Yvaine
Gerade noch denke ich, dass ich mich halbwegs wieder gefangen habe, da bricht alles um mich herum erneut zusammen. Meine Beine verlieren an Kraft und ich muss mich an Aurelia stützen. Oder sie muss mich stützen. Ich weiß es nicht so genau. Fakt ist, dass ich meinen Blick einfach nicht von ihr abwenden kann. Von der Frau, die mich im Arm gehalten hat, wenn es mir nicht gut ging. Von der Frau, die mich zum Lachen gebracht hat. Der Frau, die ich so schmerzhaft geliebt habe und es noch immer tue. Der Frau, die mich – ihr einziges Kind – bei einem Monster zurückgelassen hat.
>>Mom<<, kommt es brüchig von mir und ich schnappe nach Luft. Scheiße. Ich hätte nicht gedacht, dass es mich so fertig machen würde, sie wieder zu sehen. Oder überhaupt jemals wieder.
Ihr Gesichtsausdruck spiegelt den meinen eigenen. Trauer, Schmerz aber auch Freude. Ich sehe, wie sie ihre Tränen nicht aufhalten kann, genauso wenig, wie ich es bei mir tun kann.
>>Yvaine. Du bist es wirklich.<< Die Erleichterung ist deutlich herauszuhören und dennoch bin ich verwirrt. Wieso ist sie hier? So plötzlich, nach so vielen Jahren.
Sie versucht einen Schritt auf uns zuzumachen, doch als ich unwillkürlich zusammenzucke, bleibt sie stehen und sieht mich beinahe erschüttert an. Es ist nicht so, dass ich sie nicht in meiner Nähe möchte. Gottverdammt, ich will es so sehr. Aber ich stehe noch immer unter Schock und weiß nicht so recht, was ich tun soll.
Mutters Miene wird von einem ungeheuren Schmerz durchzogen und ich merke, wie ihr Körper immer heftiger zittert. >>Es tut mir so leid, mein Schatz<<, schluchzt sie auf. >>Ich wollte nie, dass es so weit kommt.<<
Noch ehe sie den Satz beenden kann, reiße ich mich von Aurelia los und stürze auf die Frau vor mir, reiße sie in meine Arme und halte sie fest. Schluchzend vergrabe ich mein Gesicht an ihren Hals und weine. Lasse meinen Tränen freien Lauf.
Für einen Moment ist sie von meinem Handeln so überrumpelt, dass sie nicht weiß, was sie tun soll, doch es dauert nicht lange, ehe sie mich in eine feste Umarmung schließt.
Um ehrlich zu sein, bin ich sehr lange wütend auf sie gewesen. Immerhin hat sie mich verlassen. Einfach so. Doch über die Jahre, die ich mit Vater verbracht habe, habe ich begonnen meine Mom zu verstehen. Wieso sie sich von diesen Tyrannen lösen wollte. Wie sehr sie endlich ihr Leben zurückgewinnen wollte. Ich will es genauso tun. Leider bin ich noch immer ein Feigling. So wie ich es vor Jahren gewesen bin, als ich ihr hätte folgen können.
Sie jetzt hier zu sehen, bringt keine Wut in mir hervor. Nein... Ich habe meine Mutter so schrecklich vermisst. Ihr Gesicht, ihre Stimme und vor allem ihre Umarmung. Und sie jetzt hier zu sehen, fühlt sich so unwirklich an. Wie ein Traum, aus dem ich jedoch nie wieder aufwachen will.
>>Mom<<, schluchze ich erneut auf. Sie hat mir so unglaublich gefehlt.
>>Ich bin hier.<< Tröstend fährt sie mit ihrer Hand über meinen Hinterkopf und ich fühle mich sofort, als wäre ich wieder ein Kind. Als wäre sie nie weggewesen.
>>So. Ich verabschiede mich dann<<, höre ich Aurelia plötzlich sagen. Als hätte mich etwas getroffen, lasse ich meine Mutter ruckartig los und richte mich an meine beste Freundin.
Ihr Gesichtsausdruck ist so weich und liebevoll. Und dann... dann verstehe ich. >>Du hast gewusst, dass sie hier ist?<<
Nickend bestätigt sie mir meine Annahme. >>Sie hat mich vor zwei Tagen aufgesucht und mich um ein Treffen mit dir gebeten.<<
>>Vor zwei Tagen? Und es fällt dir jetzt ein es mir zu sagen?<<
>>Es ist nicht meine Schuld. Dich zu erreichen ist noch viel schlimmer, als mit dem Papst zu reden.<<
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Sinners - Beast ✔️
RomanceYvaine lebt in einer Welt, die durch Geld und Einfluss regiert wird. Unterdrückt durch ihren strengen und machtgierigen Vater, fügt sie sich den Anschein einer perfekten Familie, denn aus der Reihe tanzen wird stets bestraft. Einzig und allein bei...