Kapitel 24

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Wesley

In Momenten wie diesen hasse ich mein Leben. Es sind Momente wie diese, die mir den letzten Rest Energie rauben. Die mich so fest in den Boden stampfen, dass ich einfach nicht mehr aufstehen kann. In denen ich bereit bin einfach nur aufzugeben.

Doch dann denke ich an meine Schwestern. An Lilly, auf die diese gesamte Last fallen würde. Eine Last, die ihr gutes Herz in Stücke reißen würde. Ich denke an Melody, dessen Lächeln stärker als die verdammte Sonne ist. Ein Lächeln, dass sie nie verlieren darf. Ja, ich denke sogar an Iggy, der sich vermutlich – warum auch immer – verantwortlich für die ganze Scheiße fühlen würde. Einfach nur, weil er er ist.

Es sind diese Gedanken, die mich dazu bewegen weiterzumachen. Diesen beschissenen Weg weiterzugehen.

Doch selbst, wenn ich jetzt erleichtert sein sollte, dass Mom wieder ruhig atmet und völlig entkräftet in einen friedlichen Schlaf gefallen ist, bin ich wütend. Ich bin wütend, weil ich im Ring gnadenlos verprügelt wurde und ich gerade noch so gewonnen habe. Ich bin wütend auf meine Schwester, doch vor allem bin ich wütend auf Yvaine. Ich meine, scheiße noch mal! Wieso ist sie überhaupt hier? Wieso hat sie sich dadurch noch mehr in den Teil meins Lebens gedrängt, in dem ich sie überhaupt nicht haben will. Sie hätte nie von diesen Mist hier erfahren sollen. Fuck! Sie hätte es nicht sehen sollen.

»Danke«, seufze ich Iggy entgegen, der mir nur aufmunternd auf die schmerzende Schulter klopft. Elender Mistkerl!

Dennoch verziehe ich keine Miene, da ich von dieser ganzen Situation noch immer wie gelähmt bin.

Lilly entdecke ich in der Küche. Ihr Gesicht noch immer kreidebleich und sie starrt unentwegt auf den Küchentisch, als würde er gleich vor ihren Augen in Flammen aufgehen oder sowas. Mel sehe ich jedoch nicht. Genauso wenig, wie Yvaine. Ist sie vielleicht doch abgehauen? Ich will es hoffen.

Als ich sehe, dass Iggy meine große Schwester zu beruhigen versucht, mache ich mich langsam auf den Weg ins Zimmer von Mel. Die Tür ist leicht angelehnt und ihr Nachtlicht brennt. Ich will sie in den Arm nehmen und ihr versprechen, dass alles wieder gut wird. Dass Mom wieder gesund wird. Aber dazu komme ich nicht. Noch bevor ich die Tür weiter aufschieben kann, erstarre ich, als ich Yvaines leise und ruhige Stimme höre.

»Ich weiß, dass du Angst hast. Ich verstehe es«, sagt sie und gleich darauf schluchzt Mel auf.

Schmerzhaft zieht sich mein Herz zusammen, doch ich bleibe auf dem Flur stehen. Lehne mich mit dem Rücken gegen die Wand, neben der Tür.

»Ist deine Mama auch gegangen?«, fragt meine kleine Schwester und ich hätte mich bei ihrer niederschmetternden Frage am liebsten auf der Stelle übergeben.

»Ja, aber nicht so, wie du vielleicht denkst.«

»Und wie meinst du das?«

Ich höre, wie sie tief durchatmet. »Meine Mama ist verschwunden, als ich zwölf war. Ich weiß nicht, wo sie ist. Ich weiß auch nicht, wie es ihr geht. Ich habe sie seit sechs Jahren nicht mehr gesehen. Also fühlt es sich irgendwie so an, als hätte ich sie verloren.«

»Und wie bist du damit klargekommen?« Manchmal, wenn ich meine zehnjährige Schwester so reden höre, vergesse ich tatsächlich, wie alt sie eigentlich ist. Allerdings redet sie auch nur so, weil sie leider zu schnell erwachsen wird.

»Ganz ehrlich?«, schnaubt Yvaine traurig. »Es hat am Anfang wirklich weh getan. Der Gedanke daran, sie einfach nicht mehr zu sehen. Aber dann... Dann denke ich an die schönen Momente mit ihr. Denke daran, wie liebevoll sie sich um mich gekümmert hat, als sie noch da war. Wie viel wir geredet und gelacht haben. Dann stelle ich mir vor, dass es ihr gut geht und dass sie ein wunderbares Leben führt, ganz egal wo sie jetzt sein mag.«

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