Kapitel 11

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Alendro

Schwungvoll hob ich die Tasche, ein Bündel aus altem Leder und Stoff, auf meine Schulter. Dank meiner Herkunft als Wandler waren meine körperlichen Fähigkeiten nicht ganz so begrenzt wie bei Hexen oder anderen menschlichen Wesen. Für unsere Reise hatte Violette nur ein seltsames Buch, ein Lederbündel mit getrockneten Kräutern und ausreichend Verpflegung für die nächsten drei Tage eingepackt. Sie schien weder Schmuck noch ausreichend verschiedene Kleider zu besitzen. Sie besaß überhaupt gar keine Kleider. Als ich sie darauf ansprach, hatte sie nur gesagt: "Im Wald, beim Jagen oder beim Ackerbau ist ein Kleid mehr als lästig und unvorteilhaft." Ich wusste nicht wieso, aber irgendwie störte mich die Tatsache, dass eine Frau wie sie sich in billige Lumpen hüllte. Sie sollte sich mit feinster Seide eindecken und den edelsten Schmuck tragen. Verwirrt blieb ich kurz stehen. Konnte es etwa sein? War ich tatsächlich...? Nein, das konnte nicht stimmen. Aber... Mein Blick wanderte zu Violette. Lachend lief sie neben meinem Sohn und schien sich sehr zu amüsieren. Plötzlich wurde mir warm, nein, nur ein Bereich meines Körpers wurde warm, schien nach all diesen Jahren endlich wieder zu schlagen. Mein Herz schlug einen Takt schneller. Ich hatte Interesse an einer Frau. Vielleicht war ich sogar schon ein wenig in sie... verliebt. Ich ging langsam weiter, darauf bedacht, die beiden vor mir nicht zu stören. Fasziniert beobachtete ich, wie ihr silbernes Haar durch die Sonne noch heller und strahlender wurde. Ihre zarte Elfenbein farbene Haut schien so eben und makellos. Durch ihre Lebensart und der harten Arbeit im Freien hätte ich angenommen, dass ihre Haut eher karamellfarben sein würde. Bei jedem Schritt wiegte sie ihre Hüften anmutig wie eine Fee. Ich seufzte leise. Es hatte mich wirklich erwischt. Nach mehr als vier Wintern hatte ich mich in eine Frau verliebt. Und eins wusste ich genau. Dieses Mal würde ich sie nicht wieder gehen lassen.

Violette

Wir liefen nun bestimmt schon seit einigen Stunden. Den Wald, meine Heimat, hatten wir bereits hinter uns gelassen. Ich versuchte mich abzulenken von dem Gefühl, dass mein Herz schwerer werden ließ. Ich hatte Angst. Diesen Wald hatte ich, seit ich in diese Welt geboren worden war, nicht einmal verlassen. Seit mehr als fünfzehn Jahren nicht. Und nun, nun ging ich mit zwei scheinbar Fremden mit, um ihnen bei etwas zu helfen, bei dem wir alle womöglich sterben werden. Langsam fragte ich mich wirklich, wie viel meiner vorherigen Intelligenz noch übrig war. Sky hatte sich nach einigen Stunden des Fliegens müde auf meine Schulter gesetzt und schlief. Sie war bei unserem Aufbruch immer in großen Kreisen über uns geflogen, um nach potentiellen Feinden Ausschau zu halten. Ihr kleiner Körper wog schwer auf meiner Schulter. Ich hatte sie nun auch in Gefahr gebracht. Sollte ihr etwas passieren, war ich dafür verantwortlich. Schnell versuchte ich, diese Gedanken wieder zu vergessen. Ich würde auf sie acht geben. Als ich zum Himmel aufschaute, senkte sich die Sonne am Horizont allmählich. Die Nacht brach herein. Die Schatten der einzelnen Bäume wurden länger, schienen gar ein Eigenleben zu entwickeln. Und dennoch wusste ich, dass hinter ihnen keine Gefahr lauerte. Ich hatte während der ganzen Zeit einen Suchzauber aktiviert. Im Geiste hatte ich ein feines und komplexes Netz wie eine Art Tuch um uns gelegt, das sich wie ein Radar verhielt. In einem Radius von etwa einem Kilometer konnte ich dadurch jedes Lebewesen im Umkreis wahrnehmen. Mit der Zeit verringerte ich jedoch den Radius auf knapp die Hälfte, da ich nicht glaubte, jemand würde uns mitten am Tag angreifen. Ein Fehler, wie ich nun merkte. Plötzlich trat eine Art von Horde in meinen Radius. Ich konnte nur ihre Anwesenheit spüren, nicht aber was sie waren. Ich wusste nur, dass diese Horde aus mehreren Arten bestand. Etwa zehn Wesen. Und sie kamen schnell näher, direkt auf uns zu. Schnell drehte ich mich zu Alendro: "Da kommt jemand auf uns zu." Meine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern aus Angst, diese Kreaturen konnten uns hören. Plötzlich blieb mein Begleiter stehen. Er lauschte den Geräuschen, die die Nacht zu uns trug. Ich konnte noch nichts hören. Doch er, Alendro, ließ mit einem Mal einen Seufzer aus, der verdammt nach Erleichterung klang. "Das sind meine Leute, die nach uns suchen." In seiner Stimme hörte ich eine Art von Gewissheit, die mich doch noch überzeugte, die Horde, ich meinte, seine Leute, nicht mit einem Feuerball zu bewerfen. Ich traute noch immer lieber meinen eigenen Sinnen, als der Wahrnehmung eines Fremden. Erwartungsvoll blickte ich in die Richtung, aus der unsere vermeintlichen Retter zu kommen schienen. Pferdetraben war zu hören. Etwa hundert Meter von uns entfernt tauchten mehrere Reiter auf. Auf prachtvollen Einhörnern ritten sie uns gekleidet in edlen Gewändern entgegen. Voran sah ich einen Mann, der fast genauso eindrucksvoll schien wie Alendro. Eine dunkle braune Mähne flog im Wind, das breite Kreuz schien die untergehende Sonne zu verbergen. Anders als die anderen acht Reiter trug er seine Waffe am Rücken zusammengebunden und nicht an der Hüfte tragend. Instinktiv trat ich vor Chris und schob ihn hinter mich. Ich wusste zwar bereits, dass diese Männer keine Gefahr bedeuten würden, dennoch ging ich lieber auf Nummer sicher. Die Reiter waren fast bei uns angekommen, als ich es spürte. Eine dunkle Vorahnung, eine Gefahr. Der Wind Strich mir sanft über die Haut. Es war kühl. Zu kühl für diese spätsommerliche Nacht. Die Natur versuchte mich zu warnen. Erneut schärfte ich meine Sinne, warf meine Magie aus und suchte nach dem Feind. Kleine Eulen schlüpften wieder in ihr Versteck, Bäume zogen die Blätter ein. Die Erde schien zu beben. Und dann fand ich sie. Kreaturen, so finster wie die Winternacht bei Neumond. Seelenlose mit nur einer Aufgabe. Tod und Schrecken verbreiten. Sie kamen aus dem Osten. Leise und schleichend schufen sie sich ihren Weg zu uns. Ohne nachzudenken schrie ich laut: "Der Feind kommt von Osten!" Dann brach die Hölle los. Sechs Seelenlose sprangen aus dem Schatten hervor auf Alendro zu. Ich zögerte nicht eine Sekunde, konzentrierte sämtliche Magie auf einen Zauber und schuf einen Schild um uns. Die Reiter waren mittlerweile bei uns angelangt und abgestiegen. Erschrocken zuckten sie ihre Waffen und eilten auf ihren Anführer zu. Alendro selbst zückte sein Schwert. Dieser Kampf würde nicht einfach werden.

The Awakening of MagicWo Geschichten leben. Entdecke jetzt