Kapitel 19

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Alendro

Seit dem Geschehen hatte ich Violett nicht mehr gesehen. Mit jeder Stunde wuchs eine Wut in mir, die ich nicht erklären konnte. Selbst meine Männer versuchten, mir aus dem Weg zu gehen. Und so stand ich allein vor meinem treuen Pferd und wartete, bis die anderen kommen würden, um weiterzureiten. Noch immer brannte die Sonne erbarmungslos auf alles am Boden nieder. Dieser Sommer mochte bald vorbeiziehen und den stürmischen Launen des Herbsts weichen. Schon bald würden auch auf seinem Land die Bäume sich golden färben und die Seen und Flüsse durch den Regen wachsen. Insgeheim freute ich mich schon auf diese Zeit, wenn die Tage langsam kürzer wurden und die Hitze einen nicht mehr so erdrücken würde. Denn dann würden die Burgmauern, umgeben von den verschiedenfarbigen Blättern der Bäume, endlich wieder diesen geheimnisvollen Charme besitzen, für den lange Zeit viele Adlige von weither angereist kamen. Aber noch immer musste ich versuchen, Violett für mich zu gewinnen. Vielleicht konnten sie ja Juwelen umstimmen. In der Mine hinter der Burg schmückten die verschiedensten Edelsteine die steinernen Wände. Bereits seit vielen Generationen handelte die Herzogsfamilie mit den Steinen der Mine, aber auch der Gewürzhandel brachte uns hohe Einnahmen, sodass wir unser Gut leicht bewirtschaften konnten. "Hey, Anführer.", erklang die nervige Stimme von Benjamin. Hinter ihm tappte auch Violet neben meinem Sohn her. Es missfiel mir sehr, sie in der Nähe dieses Mannes zu sehen, aber ich schluckte meine herrische Erwiderung herunter und fragte den jungen Mann stattdessen: "Seit ihr endlich bereit zum Aufbruch?" "Klar, die Männer haben dem Wirt noch einmal ein saftiges Trinkgeld dagelassen. Ich nehme an, wir reiten den Rest ohne Pause zum Schloss?" "So sieht der Plan aus bis jetzt. Die Pferde sind bereits gesattelt. Ich werde voran reiten. Benjamin , du bildest die Nachhut." Ich wandte mich zum ersten Mal an Violet. Ihre Lavendel farbigen Augen wirkten matt. Ihre Haare hatte sie sich wohl Haselnussbraun gefärbt, vermutlich mit Magie. Ihr Blick wirkte müde. Ihre Schultern hingen schlaff nach unten. Ihre Kleidung war noch immer dreckbefleckt und ich vermutete ihr tat jeder Knochen im Körper weh. Ihr Anblick erschrak mich und ich fragte mich um ein neues, warum ich all dies erst jetzt merkte. Chris dagegen gähnte und krallte sich an ihrem linken Hosenbein fest. Der Junge hatte sie schnell ins Herz geschlossen. Aber ich konnte ihn durchaus verstehen. Violett war eine eindrucksvolle Frau auf mehrere Weisen. Und obwohl mir bei ihrem traurigen Anblick das Herz blutete, schmolz es bei der Fürsorge, die Violette seinem Sohn gegenüber aufbrachte. Und ich sollte verdammt sein, wenn ich eine solche Frau wieder gehen ließ.

Violett

Massive Mauern aus kaltem Stein prangten wenige hundert Meter vor uns. Wie ein riesiges Tor in eine andere Welt schien es, umgeben vom warmen weichen Licht der späten Mittagssonne. Mächtige Ranken kletterten an den scheinbar unüberwindbaren Mauern empor. Diese Mauern mussten endlos lang sein. Müsste ich raten, würde ich sie auf eine Höhe von über acht Meter schätzen. Doch über die Länge konnte ich nichts sagen, außer, dass die Mauer zwischen zwei riesigen einsamen Bergen gespannt war, deren Abstand mindestens einen Kilometer betragen musste. Dieser Anblick schien so surreal, dass ich kurzzeitig dachte, ich würde träumen. So ein Bauwerk musste mehrere Jahrzehnte oder gar noch länger gedauert haben zu errichten. Zuerst musste ich an die Chinesische Mauer denken, aber ich konnte diese Bauchwerke kaum miteinander vergleichen, zudem waren in die Mauer vor uns riesige magische Zirkel eingearbeitet worden. Beim genaueren Betrachten fielen mir auch Runen auf. Vor allem eine stach mir ins Auge. Sie sah aus wie ein Kreis, der von einem Schwert von unten nach oben durchbohrt wurde. Und ich kannte diese Rune nur zu gut. Ray. Sie stand für Schutz vor dem Bösen. Noch viele solcher Symbole reihten sich nebeneinander und sie alle sollten das Böse fernhalten oder sie sichtbar machen. Wir waren nun kaum noch zehn Meter von dem riesigen Tor entfernt, als es mich traf. Eine Macht, so alt und so stark, dass mir kurz die Luft weg blieb. Doch schnell änderte sich das Gefühl. Plötzlich war es mehr wie eine Liebkosung und etwas Vertrautes. Dieser plötzliche Wandel kam so verwirrend und doch schien mich etwas an dieser Macht zu rufen. Ich hatte das erste Mal seit langem das Gefühl, zu Hause zu sein. Ich konnte nicht sagen, woher diese Macht kam, außer dass es nicht von der Mauer herrührte. Doch da niemand etwas zu sagen schien, hielt auch ich lieber den Mund und genoss stattdessen diesen magischen Anblick. Hinter der Mauer reiten sich riesige Felder, auf denen die unterschiedlichsten Pflanzen und Früchte wuchsen. Neben Getreide und Mais fielen mir auch Weintrauben, Äpfel und sogar Kräuter auf. Ich begann mich zu fragen, wie es möglich war, diese Masse und Bandbreite an Auswahl gleichzeitig so gedeihen zu lassen, doch in dieser Welt hatte ich mir schnell abgewöhnt, mich über alles zu wundern. Meistens spielte Magie eine wichtige Rolle bei all dem. "Und was haltet Ihr von diesen Ländereien, My Lady?", vernahm ich die raue Stimme des alten Garandurs. In den letzten Tagen hatte er sich als freundlicher, aber doch ruhiger, stoischer Mann gezeigt. Er war der erste, der mich nicht mit Angst oder Ehrfurcht angesehen hatte, sondern nur mit Neugier und Warmherzigkeit, dass ich ihn sofort in mein Herz geschlossen hatte. Einzig, dass er immer wieder versuchte, den Kuppler zwischen Alendro und mir zu spielen, störte mich ein wenig. Und doch schenkte ich ihm ein strahlendes, ehrliches Lächeln. "Es ist einfach magisch. Wie könnt ihr diese riesigen Felder bewirtschaften? Sie scheinen endlos zu sein." Das schien den Alten zum Lachen zu bringen: "So schwer ist das gar nicht. Zweimal im Jahr reisen Bauern von nah und fern an, um bei der Ernte zu helfen, ansonsten kümmern sich einige Hofmagier und die örtlichen Bauern um die Felder. Die Ernte wird dann im Königreich verteilt und wird mit den anderen Ländern als Handelsware gegen andere Güter getauscht. Im Osten von Gurath sind die Felder sogar noch größer, weil dort die Waldelfen leben und helfen. Aber neben unseren Feldern sind wir vor allem für unsere Minen und Edelsteine bekannt. Das Landgut von unserem Herrn ist eines der wohlhabendsten und größten im ganzen Reich." All das sollte diesem Mann vor mir gehören? Ich konnte nicht aufhören zu staunen und zum ersten Mal sah ich Alendro nicht nur als einen gutaussehenden Mann, sondern auch als mächtigen Lord. Ich schluckte. Was hatte ich mir dabei nur gedacht? Ich blickte an meinem alten und groben Leinenhemd und meiner gemütlichen Lederhose hinab. Ich gehörte nicht neben einen solchen Mann. Meine Hände sind rissig und trocken von der Arbeit. Das einzige, womit ich herhalten konnte, war meine Magie. Doch wer wusste schon, wie stark ich im Vergleich zu diesen ominösen Hofmagiern war, die durch Geld und Verbindungen und vermutlich auch Schulen Zugriff auf deutlich mehr Wissen hatten als ich. Mit jeder Minute sank mein Selbstbewusstsein weiter und ich fragte mich, wie lange ich hier bleiben müsste, bevor ich in meinen vertrauten Wald zurückkehren könnte.  

The Awakening of MagicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt