Kapitel 46

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Alendro

Am nächsten Tag konnte ich nicht aufhören, wie ein Trottel zu grinsen. Violett schlief noch immer tief und fest wie ein Engel. Ich hatte sie mehrmals in der Nacht geweckt und wir hatten uns geliebt. Nach dem Tod meiner ersten Frau hatte ich keine Frau mehr berührt. Damals dachte ich, es wäre ihr gegenüber ein Verrat. Später wusste ich, dass das alles nur Ausreden waren und ich den Frauen gegenüber nur noch Desinteresse empfand, die schnell in Abscheu umschwank. Als junger Mann genoss ich die viele Aufmerksamkeit der Frauen. Doch als ich herausfand, dass sie alle nur darauf hofften, meine nächste Frau zu werden, und dass sie dabei völlig skrupellos vorgingen, konnte ich nur noch Abscheu und Ekel empfinden. Eine Frau hatte sogar versucht, mir etwas in meinen Drink zu mischen und wartete völlig entblößt in meinen Gemächern. Das war nicht einmal eine Woche nach dem Tod meiner ersten Frau. Noch heute konnte ich nicht glauben, wie weit diese Frau gegangen war. Und dennoch viel mir erst jetzt auf, dass ich während der Zeit mit Violett nicht einmal an Evangeline, meine erste Ehefrau, gedacht hatte. Allgemein war ich in diesem Moment mit Violett in meine Laken eingewickelt und in meinem Bett liegend als meine Ehefrau, nie glücklicher. Natürlich hatte ich Evangeline geliebt, aber sie war mehr wie eine treue Freundin, aber ich habe sie nicht wirklich als Ehefrau geliebt. Nicht so, wie ich Violett liebte. Verblüfft strich ich über ihr Haar, das im Licht der aufgehenden Sonne hell strahlte. Vorsichtig hauchte ich ihr einen Kuss auf die Stirn. Nach gestern Nacht hatte sich zwischen uns etwas geändert. Zuvor war da noch immer eine Art Barrikade, die sie unbewusst aufgebaut hatte. Aber das schien sie bei jedem getan zu haben. Manchmal machte es den Anschein, als lebte sie in einer anderen Welt, als hätte sie schon so viel mehr gesehen und erlebt, als es möglich sein sollte. Ich wusste, dass sie noch immer etwas vor mir verbarg. Aber ich würde ihr die Zeit geben, die sie benötigte, um sich mir vollständig zu öffnen. Denn seit gestern Nacht ist sie nun endgültig mein. Auch wenn sie das noch nicht wusste. Zwischen uns hatte sich nun ein richtiges Gefährtenband geknüpft. Wir hatten nicht nur einen Teil unserer Macht, sondern nun auch einen Teil unserer Seelen miteinander verwoben. Mein Herz schlägt nun im Einklang mit dem ihren. Wir waren nun beide zusammen ein Ganzes. Während ich mich anzog und zu meinem Bruder aufmachte, konnte ich nicht aufhören zu grinsen. Die Diener gingen mir alle möglichst schnell aus dem Weg. Ich musste auf sie alle wirken wie ein Verrückter. Selbst die Wachen an den Türen zum Arbeitszimmer meines Bruders betrachteten mich mit großer Skepsis. Ich konnte es ihnen nicht verübeln. Kaum dass ich eintrat, schaute mein Bruder auf und seine ganze Miene veränderte sich innerhalb weniger Sekunden von Überraschung zu Verwirrung bis hin zu Erkenntnis. Dann sprang er freudig von seinem Stuhl auf und trat um seinen Massivholz Tisch herum. Brüderlich schloss er mich in die Arme und klopfte mir auf die Schulter. "Ihr habt es also endlich getan. Na endlich. Ich dachte, ich müsste dir noch einmal Vaters Lehrbücher über den Akt des Geschlechtsverkehrs geben. Die arme Violett schien schon zunehmend depressiv zu werden. Glückwunsch mein Bruder." Ich schüttelte nur den Kopf und versuchte möglichst schnell das Thema zu wechseln, in der Hoffnung, mein Liebesleben nicht mit meinem Bruder diskutieren zu müssen. "Wie laufen die Planungen für die Konferenz? Sind die Gäste schon eingetroffen?" Möglichst unbekümmert nahm ich auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch meines Bruders Platz. Das Zimmer war lichtdurchflutet und überall auf dem Schreibtisch verteilt lagen Unmengen an Dokumenten und Briefen von irgendwelchen Würdenträgern. Mein Bruder selbst schien erschöpft und dürfte kaum Ruhe gefunden haben. Auch ich machte mir Sorgen um die Konferenz. Es sollten mehrere Vertreter der angrenzenden Reiche erscheinen. Und nicht jedes dieser Reiche war uns wohlgesinnt. Unser Reich war eines der einzigen, in dem mehrere Volksgruppen zusammen lebten. Neben uns Gestaltwandlern und den Menschen zog es auch einige Zwerge, Elfen und Feen in die Hauptstadt und in die Städte. Das brachte uns einerseits deutlich Stärke. Unsere Arme bestand aus den besten Kriegern dieses Reiches. Durch die unterschiedlichen Arten waren viele verschiedene Fähigkeiten vertreten. Aber es brachte auch viele Spannungen mit sich. So war es nicht unüblich, dass es zu Reibereien und im schlimmsten Fall sogar Angriffen gegen einige Volksgruppen kam. Dennoch hielt sich all das erstaunlicher Weise im kleinen Rahmen. Und ein Grund dafür war die Herrschaft unter meinem Bruder, dem König. Er hatte es mit viel Mühe geschafft, zumindest unter den Gruppen für Gleichheit zu sorgen. Dennoch gab es eine Art Klassensystem. Der König regierte über dem gesamte Volk. Das Volk jedoch teilte sich auf in Adel und Bürger. Und obwohl Sklaverei verboten war, wusste jeder, dass sie hier und dort noch immer im Untergrund existierte. Und nun sollten zusätzlich möglicherweise feindlich gesinnte Würdenträger anderer Reiche in einem Saal mit unserem König und Violett sein. Gerade letzteres sorgte dafür, dass ich irgendetwas oder irgendjemanden schlagen wollte. Auch Avenius schien meine Sorgen zu teilen, denn sein Gesichtsausdruck wurde ernst und er wirkte angespannt. Er schob die Dokumente beiseite und griff nach einer Liste. "Das hier sind die Reiche, die teilnehmen werden und welche Vertreter sie aussenden.", eröffnete er mir. " Mit uns würden fünf Reiche mit jeweils zwei bis drei Vertretern teilnehmen. Ich nahm die Liste entgegen und betrachtete die Namen. Und ich war verwirrt: "Das Reich der Meerwesen schickt ihren Thronerben und die erste Prinzessin? Das Meervolk ist doch noch argwöhnischer als die mürrischen Zwerge. Vor allem seit vor einigen Jahren die Königin bei einem Empfang von Diplomaten der Elfen ermordet worden war. Und trägt die Prinzessin nicht auch noch ein Kind unter dem Herzen? Die scheinen einen Hinterhalt geradezu zu provozieren. Was soll dieser Mist? Und warum schicken die Zwerge vier Repräsentanten?" "Das sind einige der Punkte, die mir seit einigen Tagen Bauchschmerzen verursachen. Aber das ist noch nicht alles. Der Meerprinz Caerul und seine Schwester wünschen sich eine private Audienz mit uns beiden. Zeitgleich werden die Zwerge gegen jede Art von Sonderbehandlung der anderen Parteien entgegengehen. Du weißt, wie stur diese zu klein geratenen Dickköpfe sind. Und die Elfen aus den Wäldern werden ihren Stolz nicht überwinden können." Das war das Problem, wenn so viele verschiedene Meinungen und Kulturen aufeinander treffen. Ich schaute zu meinem Bruder und dachte nach: "Wir sollten zuerst die Konferenz hinter uns bringen. Danach könnten wir Violett und die Prinzessin unauffällig zusammenbringen. Nach außen hin würde es wie ein normales Treffen unter Weibern aussehen. Die Zwerge würden nicht misstrauisch werden und die Elfen würden dies gar nicht beachten. Was meinst du, Bruder?" "Das klingt zumindest nach einem Plan. Bringen wir den schrecklichen Teil erst einmal hinter uns, dann schauen wir weiter."

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