Kapitel 17

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Yvaine

»Also...«

Beinahe hätte ich aufgeschrien. Erschrocken mache ich einen Sprung nach hinten und drücke mich mit dem Rücken gegen die Wand, als würde ich gleich mit ihr verschmelzen. Mein Herz pocht so fest, dass ich befürchte, es wird gleich stehen bleiben.

Ich entdecke Grey. Verborgen in der Dunkelheit des Hauses.

Wieder einmal habe ich mich durch den Dienstboteneingang reingeschlichen und wieder einmal wurde ich erwischt.

Grey lehnt an der Kücheninsel, die Unterarme darauf gestützt und die Finger ineinander verschränkt. Sein fester Blick sieht sogar in der Finsternis angsteinflößend aus.

»Soll ich mit dem Verhör beginnen?«, fragt er mit solch einer Ruhe, sodass ich erschaudere.

Angst kriecht meine Wirbelsäule hoch. Er hat mich gesehen. Er hat Wesley gesehen.

»Wirst du es Vater erzählen?« Es ist die erste Frage, die in mir aufkommt, denn ich habe wirklich Angst davor, dass Vater etwas von Wes erfährt. Von seiner Herkunft. Einfach von allem.

Langsam richtet Grey sich auf und entfernt sich von der Kücheninsel. »Ich habe besseres zu tun, als dich bei Daddy zu verpetzen.«

Blinzelnd starre ich ihn an. Löse mich selbst von der Wand, an die ich mich noch immer drücke. Habe ich das jetzt richtig verstanden? »Du wirst es ihm nicht sagen?«

Ich kann praktisch hören, wie er mit den Augen rollt. »Dein Vater braucht mich nicht, um zu erfahren mit wem sich seine Tochter trifft. Ich werde nicht derjenige sein, der alles zerstört.«

Nein, das werde vermutlich ich selbst schon ganz gut hinkriegen.

Ich weiß, dass es die schlechteste Idee war Wesley zu erlauben mich weiterhin zu sehen. Aber was soll ich machen? Ich selbst will ihn doch auch sehen.

Die letzten Tage haben mich dazu gebracht immer wieder an ihn zu denken. An das, wie er mich behandelt hat, dort in den Umkleideräumen. An das, wie er mich dort angesehen hat. An diese plötzliche Sehnsucht in seinen Augen, als er mich berührt hat. Und heute Nacht, als er mich erneut berührt hat.

Noch immer kann ich seine Hände auf mir spüren. Wie er mich an sich gedrückt hat, meine Hand gehalten hat.

Gottverdammt. Ich bin so verloren.

Das, was wir getan haben ist in jeder Hinsicht falsch. Es geht hier nicht darum, dass er aus den Slums kommt und ich eben von hier. Darum ging es nie. Worum es hier geht, ist, dass – ganz egal was das hier zwischen uns ist – uns zum Untergang führen wird. Ich weiß es. Und er weiß es auch. Ich habe es deutlich in seinem Ausdruck gesehen, nachdem ich ihn nicht mehr umarmt habe, als wäre er mein einziger Fels in der Brandung, der mich vor dem Ertrinken bewahren könnte.

Es ging hier nie um unsere Herkunft, sondern um uns selbst und um das Leben, das wir nun führen. Um die Menschen um uns herum. Menschen, wie meinen Vater, der alles niederbrennen würde, wenn er die Lust dazu hätte.

»Willst du wirklich so dumm sein und alles riskieren?«, fragt Grey und mein Herz wird immer schwerer. Eigentlich riskiere ich doch schon alles, je länger ich in der Festung lebe. Mein Leben, meine Freiheit... Ich riskiere es jedes Tag aufs Neue und je länger ich hier bin, umso erschöpfter werde ich.

Ich weiß, dass es falsch ist, dass ich nicht aufgeben darf, denn so hat mich meine Mutter nicht erzogen. Sie hatte mir immer beigepflichtet, stark zu sein, wenn ich unter der Hand meines Vaters überleben wollte. Nun, bisher habe ich es getan. Ich habe überlebt. Sie jedoch nicht. Oder aber, sie war einfach stark genug, um sich von dem Tyrannen zu lösen und endlich ihre Freiheit zu gewinnen. Vielleicht ist sie schon immer die stärkere von uns beiden gewesen, denn sie ist fort und ich bin noch hier.

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