür stehen und musterte mich.
»Würdest du mir meine Schuhe holen?«, bat ich ihn. Er zog eine Augenbraue hoch. Vermutlich dachte er daran, dass er sonst niemandem die Schuhe holte. Er brachte mir aber wortlos meine Stiefel und beobachtete mich wieder beim Anziehen.
Mein Magen knurrte, erinnerte ihn daran, dass ich noch nicht gegessen hatte, wie wir es geplant hatten.
»Shit, jetzt haben wir immer noch nicht gegessen«, schnaufte er. 

Seufzend drängte ich mich an ihm vorbei, streifte seinen warmen, gut duftenden Körper, während er im Türrahmen stehen blieb. Ich versuchte mich nicht von ihm aus dem Konzept bringen zu lassen. Grade erwischte ich mich dabei, ihm nah sein zu wollen und dann dachte ich wieder an Juli. Ich flüchtete Richtung Fahrstuhl.
Als ich auf den Knopf drückte und grade einsteigen wollte, spürte ich seine Hand die mich zurückhielt. Sanft. Sein Oberkörper drängte mich hingegen, an die dunkelrote Wand und er legte seine Hand auf meine Wange. Diese Geste hatte trotz der kühlen Mimik, eine Bedeutung. Meine Wangen glühten. Eine Weile schaute er mir in die Augen und ich stieß ein angespanntes Seufzen aus.
Ein Kuss streifte meine Wangen, meine Tränen brannten auf der Haut. Er sagte nichts, er schien nachzudenken während wir in den Fahrstuhl stiegen. Woher kamen denn plötzlich diese blöden Tränen...? Da hüllte er sich wieder in seine Unnahbarkeit, an die ich manchmal nicht herankam. Ich fühlte, dass er innerlich mit dem Gedanken rang. Das machte er mir zum Vorwurf. In der Tiefgarage öffnete er mir nur noch die Tür des Wagens und machte deutlich, dass wir vorerst genug geredet hatten. 

Im Auto sitzend, stellte er das Radio an und fuhr ohne Kommentar los. Ich lehnte mich zurück und lauschte. Lauschte der Musik. Nach außen war ich wie ein See, innerlich glich ich einem wilden Fluss. 

Loyalty - heart reflection (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt