Alendro
Ich konnte deutlich ihren Blick auf mir spüren, wie eine zarte Berührung und doch löste er in mir auch noch andere Gefühle aus. Mein Körper versteifte sich und meine Muskeln gefroren. Alles in mir stand still. In diesem Moment war es, als stoppte die Zeit und alles, der Wind in den Bäumen, der die trockene warme Luft aus dem Süden brachte, die Vögel, die zuvor noch am Himmel ihre Kreise zogen, stand still. Das einzige, das von Bedeutung schien, war ihr Blick, der sich von mir abwendete, kaum dass ich diese Fremde auffing. Erst dann wurde mir meine Handlung bewusst. Ich hielt eine fremde Frau, deren Blick deutlich zeigte, was sie von mir wollte, in meinen Armen. Ein Ort, an dem ich immer nur sie wissen wollte. Meine Violett. Sie sollte hier und jetzt geborgen und sicher in meinen Armen liegen, sich an mich schmiegen. Sie sollte mich aus ihren herrlichen purpurnen Augen anschauen, Augen, die mich immer an das Flieder auf den Feldern meiner Heimat erinnerten. Sie sollte bei mir sein und nicht eingeschlossen in ihrem winzigen Zimmer, wie eine Gefangene, die sich versteckt hält. Plötzlich wuchs in mir ein Gefühl von Ekel. Wie eine Krankheit breitete sie sich in meinem Körper aus. Ich ekelte mich vor dieser falschen Frau, die sich eine Maske aufsetzte, um mich zu verführen, ohne mich als Person zu kennen. Ich ekelte mich vor dem Wesen, dass zu ließ, dass dieses Weib in meinen Armen liegt. Ich ekelte mich vor mir selbst. Schlagartig öffnete ich meine Arme und stieß die Fremde, dich mich noch immer verschlagen anschaute, von mir. Ihr Ausdruck wechselte von Überraschung zu Verwirrung. Ich konnte es ihr sogar nachempfinden. Vor nicht einmal sieben Tagen hätte ich solch eine Frau vielleicht sogar attraktiv gefunden. Doch nun, nachdem ich Violett getroffen und kennengelernt hatte, empfand ich nur noch Mitleid mit dieser Frau, dafür, dass sie nicht in der Lage war, selbstbewusst für sich selbst zu leben, sondern durch die Ketten, die diese Gesellschaft ihr aufgezwungen hatten, gebunden war und sich nicht davon lösen konnte. Violett hatte vermutlich noch nie diese Ketten, diese schweren Fesseln, die eine Frau in dieser Zeit zu tragen hatte, kennengelernt. Nein, sie durfte von der Freiheit kosten und danach leben. Plötzlich war ich mir nicht mehr sicher, ob sie überhaupt in diese Welt passte. Ihr Auftreten schien immer selbstbewusst und stark und zeugte von einem Stolz, den ich bei den wenigsten Männern gesehen hatte. Sie war anders und kannte sich mit den Gesetzen und Regeln, die uns seit mehreren Jahrhunderten in dieser starren Form, in dieser festgefahrenen Gesellschaft hielten, nicht aus. In dieser von mächtigen Männern beherrschten Welt, in der einzig die eigene Stärke und die Herkunft von Belangen war, zählte bei einer Frau nicht ihr Verstand. Es war unbedeutend, dass eine junge Frau allein eine Horde Untoter oder Seelenloser in die Knie zwingen würde. Wäre Violett außerhalb des Waldes inmitten der Gesellschaft hineingeboren, wäre sie schnell zum Werkzeug der Mächtigen geworden. Ihre Meinung, ihr ganzes Wesen würde bedeutungslos sein. Einzig ihre schier grenzenlose Macht und ihr schönes Antlitz würden sie beschreiben. Und genau deshalb war diese Frau so einzigartig in ihrem ganzen Sein. Nie senkte sie mir oder einem anderen Mann gegenüber den Blick, nie hielt sie ihre Gedanken oder ihre Meinung zu Problemen zurück. Mich mochte ihre Andersartigkeit faszinieren, doch es mochte auch andere dort draußen geben, die sich an ihr und ihrem Charakter, ihrer Stärke und ihrem Mut als Frau stören würden. Sie würde zu einer Bedrohung der ganzen gesellschaftlichen Struktur und Ordnung werden. Die Reichen und Mächtigen mochten sie sogar als Feind betrachten, der all ihre Macht durch die Verbreitung ihres Wesens wie ein Kartenhaus im Wind zusammenbrechen lassen würde. Schnell könnten andere Frauen von ihr als Vorbild angestiftet ihrem Ideal folgen. Seufzend wandte ich mich wieder ihr zu. Ich blickte zu ihrem Zimmer hinauf und wusste, sie würde mich für den heutigen Tag nicht mehr beachten. Ich wusste um den Schmerz, den ich ihr auch in Zukunft zufügen werden würde. Und all das nur, weil ich zugelassen hatte, dass sie ihren Wald verlassen hatte und schon bald in die Gesellschaft treten würde. Ich war mir nicht sicher, was ich tun könnte, um sie weiterhin vor dem Bösen schützen zu können. Dort gab es nicht nur die seelenlosen und einen bösen Zauberer, sondern auch die Aristokraten mit ihren dämlichen Regeln, an die sie sich kaum halten wird. Und dennoch würde ich alles in meiner Macht stehende tun, um ihren Stolz und ihr Lachen für immer Erhalten zu können. Auch wenn dies bedeuten sollte, dass ich den Wilden in mir frei lassen musste und die Bestie zum Vorschein kommen würde.
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The Awakening of Magic
FantasyViolett lebt seit einigen Jahren allein in einem Wald voller machtvoller magischer Wesen. Doch das war nicht immer so. Vor nicht ganz zwanzig Jahren lebte Violett als Anne Johnsen noch in Amerika in einer Welt ohne jegliche Art von Magie. Doch nach...