Kapitel 9

613 38 2
                                    

Wesley

Ich weiß nicht, wie lange ich das schon tue. Auf den Boxsack eindreschen. Ich weiß nur, dass meine Fäuste langsam taub werden, meine Gedanken aber noch immer nicht die Klappe halten wollen.

Wieso nur? Wieso konnte ich nicht aufhören an sie zu denken? An ihren Ausdruck, als ich versucht habe ihr Angst zu machen. Wie sie mich angesehen hat, als würde sie mir kein bisschen glauben, dass ich auf irgendeine Weise gefährlich werden könnte. Noch schlimmer wird es, als ich wieder ihre zarten Lippen auf meiner Wange spüre. Die Wärme ihrer Finger an meiner Schulter, die sich durch mein Shirt brennen wollten. An ihre Stimme, die sich so traurig und glücklich zugleich angehört hat, während ich sie zurück zu ihrem Haus gebracht habe.

»Fuck!« Meine Faust donnert so fest gegen das Leder, das ich glaube, es würde gleich reißen. Vielleicht sind es aber auch nur meine Knöchel.

»Schlechter Tag?«

Rick tritt neben mich und lehnt sich gegen die Gewichtsbank, während er mich prüfend betrachtet. Auch, wenn meine Aufmerksamkeit noch immer meinem leblosen Gegner gilt, kann ich es dennoch deutlich spüren.

Der fast fünfzigjährige Mann ist der Besitzer des Gyms, in dem ich mich ab und zu mal herumtreibe, wenn ich den Druck zu Hause oder mit mir selbst nicht mehr aushalten kann. Trotz seines Alters sieht er noch immer ziemlich fit aus, was daran liegt, dass er selbst trainiert, wie ein irrer und verdammt gut auf seine Ernährung achtet. Vermutlich viel mehr als so mancher Vegetarier.

Er ist ein guter Mann. Lässt mich hier für lau trainieren und lässt mir manchmal sogar die Schlüssel da, wenn ich mich auf einen meiner Kämpfe vorbereiten muss. Nur damit ich hier nachts in Ruhe und für mich allein sein kann. Außerdem unterstützt er mich so gut er kann. Gibt mir sogar den einen oder anderen Tipp. Nicht nur fürs Boxen, sondern auch fürs Leben.

Obwohl ich auf letztes manchmal gerne verzichten würde.

Dennoch höre ich ihm oft zu, einfach nur weil ich diesen Mann respektiere und ich nicht will, dass er mir mit seiner bloßen Hand den Hals umdreht.

»Kann man so sagen«, erwidere ich mit leicht gepresster Stimme, während ich mich weiterhin auf meine Schläge und das gleichmäßige Atmen konzentriere. Obwohl mir das mittlerweile schwerfällt.

»Ein neuer Kampf?« Er steht da mit verschränkten Armen und starrt mich einfach nur an.

Also, wenn Rick mal keine großen Reden schwingt, um mir Ratschläge zu liefern, schraubt er seine Sprache auf kurze und knappe Sätze runter. Und ich weiß nicht, ob mir das lieber gefällt, als eine minutenlange Lebensweisheit von ihm zu hören zu bekommen.

»Ja, aber der ist erst nächste Woche.« Okay meine Atmung ist mittlerweile vollkommen für den Arsch.

Fluchend höre ich auf und lasse die Arme sinken. Die Tapes um meine Hände fühlen sich an, als würden sie verbrennen und ich habe das Gefühl, dass meine Handknöcheln tatsächlich bluten.

»Eine Frau also«, stellt er plötzlich fest und während sich mein Körper wie von selbst anspannt und ich mit einem mal stockgerade dastehe, taucht auf Ricks dünnen Lippen ein wissendes Grinsen auf.

Er lässt seine Haltung fallen und stößt sich von der Gewichtsbank ab. »Aa, also ist es eine Frau.«

»Bullshit«, zische ich, doch Rick hat es bereits an meinem Gesicht ablesen können. Ich weiß nicht wie, doch ganz gleich wie sehr ich meine undurchschaubare Maske aufsetze, ist Rick derjenige, der jedes Mal hindurchschauen kann.

Vielleicht sind es aber auch jahrelange Erfahrungen mit Problemkindern, wie mir, dass er mich so gut lesen kann.

»Lass mich dir einen Rat geben«, beginnt er und ich stöhne sofort auf.

Sinners - Beast ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt