Alendro
Ich brauchte nicht lange, um sie zu finden. Sie saß gemeinsam mit Liselein und den Kindern im Salon. Die Jungen hocken auf den Teppich und schauten Chris und seinem Freund beim Schachspieler zu. Liselein lag noch immer weinend in Violetts Armen und wirkte zum ersten Mal wie das Kind, das sie war. Violett dagegen wirkte wie die Ruhe selbst. Sie hatte es nicht nur geschafft, den Angreifer zu identifizieren, sie war trotz allem immer noch bei mir geblieben. Sie musste mich gespürt haben, denn ihr Blick schoss hoch direkt zu mir. Die Wärme und die Zuneigung darin raubten mir schier den Atem. Ich schritt auf sie zu und kniete mich vor Liselein. "Hör mir zu, Kind. Ich weiß, das ist schwierig für dich, aber deine Eltern haben etwas Schlimmes getan und müssen bestraft werden. Ich weiß auch, dass dich keine Schuld trifft." Violett streichelte sanft die Schulter des Mädchens. Liselein schaute mich mit riesigen tränenden Augen an. Ich legte meine Hand beruhigend auf ihren Schopf. Mir fielen keine Worte ein, um ein Kind über einen solchen Verlust zu trösten. Ich konnte ihr nur meine Hilfe anbieten. "Violett und ich möchten dir anbieten, dass du bei uns bleiben kannst. Zumindest solang, bis du selber klar kommst und das Erbe deines Vaters entgegennehmen möchtest. Bis dahin wird der König eure Besitztümer einbehalten. Wir machen dich nicht für die Taten deiner Eltern verantwortlich. Ich weiß, dass du jedes Recht darauf hast, uns zu hassen, nach dem, was heute passiert ist. Doch wir wollen dir dennoch unsere Hilfe anbieten. Das ist alles, was wir für dich als Wiedergutmachung tun können." Liselein schaute zu mir auf. Ihre Stimme zitterte deutlich. "Ich hasse Euch nicht. Ich weiß schon lange, wie meine Eltern wirklich sind. Ich kann Euch verstehen. Ich habe sie ja kaum gesehen. Ich weiß nicht, warum ich so tief traurig über all das hier bin." Violett drehte die Hand des Kindes in ihre. "Sie waren noch immer deine Eltern. Es ist verständlich, dass du um sie trauerst. Aber bitte, lass uns dir helfen so gut es geht. Ich werde eine der Bediensteten bitten, dir ein Zimmer zurecht zu machen, damit du dich erst einmal ausruhen kannst. Ist dir das recht?" Liselein nickte nur und stand langsam auf. "Wir reden morgen in Ruhe darüber, wie es weitergehen soll. Wenn etwas ist, komm zu einem von uns. Wir sind immer für dich da." Meine Frau klang wie eine Mutter. Und das war sie mittlerweile auch. Zumindest Chris sah sie als seine neue Mutter. Und vielleicht würde es auch Liselein tun. Kaum, dass das Kind aus dem Raum war, setzte ich mich neben meine Frau und zog sie auf meinen Schoß. Müde und erleichtert stützte ich mein Kinn auf ihren Kopf. "Es tut mir so leid, dass unser Tag so enden musste. Du hast etwas Besseres verdient, Liebste." Ich hörte sie leise schmunzeln, als sie sich an mich lehnte. "Aber dieser Tag war nahezu perfekt. Und für das Ende konntest du nichts. Aber du hast nichts zu meinem Kleid gesagt." Ich wusste, sie wechselte nur das Thema, um mich abzulenken. Ich lehnte mich langsam an ihr Ohr und hauchte leise: "Ich habe noch nie eine schönere Frau als dich heute gesehen. Wenn du wüsstest, was gerade in meinem Kopf vorgeht und was ich am liebsten alles mit dir anstellen würde. Ich fürchte, du würdest vor mir davon rennen." Ihr Kopf schwenkte langsam zu mir. Ihre Augen hatten wieder diesen Funken in sich, wenn sie lächelte. "Vielleicht möchte ich ja, dass du diese Dinge mit mir anstellst. Vielleicht bin ich ja nicht so schreckhaft, wie du denkst." Ich konnte mir ein leises Lachen nicht verkneifen. Chris schaute kurz von seinem Spiel auf. Als ich mir die Figuren anschaute, wusste ich, dass mein Sohn mal wieder am gewinnen war. "Vielleicht hast du ja recht, Liebste. Aber das werden wir nicht heute herausfinden. Heute Nacht möchte ich dich nur in meinen Armen halten und wissen, dass du sicher bist. Der heutige Tag hat mir einiges abverlangt. Du hättest sterben können." Und dann brach all das auf mich ein. Ich hätte sie verlieren können, obwohl ich direkt in ihrer Nähe stand. Sie hätte verletzt werden können. Verdammt, wozu besaß ich all diese Macht, wenn sie mir nicht einmal half, die meinen zu beschützen. Erst der Angriff dieser Seelenlosen und heute das. Ich musste dringend stärker und wachsamer werden. Ich drückte Violett an mich und sog ihren herrlichen Duft in mich ein. Sie roch nach Sommer und Freiheit. Ihr Duft erdete mich und beruhigte die Bestie in mir auf eine Art und Weise, wie ich es noch nie erlebt hatte. Für gewöhnlich stand ein Wandler immer am Rande eines Wutausbruches. Aus diesem Grund war Selbstbeherrschung Überlebens wichtig. Jeder Wandler, der seine Bestie nicht unter Kontrolle halten konnte, war eine potentielle Gefahr für sich und die seinen. Und doch war meine Bestie noch nie so entspannt wie in Violetts Nähe. Und in diesem Moment war mir das warum egal. Alles, was zählte, war sie. Ihre Hand strich über meinen Arm. "Es geht mir gut. Du hast mich nicht verloren. Und das wirst du auch nie." Und ich konnte mich nur an ihre Worte klammern und beten, sie würden wahr sein. Ich platzierte einen sanften Kuss in ihren Nacken. Einen weiteren setzte ich an ihre Halsbeuge. Mein linker Arm ging um ihren Bauch und zog sie wieder auf meinen Schoß. Heute Nacht würde ich sie nur in meinen Armen halten. Ich wusste, dass auch sie die Vorkommnisse nicht kalt ließen. Im inneren war sie aufgewühlt und erschüttert. Sie kannte die Grausamkeit dieser Welt nicht. Denn alles, was sie kannte, war ihr kleiner Wald, in dem alles friedlich und ruhig war. Und auch wenn ich es mir noch so sehr wünschte, konnte ich sie nicht vor allem beschützen. Ich konnte sie nicht vor den abfälligen Kommentaren dieser eitlen und arroganten Adligen beschützen, die nur die Nase gerümpft hatten, über die Aussicht unserer Ehe. Keiner von ihnen hatte zuvor gewusst, dass sie die Tochter von Wulf war. Und keiner durfte wissen, wer ihre Mutter war. Und doch konnte ich nicht verhindern, dass ich jedes Mal, wenn einer dieser eitlen Männer meiner Frau diesen Blick zu warf, denjenigen am liebsten umbringen wollte. Dieser Blick sagte, dass sie in ihren Augen nur eine Marionette, ein Objekt war, den man besitzen konnte, aber der kaum ein eigenes Recht oder gar eine eigene Persönlichkeit hatte. Und erst heute hatte ich gelernt, wie falsch diese Gesellschaft und wie korrupt sie doch war. Doch ich konnte sie nicht ändern. Das würde nur Violett schaffen. Und ich wusste, sie würde es tun.
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The Awakening of Magic
FantasyViolett lebt seit einigen Jahren allein in einem Wald voller machtvoller magischer Wesen. Doch das war nicht immer so. Vor nicht ganz zwanzig Jahren lebte Violett als Anne Johnsen noch in Amerika in einer Welt ohne jegliche Art von Magie. Doch nach...