Alendro
"Also, was hast du vor?" Ich saß mit meinem Bruder in meinem Arbeitszimmer. Violett war mit Chris und Liselein draußen auf dem Hof und zeigte ihnen etwas ihrer Magie. Nach dem gestrigen Abend hatte ich meine Frau die ganze Nacht nur in den Armen gehalten, bis sie eingeschlafen war. Ich selbst schlief erst einige Stunden später ein. Nun diskutierten mein Bruder, Wulf und ich über die weiteren Maßnahmen. Ich seufzte. "Ich habe Liselein angeboten, mich um sie zu kümmern." Meine Stimme war ruhig und fest und doch wusste ich, was gleich kommen würde. "Nein!", rief mein Bruder vehement. "Das wirst du nicht tun. Ihre Mutter war Jahre lang als schwarze Hexe tätig und hat mehrere Leute umgebracht. Wie wahrscheinlich ist es, dass ihre Tochter nichts davon mitbekommen hat? Und überhaupt. Welchen Beweis gibt es, dass dieses Kind da nicht auch mit drin steckt? Sie könnte gefährlich sein, und das weißt du, Bruder." Ich konnte mir ein Schnauben nicht verkneifen: "Sie ist nur ein Kind und außerdem das Opfer ihrer Eltern. Hättest du sie gestern Abend erlebt, würdest du das gleiche sagen. Sie ist nicht wie ihre Mutter. Violett würde es wissen und ich erst recht. Außerdem-", begann ich und stand von meinem Stuhl auf und drehte meinem Bruder den Rücken zu. "Wäre es nicht weitaus klüger, sie hier in meiner Nähe zu behalten, um sie leichter im Auge behalten zu können? Was soll sie hier schon anstellen?" Das schien meinen Bruder zum Schweigen zu bringen. Er wusste, dass ich Recht hatte. Doch Wulf sah das wohl anders. Er hatte sich nicht einmal zu dem Thema geäußert. Zumindest nicht bis jetzt. "Sie könnte es auf die Magiekristalle abgesehen haben." Kurz stockte alles in mir. Magiekristalle waren Edelsteine, in denen sich über mehrere Jahrhunderte Magie angesammelt hatte. Für Hexen konnte er als eine Art Medium wirken, um Magie zu praktizieren und selbst den einfachsten Zauber um ein Zehnfaches zu verstärken. Ein einziger Kristall in der Größe einer Erbse reichte teilweise schon und kostete ein Vermögen. Und ebensolche Kristalle befanden sich Bergeweise in meinen Minen. Niemand wusste jedoch davon, außer den engsten Vertrauten des Königs und mir natürlich. Ein solcher Magiekristall verstärkte auch die Schutzzauber an den Mauern und schenkte uns so schon seit vielen Jahren Sicherheit. Aufgebracht wirbelte ich herum: "Woher sollte sie davon wissen? Nur die wenigsten dürfen dieses Wissen besitzen und ein jeder von uns hat einen magischen Schwur geleistet, kein Wort davon an andere weiterzugeben. Verdammt, ich dürfte es ja nicht einmal Violett oder meinem eigenen Sohn erzählen." Wulf hebt abwehrend die Hände. "Ich verstehe dich ja. Aber ganz ausschließen können wir das nicht. Ich meine, dieses Paar ist über Jahre hinweg unbemerkt mit ihren Taten davongekommen. Und nun wurden sie ausgerechnet auf eurem Land erwischt? Von einer jungen Frau, die niemand zuvor kennengelernt hatte?" "Willst du etwa andeuten, dass meine Frau darin mit involviert sein soll? Beschuldigst du jetzt deine eigene Tochter, Magier?" Ich kämpfte schon wieder mit meiner Bestie. Auch Wulf schien nun aufgebracht und trat einen Schritt vor. Wütend fuchtelte er mit seinen Armen vor meinem Gesicht: "Ich kenne sie ja nicht einmal. Diese Frau ist machtvoller als alles, was ich bisher gesehen habe. Aber was noch wichtiger ist, bis vor einigen Wochen kannte sie niemanden. Woher soll sie ihre Magie haben? Wer hat sie all das gelehrt? Woher kommt ihre Macht? Nicht einmal Arabelle, ihre Mutter, war so mächtig. Also ja, ich glaube, jemand hatte sie von Anfang an Magie gelehrt. Und da sie nichts davon erzählt hat, fange ich an zu glauben, es könnte eine schwarze Hexe oder ähnliches gewesen sein. Und wenn das stimmt, war es nicht sonderlich abwegig, wenn dieser jemand sie auf dich angesetzt hat, Alendro." Fassungslos schüttelte ich meinen Kopf. Ich hatte schon immer gewusst, dass dieser Mann vor mir sehr rational und kaltherzig war. Doch sein eigenes Kind einer solchen Tat zu bezichtigen, ging selbst für ihn zu weit. Doch bevor ich etwas erwidern konnte, wurde die Tür aufgerissen. Violett hatte alles mitangehört. Langsam drehten wir uns zu ihr. Wulf schien kurz erschrocken und verunsichert zu sein. Doch er erholte sich schnell und setzte eine Maske auf. Violett dagegen konnte ihre Gefühle nicht verstecken. In ihren Augen stand deutlich der Schmerz und die Traurigkeit geschrieben, die sie empfand. "Wenn ich Euch so zuwider bin, mein Herr, dann sagt es mir ins Gesicht. Ich wurde von meiner Mutter bis kurz vor ihrem Tod unterrichtet. Ihre Bücher hatte ich als Lehrmittel danach benutzt und selber herum experimentiert. Das meiste habe ich mir tatsächlich selbst angeeignet. Ich weiß nicht, warum meine Magie so viel stärker ist als die Eure. Und ich weiß auch nicht, was ich tun kann, um Euch all das begreiflich zu machen, da Euch das Wort Eurer Tochter nicht genügt. Und wenn man nicht einmal seiner Familie trauen kann, wem dann?" Die ganze Zeit über hatte Violett nicht eine Träne vergossen und stand selbstbewusst vor uns. Doch bevor sie sich umdrehte und gehen konnte, sagte sie mit seltsam belegter Stimme: "Ich denke, auf einen solchen Vater kann ich verzichten. Lieber habe ich keinen, als einen zu haben, der mich für ein Monster hält." Mit diesen Worten ließ sie uns drei allein zurück. Die Stimmung war bedrückend und Wulf sank fassungslos auf das Sofa. Mein Bruder trat neben ihn und schaute auf seinen Hofmagier hinab. Sein Ausdruck war stählern und kalt: "Das war Eurer Fehler. Sie ist eine beeindruckende mutige Frau, die meinem Bruder mehrmals das Leben gerettet hat und doch misstraut Ihr ihr, nur weil Ihr sie nicht verstehen könnt. Zweifelt Ihr etwa auch an dem Urteil meines Bruders, Hofmagier? Oder zweifelt Ihr gar an mir, dass ich eine mögliche Bedrohung meines Reiches nicht mehr erkennen könnte?" Wulf drehte sich panisch um. Doch mein Bruder zeigte keine Gnade. Und dann wurde mir endlich klar, warum. Mein Bruder wollte unbedingt verhindern, dass ich diesen Mann herausforderte. In dem Moment, in dem Wulf meine Frau als Verräterin betitelt hatte, hatte ich das Recht, die Ehre meiner Frau zu verteidigen. Und das hieße ein Duell auf Leben und Tod, wenn ich es denn wollte. Und in dem Moment wollte meine Bestie nichts weiter als das Blut meines Feindes schmecken. Doch da mein Bruder nun dazwischen gegangen war und es so verdreht hatte, dass auch seine Ehre hinterfragt wurde, hatte ich dieses Recht verloren. Nun war es an dem König, diesen dummen Idioten zu bestrafen. Auch Wulf schien sich nun dessen bewusst zu sein. Denn er blickte niedergeschlagen zu Boden. "Nein, mein König, das wollte ich nicht. Bitte verzeiht mir meinen dummen Fehler. Ich weiß nicht, was da über mich gekommen war." Mein Bruder nickte kurz, ehe er sich zu mir drehte: "Ich glaube, du solltest ihr hinterher eilen. Sie schien mir sehr aufgebracht zu sein." Das brauchte Avenius nicht zweimal zu sagen. Schon stürmte ich aus dem Zimmer und folgte ihrem Geruch. Ich musste dringend sicherstellen, dass es ihr gut ging.
DU LIEST GERADE
The Awakening of Magic
FantasyViolett lebt seit einigen Jahren allein in einem Wald voller machtvoller magischer Wesen. Doch das war nicht immer so. Vor nicht ganz zwanzig Jahren lebte Violett als Anne Johnsen noch in Amerika in einer Welt ohne jegliche Art von Magie. Doch nach...